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BERICHT/871: "Isolados" - Phantom, Witz oder Wirklichkeit? (BUMERANG)


BUMERANG - "Naturvölker" heute 2/2008
Zeitschrift für gefährdete Kulturen

"Isolados"
Phantom - Witz - Wirklichkeit?

Von Hannelore Gilsenbach


Am 29. Mai 2008 läuft eine Meldung um den Globus: Eines der letzten "nichtkontaktierten" Völker im brasilianischen Amazonasgebiet wurde aus der Luft fotografiert! Die Presse stürzt sich auf die Bilder; die Kommentatoren schildern die Sachlage - zwischen seriösem Bericht, Übertreibung, Faktenverwirrung ... Selbst Fälschungsvorwürfe und Klagedrohung gegen die Urheber der "Regenwald-Sensation" lassen nicht auf sich warten. Was steckt hinter allem? Warum die Veröffentlichung der Bilder? Und was wird aus den Fotografierten?


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Es ist Anfang Mai in der Grenzregion zwischen Brasilien und Peru, im brasilianischen Bundesstaat Acre. Ein Leichtflugzeug überquert endloses Grün des Regenwaldes, aus dem die glitzernden Mäander der Flüsse hervorleuchten.

Primärwald. Amazonien. Der grüne Planet. Über Stunden keine erkennbaren Spuren, die von Menschen stammen könnten.

An Bord der Cessna, deren Türen mit Vorbedacht demontiert sind, sitzen Angestellte der brasilianischen Indianerschutzbehörde FUNAI. So der Experte für "nichtkontaktierte" Ureinwohner, José Carlos dos Reis Meirelles Júnior. Und Gleison Miranda, der Fotograf. Endlich sichtet die Cessna-Mannschaft die kleine Siedlung von "Isolados", wie die Brasilianer die "Nichtkontaktierten" nennen: Mit Palmblättern gedeckte langgestreckte Häuser, auf einer Lichtung aufgereiht, zwischen den Wipfeln hoher Bäume. Eilig laufen Bogenschützen herbei. Zielen von unten auf die Cessna. Von oben zielt das Objektiv der Kamera auf sie. Es fängt Bilder rot und schwarz bemalter, kräftiger Männergestalten ein. Feuerstellen, Hausrat, Pflanzungen, die Reihe der Malocas. Keine Frauen, keine Kinder.

Fotosensation Ende Mai 2008: Die Reihe der Malocas - der 'Isolado'-Häuser im Grenzgebiet zu Peru. © G. Miranda/FUNAI

Fotosensation Ende Mai 2008: Die Reihe der Malocas - der 'Isolado'-Häuser im Grenzgebiet zu Peru. © G. Miranda/FUNAI

Fotosensation Ende Mai 2008: Die Reihe der Malocas - der "Isolado"-Häuser im Grenzgebiet zu Peru.
© G. Miranda/FUNAI


Ende Mai zappeln Gleison Mirandas Fotos im globalen Pressenetz. Musste er sein Geheimnis in die Welt zerren?

Warum? Und für wen?

Völkerkundler wissen von den isoliert lebenden Indios schon seit 1910. Seit zwei Jahrzehnten überwacht die brasilianische Behörde ihre Siedlungen, die sich in den letzten Jahren sogar ausgedehnt haben.

Ab und zu ein kurzer Überflug. Keine Kontaktaufnahme. Dass die FUNAI in Absprache mit Survival International die Fotos der heimlichen Bogenschützen nun freigibt, verfolgt ein höchst spezielles Ziel.

"Wir haben ihr Gebiet überflogen, um ihre Häuser zu zeigen, um zu zeigen: Sie sind hier, es gibt sie. Das ist wichtig, denn ihre Existenz wird angezweifelt", sagt Carlos Meirelles.

