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BERICHT/854: Bericht vom 3. Kongreß "Kultur des Friedens" (IPPNWforum)


IPPNWforum | 113 | 08
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Die sind ja so wie wir - Signale für eine solidarische Zukunft
Ein Bericht vom 3. Kongress "Kultur des Friedens"

Von Sven Hessmann


In der Cafeteria der Berliner Urania diskutieren drei Studierende mit einem Referenten. Auf dem Tisch stehen Kaffeetassen und Wasserflaschen zwischen aufgeklappten Terminkalendern. Nur wenige Meter davon entfernt beugen sich Kongressbesucher über den Büchertisch, andere verschwinden in den Humboldt-Saal zum nächsten Vortrag. Immer wieder treffen alte Bekannte aufeinander, werden Hände geschüttelt und Köpfe zusammen gesteckt. Typische Szenen des Kongresses "Kultur des Friedens", der vom 12. bis zum 14. September in Berlin stattfand.

Ein dringend notwendiger Kongress, wie die Schlagzeilen im September 2008 beweisen: Die Bundesregierung plant das Truppenkontingent von bislang 3.500 auf bis zu 4.500 Soldaten aufzustocken. Ausgelöst durch die Georgien-Krise kommt es zur Spannungen zwischen Russland und NATO und längst sprechen einige Kommentatoren wieder von einem neuen Kalten Krieg. Weltweit ziehen die Turbulenzen auf dem US-Finanzmarkt immer weitere Kreise. In Deutschland fordern selbst konservative Politiker und Manager eine stärkere Regulierung der internationalen Finanzmärkte.

Vor diesem Hintergrund trafen sich über 700 TeilnehmerInnen und ReferentInnen in der Berliner Urania. Unter dem Motto "Kultur des Friedens - für eine solidarische Zukunft" wurde vorgetragen und vorgetragen. Einige der über 50 ReferentInnen waren aus der ganzen Welt angereist, u. a. Ecuador, Kanada, Kenia, Südafrika und dem Westjordanland. Zwischen diesem geballten friedenspolitischen Engagement sorgten Kulturbeiträge immer wieder für Denkpausen, Auflockerung und Inspiration. Das Quartett Vibratanghissimo, das Jazzorchester Prokopätz und die Brecht-Interpretin Gina Pietsch umrahmten den Kongress mit tollen Darbietungen. Die Fotografin Katharina Mouratidi zeigte Ihre Ausstellung "Die andere Globalisierung". Die Serie besteht aus 36 lebensgroßen Porträts und Interviews von Mitgliedern der globalisierungskritischen Bewegung aus aller Welt. Unvergesslich bleibt das Spiel der beiden jungen Schauspieler Batoul Taleb und Ahmed Alrakh vom Freedom Theatre aus Jenin in Palästina. Ihre Darbietung von Romeo und Julia war gerade nach den Gedenkminuten für den vor Kongressbeginn verstorbenen Psychologen Dan Bar-On besonders berührend.

Bereits im Vorfeld des Kongresses war zu erkennen, dass viele Gäste außerhalb der IPPNW teilnehmen würden. Ein Zeichen für die Aktualität der Themen und der ReferentInnen. Die Beiträge des Kongresses waren in diesem Jahr außerordentlich breit gestreut, sie folgten aber vier klaren Themensträngen. Die Grundlage dafür bildete eine Analyse der britischen Oxford Research Group über die größten Bedrohungen für die globale Sicherheit der heutigen Zeit. Die Oxford Research Group hatte in ihrem Report "Global Responses to Global Threats: Sustainable Security for the 21st Century" vom Juni 2006 die großen Herausforderungen unserer Zeit skizziert: Klimawandel, Globale Militarisierung, Wettkampf um Ressourcen und die Marginalisierung der Weltmehrheit. Jedes dieser Themen formte einen roten Faden für das Kongressprogramm, an dem am Anfang die Problemanalyse stand und am Ende Lösungen formuliert werden sollten.


Die vier Themenstränge: Die globalen Bedrohungen sind miteinander verwoben

Die "Marginalisierung der (Welt-)Mehrheit thematisierten zahlreiche Veranstaltungen. Im Forum "Armut und Gesundheit" verdeutlichten David McCoy und Andreas Wulf die Zusammenhänge zwischen Armut und Gesundheit. Dabei zitierten Sie den Bericht der UN-"Commission on Social Determinants of Health" von 2008: "Eine giftige Kombination von schlechten Strukturmaßnahmen, Wirtschaft und Politik ist zu einem großen Teil verantwortlich für die Tatsache, dass die Mehrheit der Menschen in der Welt, nicht den guten Gesundheitszustand haben, der biologisch möglich ist" und deutlicher: "...soziale Ungerechtigkeit tötet Menschen in einer großen Zahl". Weitere Veranstaltungen in diesem Themenstrang beschäftigten sich mit dem mangelnden Zugang von Menschen des Globalen Südens zu lebensnotwendigen Medikamenten, mit Traumatisierungen von Kindern und Frauen durch Kriege und den katastrophalen Zuständen in Palästina.

