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BERICHT/1206: Flüchtlingsprotest - Wohnen statt Lagermentalität (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 24. Mai 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Wohnen statt Lagermentalität

Flüchtlinge von Berliner Sammelunterkünften tragen ihren Kampf auf die Straße



"Ich möchte, dass Flüchtlinge in Deutschland wie Menschen behandelt werden - mit Respekt", umreißt Bruno Watara (47) sein politisches Ziel als Organisator vielfältiger Flüchtlingsproteste. Nach seiner Flucht 1997 aus Togo kämpfte er sieben Jahre darum, aus einer heruntergekommenen und weit abgelegenen alten Kaserne herauszukommen. Inzwischen ist er nicht mehr von Abschiebung bedroht, engagiert sich aber in Vollzeit für die Rechte aller Flüchtlinge. Er war es, der die bundesweite Demonstration "Fight Racism Now!" am 25. Mai in Berlin anmeldete. Im Vorfeld, während dezentraler Aktionstage, beteiligte sich Bruno an der Diskussion "Lagerland Berlin". Die Veranstaltung am 16. Mai in der Kreuzberger Regenbogenfabrik informierte über die prekäre Unterbringungsituation von Asylsuchenden und "Geduldeten".

Mit dem Flüchtlingsrat, betroffenen Flüchtlingen und einem Sprecher der Berliner MieterGemeinschaft suchte sie nach Strategien für breitere Interventionsmöglichkeiten. Da die Querelen um die angestiegene Zahl der Notaufnahmen und Standorte rassistische Tendenzen erleichtern, muss der Kampf um menschenwürdige Unterbringung auf die Straße getragen werden.

Die Berliner Zahlen der Asylerstanträge entsprechen denen des Jahres 2003. Damals war es für die Stadt nicht besonders schwierig, Flüchtlinge nach der Erstaufnahme (also spätestens nach drei Monaten) in eigenen Wohnungen unterzubringen. Heute ist das faktisch nicht mehr der Fall. Stattdessen werden immer mehr Sammel- und Notunterkünfte durch die Sozialverwaltung des Senates eingerichtet. Innerhalb von drei Jahren stieg deren Zahl um 20 auf 31. Langfristig lebt darin unter schwer zumutbaren Umständen knapp die Hälfte aller Flüchtlinge in Berlin. Das sind 6.000, die Prognose rechnet sogar mit 7.000 zum Jahresende und mittelfristig mit 12.000. Durch den verdichteten Wohnungsbestand in Berlin - Folge einer weitgehend untätigen Neubaupolitik seit der Jahrtausendwende - gestalten sich Wohnungssuche und der Kampf um Arbeitsgenemigungen für diese große Gruppe nahezu aussichtslos. Dabei steht sie am Ende einer entsprechenden Kette von rund 600.000 diskriminierten Leistungsbeziehern in Berlin. Für die Kinder der Flüchtlinge ist sogar Schule nicht immer selbstverständlich.

Das zuständige Landesamt beschränkt sich nur noch auf die Eröffnung von neuen Notlagerstandorten und setzt diese zumeist gegen rassistisch geschürten Widerstand von Anwohnern durch. Auch das Erstaufnahme-Containerlager Motardstraße in einem Spandauer Industriegebiet soll nach 20 Jahren Provisorium noch größer werden. Baustadträte z. B. in Reinickendorf, Mitte und Lichtenrade suchen das zwangsweise Unterbringungskonzept des Sozialsenators Czaja (CDU) durch lange Genehmigungsprozeduren, durch baupolizeiliche Sperrungen oder durch Räumungsandrohungen gegen Betreiber zu torpedieren, zumindest aber hinauszuzögern. Anwohner wurden um Protest nahezu angefleht. CDU und NPD dominieren allmählich deren Versammlungen. Eigene LagerinvenTouren der Flüchtlingsinitiativen nach Ausstattung, quantitativer Belegung und Aufenthaltsdauer, nach Betreibern, Personalschlüssel und Lage, nach Hygiene, Versorgung, Kommunikation wiesen nicht die großen Wohlfahrtsverbände als die Besten aus, sondern nur einige wenige Kleininvestoren, die eher "gesamtstädtisch" handeln. Die dezentrale Wohnungsunterbringung ist aus dem Maßnahmekatalog nahezu verschwunden. Schuld sei der "Mietmarkt" mit seiner (skandalösen) Preisentwicklung, argumentiert gewöhnlich nicht nur Senator Czaja, sondern auch sein SPD-Kollege Müller (u. a. für Bauen und Wohnen verantwortlich). Lediglich ein Pool von 275 Wohnungen im Jahr - zumeist die schlechtesten der Unternehmen - soll zuerst Flüchtlingen und dann erst dem freien Markt angeboten werden. Eine umfassende Restrukturierung der Wohnungspolitik für bezahlbaren Wohnraum ist damit nicht in Sicht. Zumal landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, die jetzt für Besserzahlende neu bauen, ihre profitablen, aber leerstehenden Wohnungen aus dem Bestand ihrer rund 270.000 "Wohneinheiten" geheimhalten.

Containerbau als Renditeprinzip. Joachim Oellerich, Sprecher der Berliner MieterGemeinschaft, hält es für grundfalsch, die gesellschaftliche Ausgrenzung der Gruppen noch betriebswirtschaftlich nach den "preiswertesten unter den Markt-Segmenten" zu verschärfen. Mit umfassendem gesellschaftlichem Druck von unten auf Immobilienbesitzer, Verwalter, Betreiber der Sammelunterkünfte, Bezirks- und Senatsverwaltungen muss erreicht werden, dass "sozialstaatliche Verantwortung in kommunales Handeln zurückgeholt" wird. Die Übernahme von Mietkosten und von Kautionen gehört dazu. Selbst die konfessionellen Träger haben sich in der Wohnungsfrage davon verabschiedet. Dabei wissen sie, dass Lager entmündigen, von der Mehrheitsbevölkerung isolieren, physisch wie psychisch krank machen und soziales Elend auf Dauer bewirken. Die MieterGemeinschaft unterstützt daher die Forderung "Wohnungen für Flüchtlinge - Notunterkünfte und Lager schließen!" neuerdings mit einem eigenen sozialen Beratungsangebot. In ihrer Donnerstagsrunde und als eigenständige Antwort auf die zum 23. Mai erwartete Veröffentlichung des neuen "Berliner Mietspiegels" thematisiert sie das Recht auf Wohnen innerhalb der Reihe "Neoliberalismus - Kämpfe - Perspektiven", das Dimitra Siatitsa aus Athen mit möglichen Widerstandsformen gegen die Krise des Wohnens für durchsetzbar hält. Für hiesige Unterstützer bleibt die Forderung nach straffreier Besetzung von leerstehendem Wohnraum aktuell.

Joachim Oellerich schlug gegen die organisierte Verantwortungslosigkeit eine Argumentationslinie vor: Die Situation der Flüchtlinge ist auch ein Ergebnis des Handelns der Bundesrepublik als Export-Weltmeister. Daher sollte es für den Anspruch menschenwürdiger Versorgung mit Wohnraum selbstverständlich sein Normalität herzustellen. Ein Fonds zur Anschubfinanzierung von Wohnungen für Flüchtlinge wurde in die Diskussion gebracht.

Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und damit einhergehend die Strukturen einer professionellen Sozialbetreuung müssen gezwungen werden, ihre besondere Verantwortung für die Flüchtlinge ausreichend wahrzunehmen. Die Kämpfe gegen hohe Mieten und um Wohnraum für Flüchtlinge können nicht entkoppelt werden. (H. F.)

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 21 vom 24. Mai 2013, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2013