Die Zweifler an der Existenz "nichtkontaktierter" Waldvölker sitzen vor allem im benachbarten Peru. Sie haben handfeste Gründe. Und Politik und Wirtschaft stehen auf ihrer Seite. Der Wettlauf um die bislang verschonten Ressourcen - Edelhölzer, Erdgas, Erdöl - hat die letzten Refugien der Ureinwohner erreicht. Es war eine Frage der Zeit. Die Zeit ist um.

Niemand kennt die Zahl der "Isolado"-Völker Amazoniens. Es könnten allein in Brasilien noch fünfzig bis sechzig sein. Scheu, abwehrbereit, versteckt leben sie in den Wäldern; viele von ihnen im Grenzgebiet zu Peru. Auf peruanischer Seite, so wird vermutet, gibt es noch fünfzehn "Isolado"-Völker.

Menschen als Teil des Waldes! Eines Waldes, der ihnen nicht gehört - ohne, dass sie es freilich wüssten. Wie sie so vieles nicht wissen. Nicht einmal, dass es Länder gibt, Staaten und Grenzen, die mitten durch ihren Dschungel verlaufen.


Peruanische "Isolados" - illegale Brasilianer

Den peruanischen "Isolados" rückt der Lärm der Motorsägen immer näher. Daher fliehen sie. Über die unsichtbare Grenze, die sie nicht kennen. Und plötzlich sind peruanische "Isolados" zu illegalen Brasilianern geworden und geraten in einen unheilvollen Strudel. Warum?

Traditionelle Jäger- und Sammlerkulturen benötigen ausreichend große Waldgebiete, um zu überleben - Territorialgrenzen, die in langen Zeiträumen geregelt worden sind. Diese Gefüge geraten jetzt durcheinander. Flüchtende "Isolados" aus Peru treffen in Brasilien auf bereits besetzte Jagd- und Siedlungsgebiete von ebenfalls isoliert lebenden Indigenen (es mögen in dem umstrittenen Gebiet an die 500 Menschen sein). Konflikte sind kaum vermeidbar.

Sie zu verhindern, gibt es nur einen Weg. Die Regierung Perus muss die Waldgebiete ihrer "Nichtkontaktierten" von wirtschaftlicher Erschließung ausklammern. Sie muss für ihren Schutz sorgen, für ihre Sicherheit. Und dies nicht nur, weil auch Peru zu den Unterzeichnerstaaten der ILO-Konvention 169 zählt.

Doch was ist die Realität?

Das Urteil des brasilianischen FUNAI-Spezialisten Carlos Meirelles - zeitgleich mit den Fotos der Bogenschützen aus Acre veröffentlicht - fällt vernichtend aus:

"Was dort (in Peru) geschieht, ist ein monumentales Verbrechen an der Natur, an den Indigenen, an der Fauna, und es ist ein weiteres Zeugnis der völligen Unvernunft, mit der wir, die 'Zivilisierten', die Erde behandeln."

Es sind nicht nur die illegalen Holzfäller, die immer tiefer in Perus Wälder eindringen, die wertvollen Bäume rauben und sie auf dem Wasserweg oder per Flugzeug aus dem Land schaffen.

Gerade jüngst, im Februar 2008, waren Arbeiter der kanadischen Ölfirma Petrolifera tief im Amazonaswald auf ein eilig verlassenes Dorf gestoßen, das offenbar den Cacataibo gehörte. Die Cacataibo sind eines jener vermutlich fünfzehn "Isolado"-Völker Perus. Die Regierung hatte ihr Siedlungsgebiet für die Ölsuche freigegeben, wider besseres Wissen.

Nach Protesten von Survival und Indigenenorganisationen in Peru gilt seit Anfang Mai 2008 zumindest ein Erkundungsstopp für ausgewiesene Indigenengebiete. Auch die staatliche Ölfirma Perupetro, deren Chef die Existenz "nichtkontaktierter" Indios noch vor kurzem abgestritten hat, muss sich daran halten.