Eine Brücke zum Thema "Globale Militarisierung" schlugen die Veranstaltungen zu Kleinwaffengewalt. Kleinwaffengewalt trifft besonders die Länder des Südens und dort die Menschen aus sozial schwachen Schichten. Die Versorgung der Schusswaffenverletzten bindet Kapazitäten, die sonst für die Entwicklung und die Gesundheitsversorgung in den jeweiligen Ländern zur Verfügung stehen würde. Weitere Themen waren der deutsche Kriegseinsatz in Afghanistan und die damit verbundene Militarisierung der humanitären Hilfe.

Neben den Kleinwaffen, den Massenvernichtungswaffen der Länder des Südens, wurde natürlich auch über Atomwaffen gesprochen. Zum Beispiel diskutierten Wolfgang Liebert und Patricia Lorenz über "Das nukleare Dilemma": Auf der einen Seite lebt die westliche Welt in Angst vor einer potentiellen "islamischen" Bombe. Auf der anderen Seite verkaufen die nuklearen Lieferländer Atomtechnologie in die Krisenregionen der Welt.

Über den Klimawandel durch regionalen Atomkrieg sprach Ira Helfand von der US-Sektion der IPPNW. Durch die klimatischen Folgen bereits eines begrenzten atomaren Schlagabtauschs würde weltweit die Erntesaison verkürzt. Eine weltweite Hungersnot und Nahrungsmittelknappheit wären die Folgen. Überhaupt zog das Thema Klimawandel viele Besucher an. Hartmut Graßl warnte, dass sich das Klima ohne Klimapolitik im 21. Jahrhundert schneller ändern werde als je zuvor. Durch Habitatzerstörung und der Artenverschleppung bedrohe der Klimawandel die biologische Vielfalt und Ökosysteme. Die Anpassung an ein verändertes Klima sei jedoch teurer als die Vermeidung der Veränderung. "Bis 2050 sollten wir lernen, ein Fünftausendstel des Angebots der Sonne für dann 9 Milliarden Menschen für unsere Energieversorgung zu nutzen", sagte Graßl in seinem spannenden aber ausführlichen Vortrag, mit dem er leider den Zeitplan gleich am Anfang des zweiten Kongresstages durcheinander brachte.

Die Energieprobleme der Länder des Nordens und der Kampf um Ressourcen wurde in vielen Veranstaltungen thematisiert. Von der Militarisierung der Außenpolitik über den "War on Terror" bis zu den Kriegen im Irak und Afghanistan: die Sicherung von Ressourcen spielte als "Root Cause" immer wieder eine bedeutende Rolle in der Analyse von Konflikten. Kein Wunder, dass auf dem Kongress immer wieder für die Energiewende und die Reduzierung des persönlichen Energieverbrauchs geworben wurde. Sollten doch in der zweiten Hälfte des Kongresses statt der Problemanalyse Lösungswege im Vordergrund stehen.

Die frühere Ko-Präsidentin der IPPNW Mary Wynne Ashford erinnerte das Publikum an die Macht der Zivilgesellschaft. An den Beispielen des Landminenvertrages und des Urteils des internationalen Strafgerichtshofes über Atomwaffen demonstrierte sie, wie wichtig die Zivilgesellschaft ist, um die Macht von Regierungen und der multinationalen Wirtschaftskonzerne auszugleichen. Im Hinblick auf den dringend notwendigen Abschied von endlosem Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch forderte Ashford eine Rückbesinnung: "Wir müssen unsere spirituellen Verbindungen zur Erde und zueinander zurück gewinnen."

Eine ähnliche Botschaft hatte der Vortrag von Hans-Peter Dürr, der viele Kongressbesucher tief beeindruckte. Wir dürften nicht vergessen, dass wir bei aller Besonderheit der menschlichen Existenz immer ein Teil des Ganzen blieben. Dürr erinnerte an die Milliarden Jahre, die dem Entstehen des bewussten Lebens auf der Erde vorausgegangen sind. Aus der Sicht des Physikers beschrieb er, wie das Universum und die Welt um uns erfüllt ist mit Materie, die in ständiger Veränderung sei. Innerhalb dieses bewegten Kosmos stelle bewusstes Leben und Individualität eine Besonderheit dar. Die daraus resultierenden Unterschiede zwischen den Menschen allerdings gelte es zu überwinden und sogar als Vorteil zu nutzen: "Frieden ist keine Ruhe, Frieden ist ein Spannungszustand des Unterschiedlichen - Polarisierung, aber auch die Fähigkeit zur Kooperation. Wir müssen lernen, dass Unterschiedliche als Vorteil zu sehen".

Horst-Eberhard Richter spannte in seinem Vortrag den Bogen zurück zur aktuellen deutschen Politik. Im Hinblick auf die zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik sagte er "Deutsche Normalität heißt für uns nicht mitschießen, sondern die Schwachen mehr schützen und die von Albert Schweitzer erläuterte Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben beherzigen." Gegen die Kultur des Krieges helfe langfristig nur eine Nähe der inneren Offenheit, in der plötzlich klar werde: der ist ja so wie ich, die sind ja so wie wir.


Die Dokumentation des Kongresses finden Sie im Internet unter:
www.kultur-des-friedens.de/dokumentation

[Der Schattenblick veröffentlicht die ungekürzte Originalfassung des Artikels.]


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Quelle:
IPPNWforum | 113 | 08, S. 12-13
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2009