Doch andere, außerhalb von Reservaten gelegene Walddörfer von "Isolados" bleiben weiter in Gefahr. Ölfirmen wie Perenco, Repsol-YPF, Petrolifera und Pluspetrol sind schon im Besitz neuer Konzessionen für weitabgelegene Regionen Amazoniens. Sie warten nicht länger.

Wozu also die Fotos im Pressenetz? Eine Zusammenfassung:

Die Fotos zeigen ein "nichtkontaktiertes" Indianervolk Brasiliens, (dessen Existenz seit langem bekannt ist und das von der Indianerschutzbebörde seit 20 Jahren aus der Luft überwacht wird.)

Die Fotos stehen stellvertretend für andere "nichtkontaktierte" Waldvölker in abgelegenen Gebieten Amazoniens - vor allem im Grenzgebiet zwischen Brasilien und Peru. Sie beweisen, dass es solche Völker gibt, dass sie den Kontakt zur Außenwelt ablehnen, dass sie sich wehren und ihr Siedlungsgebiet verteidigen.

Die 'Isolado'-Bogenschützen signalisieren Abwehr. © G. Miranda/FUNAI

Die "Isolado"-Bogenschützen signalisieren Abwehr
© G. Miranda/FUNAI


Die Fotos thematisieren durch Begleitinformationen der Indianerschutzbehörde FUNAI und Survival International die drohenden Gefahren: Ein Zusammentreffen von flüchtenden "Isolados" aus Peru mit "Isolados" in Brasilien muss verhindert werden. Ebenso ein unkontrollierter Kontakt mit der "Zivilisation".

Die Fotos sind ein Mittel - vielleicht ein letztes - um weltweiten Protest zu erzeugen. Protest gegen die Ignoranz Perus gegenüber dem Lebensrecht seiner "nicht-kontaktierten" Waldvölker. Survival-Briefaktionen haben schon so manche Regierung unter Druck gesetzt.


"Steinzeit-Menschen entdeckt!"

Und nun das Echo: Wirkliche "Wilde" im Spiegel "zivilisierter" deutscher Presse. Wie schön! Und wie abwechslungsreich!

Eine kleine Sammlung von Überschriften und Schlagzeilen - zwischen dem 30. und 31. Mai 2008 erschienen:

n-tv: "Steinzeit-Indios entdeckt",
Süddeutsche.de: "Am Amazonas ... ein Dorf entdeckt",
tagesschau.de/heute.de: "Isoliert lebender Indianerstamm entdeckt",
SPIEGEL.online: "... im Urwald neu entdeckter Indianerstamm",
augsburger-allgemeine.de: "... ein bisher unbekannter Indianerstamm entdeckt",
taz.de: "... ein Indianerstamm gesichtet",
DiePresse.com: "Isoliert lebender Indio-Stamm entdeckt",
BILD.de: "Steinzeit-Menschen entdeckt! ... (BILD erklärt, wer diese Menschen sind)",
undsoweiter,
undsofort ...

Mitunter gab es auch lustige Verwechslungen, wie in der Stuttgarter Zeitung, die ihren Lesern die aufregenden Körperfarben der Bogenschützen veranschaulicht: "Die Männer, entweder mit rotem Jenipapo oder mit schwarzen Urucum bemalt ...". Richtig wäre: rot = Urucum, schwarz = Genipapo.

Malocas und ihre Bogenschützen - isoliert in der 'Grünen Hölle'. Ideales Futter für die Weltpresse über Monate hinweg. © G. Miranda/FUNAI

Malocas und ihre Bogenschützen - isoliert in der "Grünen Hölle". Ideales Futter für die Weltpresse über Monate hinweg.
© G. Miranda/FUNAI


"Solange sie uns mit Pfeilen empfangen"

Doch die Stuttgarter Zeitung - wie auch etliche andere der oben angeführten - bringt eine Fülle von wichtigen Zusatzinformationen.

Sie zitiert sogar den FUNAI-Experten Carlos Meirelles mit allgemeinhin schwer verdaulicher Kost: "Solange sie (die 'Isolados') uns mit einem Regen von Pfeilen empfangen, wird es ihnen gut gehen, aber wenn sie friedfertig werden, werden sie aufhören zu existieren."

Viele Presseorgane beleuchten den Hintergrund des Abwehrverhaltens isoliert lebender Ureinwohner. Besorgnis dominiert die reißerischen Überschriften. Survival International kommt zu Wort, die Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen), das Hamburger Tropeninstitut ...

Zusammenhänge werden erklärt. Zum Beispiel die tödlichen Gefahren, die von eingeschleppten Krankheiten ausgehen, gegen die "Isolados" keine Immunität besitzen. Nicht nur die Holzfäller und Ölarbeiter können sie zu ihnen bringen. Auch Missionare, Goldsucher, Straßenbauer, Siedler und Touristen. Alles in allem also doch ein publizistischer Erfolg?

Rüdiger Nehberg, bekannt geworden durch seinen Einsatz für die Yanomami, ist anderer Meinung. Er hält den Presserummel für ein "Verbrechen an den Indianern" (Lübecker Nachrichten): "Wenn die Behörde diese Menschen wirklich schützen wollte, dann hätte sie die Fotos nicht herausgegeben." Doch er scheint sich zu irren.

5.16. Juni 2008: Survival International zufolge haben bereits über 1300 Protestbriefe die Regierung Perus erreicht. Die Absender fordern, den illegalen Holzeinschlag zu stoppen.

Ronald Ibarra, ein Regierungsbeamter aus Peru, hat erklärt, man werde Spezialisten in die umstrittenen Gebiete schicken. Sie sollten prüfen, inwieweit illegale Holzfäller zu recht beschuldigt würden. Häuser von geflüchteten "Isolados" aus Peru - fünf Kilometer hinter der Grenze auf brasilianischem Gebiet - wurden bereits aus der Luft fotografiert. "Wir wollen sie schützen, nicht kontaktieren", verkündet Ibarra.


"Guckt Ihr heute Schmidt & Pocher?"

Inzwischen hat sich die erste Aufregungswelle der deutschen Print-, TV- und Online-Medien gelegt. Die zweite kommt ruhiger daher.

DIE ZEIT (24. Ausgabe) spöttelt rundum in gleich zwei Kolumnen - unter "Meinung" und "Feuilleton/Das Letzte". Was sich zum Beispiel so liest:

"Liebe Amazonas-Indios aus dem brasilianischen Dschungel! Wir sind heilfroh, dass wir euch endlich entdeckt haben ... erstmal hallöchen allerseits ...

Gut, dass Ihr nicht gleich weggerannt seid. Fühlt Euch wie zu Hause. Wir haben übrigens auch ein Dschungelcamp und fressen Kakerlaken, Würmer und Ameisen. Das findet Ihr ekelhaft? Nun ja. Ihr seid ja auch nicht so fortschrittlich wie wir ... Habt ihr schon eine Website? Noch nicht? Dann ruft doch mal durch. Wir suchen Euch einen günstigen Tarif raus. ... Übrigens: Guckt Ihr heute abend Schmidt & Pocher?"

Auch die WELT sinniert; erteilt Ratschläge für den Umgang mit "isolierten Urwaldvölkern" - und dies in Hausfrauen-Metaphern: "Eine Käseglocke für die nächsten 20 Jahre kann Funai dem Stamm auch nicht mehr überstülpen." Die zum Interview geladene Universitäts-Ethnologin Schröter aus Passau verbreitet Unbedenklichkeit; auch sie ist eher für unbedeckten Käse: "Wenn heute neue Völker entdeckt werden, passen sie sich meistens an, verlieren aber dabei nicht unbedingt etwas von ihrer Kultur."

Einen bemerkenswerten Beitrag sendet das Politische Feuilleton im Deutschlandradio Kultur am 11. Juni 2008. Der Autor, Burkhard Müller-Ullrich, leitete auch schon die Redaktion "Kultur heute" beim Deutschlandfunk.

Der Titel seiner Sendung, deren Text sich auch im Internet findet: "Wir und die Unzivilisierten dieser Welt". Der Untertitel: "Neulich schaute uns die Steinzeit aus der Zeitung an. Es war ein Foto von einer Handvoll Menschen, die angeblich ohne jeglichen Kontakt mit der sogenannten Zivilisation im sogenannten Amazonas-Urwald leben."

Die Vielzahl der Relativierungen sei angebracht, so der gestandene Publizist, weil "rot und schwarz bemalte Ureinwohner" sich heutzutage auch als "Schauspieler entpuppen" könnten.


"In den Palmhütten wie in Fritzls Keller"

Wären sie jedoch echt, bedeuteten sie eine Herausforderung, der "wir nicht gewachsen sind". Sonst "dürfte sich die öffentliche Reaktion auf die Entdeckung eines bis jetzt vollkommen isoliert lebenden Indianerstammes in Brasilien nicht in zoologisch anmutenden Artenschutzforderungen erschöpfen". Man müsste unverzüglich nachsehen, wie "edel diese Wilden wirklich sind". Steinigung, Verstümmelung, Zwang von Kindern zum Geschlechtsverkehr, von Jugendlichen zur Tellerlippe ... was wäre nicht alles zu befürchten? "Denn es lässt sich keineswegs ausschließen, dass es in den Palmhütten am Amazonas ähnlich zugeht wie in Fritzls Keller.

Ja, es ist sogar stark anzunehmen, dass die Primitivität des Dschungellebens mit unsäglichem Leid verbunden ist..." Und spricht aus den kriegerisch Bemalten, die auf die Fotografen zielen, nicht "unhinterfragt das Recht des Stärkeren"?

Der Autor muss es wissen. Der Sender muss wissen, welche Autoren er wählt. Eine "gute" Wahl! Firmiert Müller-Ullrich doch mit anderen Autoren unter "Achse des Guten" (www.achgut.de). Und in völkerrechtlich/völkerkundlicher Unbedarftheit fährt er fort. Bedauert, dass es keine Dschungel-Polizei gäbe, die dem "Spuk ein Ende macht, und keine Therapeuten, welche die Amazonas-Fritzls behutsam in die Welt der Gegenwart geleiten." Die FUNAI flog einfach wieder davon! Hinterließ uns das "entscheidende Problem": "Wie wertvoll sind steinzeitliche Lebensformen, wenn sie den universellen Menschenrechten krass entgegenstehen?" Da liegt dem Autor der Vergleich mit den "Abscheulichkeiten menschenrechtswidriger Gesetze des Islam" auf der Hand: "Kann man auch sie mit Artenschützeraugen ansehen? Man kann nicht, aber vielleicht muss man."

Weltweit durchsetzbar, so Müller-Ullrich in fröhlicher Resignation, sei vielleicht nur noch das "Hausrecht" - zu Zeiten des "weltweit tobenden Kampfes der Kulturen".

Schon findet der Gute zum bösen Schluss: "Umgekehrt gilt dann aber, dass sich unsere westliche Zivilisation auf ihrem angestammten Territorium nicht lange mit absurden Multikulti-Ansprüchen auseinandersetzen muss. Wenn Allahs Anhänger mit ihrer Kopf- und Hand-Abhack-Mentalität im Anflug sind, dann legen wir Kriegsbemalung auf und erheben unsere Speere".

Die rechte Szene jubelt, stellt Müller-Ullrichs Beitrag auf ihre eigene Homepage, z. B. www.gruene-pest.com. Dort nachlesbare Zuschriften werden deutlich: "Das Hausrecht kann nur mit der richtigen Politik durchgesetzt werden!!!! Sucht euch die richtige (rechte) Partei und fangt an!!!

Hat sich die Hörfunkredaktion für die Resonanz interessiert? Oder sind Beiträge von Müller-Ullrich & Co. im öffentlich-rechtlichen Rundfunk inzwischen völlig normal? Das freilich wäre eine schlüssige Erklärung für die Abschaffung von Radiomultikulti Berlin-Brandenburg zum 1.1.2009!

19. Juni 2008: Survival International meldet: Das von der Regierung Perus angekündigte Expertenteam hat die entlegenen Gebiete Amazoniens erreicht, um die Notlage der "Isolados" zu untersuchen.

Mittlerweile wird vermutet, dass peruanische Beamte, die für den Schutz der Wälder verantwortlich sind, selber vom illegalen Holzgeschäft profitieren.

22. Juni 2008: Die britische Sonntagszeitung "The Observer" bringt mit einem Artikel weltweit einen Sturm der Entrüstung ins Rollen und zeigt erneut, wie Presse funktioniert.

Peter Beaumont schreibt: "The secret of the lost tribe that wasn't" ("Das Geheimnis des verlorenen Stammes, der keiner war"). Sein Beitrag "deckt auf": Der "Stamm" der Bogenschützen aus Acre sei gar nicht unentdeckt gewesen! Fazit: Alles war ein PR-Gag, eine Presse-Ente!


"Stamm des roten Mannes: ein nobler Scherz"

Wieder rauchen Journalistenköpfe, um die Sensation eiligst zu verbreiten - in Deutschland, Italien, Belgien, Spanien, Niederlande, Frankreich, Peru, China, Argentinien, Kuba, Mexiko, Kolumbien, USA, Iran, Australien, Neuseeland, Südafrika, Brasilien ... Besonders einprägsame Überschriften: "Die Entdeckung des Stammes war ein Indianermärchen", "Stamm des roten Mannes - ein nobler Scherz", "Die 'Entdeckung' des isolierten Stammes war gestellt", "Die Fotos des verlorenen Stammes waren eine Fälschung", "Ein Scherz mit Wilden - die Naturmenschen, die es nie gab".

Und immer wieder: "... sie waren seit 100 Jahren bekannt" ... der Stamm als PR-Aktion des Indianerschützers".

Warum die späte Aufregung?

Carlos Meirelles, der FUNAI-Experte, hatte sich im TV-Sender al-Dschasira in einem Interview geäußert. Hatte ausführlich berichtet, warum es zur Veröffentlichung der Fotos gekommen war. Was FUNAI und Survival damit bezweckten. Dass die Existenz der Fotografierten bekannt sei; auch ihre GPS-Daten, die geheim blieben. Nichts Neues. Die Begleitinformationen zu den Fotos, die um die Welt gegangen waren, hatten alles enthalten.

Dennoch hatten die meisten Presseberichte - auch die deutschen - die "Neuentdeckung eines isolierten Stammes" gefeiert! Verwickelte Zusammenhänge passen eben schlecht in reißerische Überschriften. Wo doch am Ende die Absatzzahlen zählen, die Einschaltquoten.

Und diese "Neuentdeckung" sollte nun nicht wahr sein? Nichts wie auf - zum publizistischen Gegenschlag! Welch bitterböse Satire der Weltpresse auf sich selbst ...

Die Seriösität von Survival International ist in Frage gestellt. Die Arbeit der "Indianerschützer" lächerlich gemacht. Erst drei Monate später, am 2. September 2008, wird sich der "Observer" formell bei Survival entschuldigen. Die Zeitung wird zugeben, dass Peter Beaumonts Beitrag vom 22.6.2008 "falsch, irreführend und verzerrend" war und dass er die Fälschungsstory in Gang brachte, die anschließend weltweit durch die Presse lief. Ein heftiger Streit ging dieser Entschuldigung voran. Der "Observer" drohte mit Verleumdungsklage gegen Survival. Die Beschwerdekommission der britischen Presse entschied jedoch zugunsten der Menschenrechtsorganisation.

8. Juli 2008: CIPIACI - eine südamerikaweit arbeitende Indigenenorganisation, die sich für die Rechte "Unkontaktierter" einsetzt - berichtet, illegale Holzfäller in Peru hätten "Isolados" umgebracht und ihre Häuser niedergebrannt. Der Tatort läge nahe der Grenze zu Brasilien in einem Reservat - nicht weit entfernt von dem Gebiet, in dem im Mai die Fotos der Bogenschützen entstanden. Laut CIPIACI weiß Perus Regierung von den Morden an "Isolados". Sie wiegelt ab und bezeichnet die Situation als "ruhig und friedlich".

5. September 2008: Die Untersuchungskommission aus Peru schweigt noch immer. Ihr für Juni angekündigter Report über die Situation der "Isolados" im Grenzgebiet lässt auf sich warten.

30. September 2008: FUNAI-Experte Meirelles hat erneut Spuren geflohener "Isolados" aus Peru dokumentiert. Er stieß auf einen Lagerplatz am Fluss, auf Fußspuren, und er fand Pfeile, die sich von denen brasilianischer "Isolados" unterscheiden.

6. November 2008: In Pucallpa (Peru) hat CIPIACI zu einer dringenden Beratung eingeladen. Ein Regierungssprecher Perus gibt zu, dass sich in den Wäldern "Nichtkontaktierter" zwölf illegale Holzfällerlager befinden. Die Teilnehmer der Beratung fordern die sofortige Schließung dieser Lager und die Entfernung der Holzarbeiter.

Carlos Meirelles warnt: Die "nichtkontaktierten" Indios im Amazonasgebiet Perus könnten innerhalb der nächsten drei Jahre verschwunden sein. Beklagt wird auch, dass es in Peru keine Regierungsstelle für den Schutz von "Isolados" gibt. Entscheidungen über ihr Schicksal treffen Ministerien und Unternehmen, die wirtschaftliche Interessen verfolgen.

Was hatte doch Perus Präsident Alan Garcia vor einer Weile gesagt? Die isoliert lebenden Indianer seien eine Erfindung von Umweltschützern, um die Ölausbeutung im Amazonasgebiet zu verhindern! Ein Regierungsbeamter verglich die "Isolados" gar mit dem Ungeheuer von Loch Ness.

Doch sie sind kein Phantom. Sie sind Wirklichkeit. Und sie werden Spuren hinterlassen; traurige, beschämende Spuren - bis zum bitteren Ende. Das zumindest unterscheidet sie von Loch Ness.

Enawêne Nawê: kein Leben, keine Mythen ohne die Flüsse. © F. Watson/Survival

Enawêne Nawê: kein Leben, keine Mythen ohne die Flüsse. © F. Watson/Survival

Enawêne Nawê: kein Leben, keine Mythen ohne die Flüsse.
© F. Watson/Survival

Sie lebten bis in die 1970er Jahre als 'Nichtkontaktierte' : Die brasilianischen Enawêne Nawê

Sie lebten bis in die 1970er Jahre als "Nichtkontaktierte": Die brasilianischen Enawêne Nawê begehen das Yãkwa-Ritual - einen viermonatigen Austausch von (Fisch-)Nahrung zwischen Menschen und den Geistern der Toten
© F. Watson/Survival



Wir danken Survival International (London und Berlin) für die freundliche Unterstützung und die Überlassung der Fotos zur Veröffentlichung im Schattenblick.

Quellen, weiterführende Informationen und Kampagnen zugunsten indigener Völker siehe
www. survival-international.org
www.survival-international.de


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Quelle:
BUMERANG - "Naturvölker" heute - Zeitschrift für gefährdete Kulturen
Jahrgang 15, Heft 2/2008, S. 52-61
Herausgeber: Bund für "Naturvölker" e.V. (Sitz: Rostock)
Redaktionsadresse: Bund für "Naturvölker"
c/o Dr. H. Gilsenbach, Dorfstraße 44, 16230 Brodowin
Tel.: 033362/278, Fax: 033362/61 964
E-Mail: H-RGilsenbach@t-online.de
Internet: www.bund-naturvoelker.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2009