Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

BERICHT/1003: Al Mezan kämpft für die Einhaltung der Menschenrechte im Gazastreifen (medico)


medico international - Newsletter 10/2009 - Mittwoch, 5. August 2009

Widerstand im Zeichen der Waage

Al Mezan kämpft für die Einhaltung der Menschenrechte im Gazastreifen


Die Waage ist ein Messgerät zur Bestimmung einer Masse. Üblicherweise erfolgt dies über die Gewichtskraft, die direkt gemessen wird, oder mit der Gewichtskraft einer bekannten Masse verglichen wird. Nicht zufällig hat sich die Menschenrechtsorganisation Al Mezan (Arabisch für "Die Waage") dieses Symbol für ihre Arbeit gewählt. Denn im Gazastreifen wurde die Gerechtigkeit und mit ihr die menschenrechtlichen Standards von allen Beteiligten schon immer eher kleingeschrieben.

Zum einen ist da natürlich die stetige israelische militärische Präsenz, die nach der Räumung der jüdischen Siedlungen und dem Abzug der Armeeposten in eine anhaltende Blockade des Küstenstreifens bis zu den jüngsten Angriffen überging. Zum anderen sind es aber auch die jeweiligen palästinensischen Verwaltungen, die allesamt über ein gehöriges Maß an Despotismus gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem innerpalästinensischen politischen Gegner verfügten. Und dabei ist die politische Willkür keinesfalls nur ein Privileg der aktuell den Gazastreifen verwaltenden islamistischen Hamas-Bewegung.

Auch gegenüber den Milizen der gestürzten Fatah gab es in der Vergangenheit massive Vorwürfe die Menschenrechte zu missachten. Da wurden Hamas-Anhänger auf offener Straße schon mal entführt oder in illegalen, nicht registrierten Privat-Gefängnissen diverser Milizen gefoltert. Fingernägel wurden ausgerissen, Stromstöße versetzt und systematisch geprügelt. Es wurden Familienangehörige bedroht und Lösegeld erpresst. Als es dann im Jahr 2006 zur Machtübernahme durch die Hamas kam, wurden besonders verhasste Milizionäre der Fatah von Hamas-Aktivisten bis zum israelischen Grenzübergang Erez gejagt. Sie mussten förmlich beim israelischen Militär um Schutz bitten.

Die Bilder der gedemütigten Fatah-Kämpfer, die das israelische Militär mit verbundenen Augen in die Westbank transportierte, gingen damals um die Welt. Die Hamas ihrerseits praktiziert ein strukturelles Unrechtssystem, seitdem sie an die Macht gelangt ist. Zwar begrüßte ein Großteil der Bevölkerung das militärisch erzwungene Ende mitunter rivalisierenden Fatah-Verbände, aber nach einer kurzen Phase der Entspannung begann auch die Hamas mit der Verfolgung unliebsamer innerpalästinensischer Gegner.

Kritische Journalisten bekamen die Zensur zu spüren, in den Moscheen wurde verstärkt die Scharia als bindende Gesetzgebung propagiert; Frauen und Mädchen wurden zunehmend gegängelt das Kopftuch zu tragen und sich auch ansonsten züchtig zu bedecken. Menschenrechte sind unteilbar

All das sind die alltäglichen Themen, mit denen sich der medico- Partner Al Mezan auseinandersetzt. Die Zentrale der Menschenrechtsorganisation liegt in einem zweistöckigen Bürogebäude in einer kleinen Nebenstraße im Zentrum von Gaza-City. Al Mezan begreift sich explizit als eine Graswurzelorganisation, die daher nicht nur eine Zentrale in Gaza-City unterhält, sondern auch zwei Beratungszentren in der Peripherie - in Jabalia und Rafah - betreibt. Von dort aus schwärmen die ehrenamtlichen Mitarbeiter aus, sammeln die alltäglichen Fakten, verfassen Berichte und bereiten besondere schwere Fälle in aktuellen Presseerklärungen auf.

Al Mezans Mission ist der Kampf um die zivilen und politischen Menschenrechte in den besetzten Gebieten. Dabei sehen sie sich in zunehmenden Maß mit einer Besatzungsmacht und zwei palästinensischen "Regierungen" konfrontiert, die eben diese Rechte immer geringer achten. Al Mezan ist besonders besorgt über die Lage in Gaza, die sie "order, but not law" nennt. Denn noch immer werden zwischen Beit Hanoun im Norden und Rafah im Süden des Gazastreifens Palästinenser von Palästinensern ohne Anklage verhaftet und gefoltert.

Seit der Machtübernahme der Hamas verweigert Al Mezan im Gazastreifen dennoch den Gang vor Gericht, da sie die gegenwärtige Gerichtsbarkeit und die unter der islamischen Regierung eingesetzten Richter für illegitim halten. Besonders besorgt sind sie über Islamisierungstendenzen, etwa das administrative Dekret, das den Kopftuchzwang einführte, und über die wachsende Entfremdung zwischen den beiden Teilen Palästinas.

Al Mezan versteht Menschenrechte jedoch nicht im engen Sinne, sondern sieht soziale, ökonomische und kulturelle Rechte als Teil ihres Mandats. Ihre Aufgabe sieht sie auch darin, marginalisierten Bevölkerungsgruppen und Individuen im Gazastreifen in ihrem Kampf gegen Benachteiligung beizustehen auf dem Weg zu einer besseren Lebensqualität.

Al Mezan dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und veröffentlicht diese in Pressemitteilungen, Studien und in Form eines Vierteljahresberichts. Dies stellt eine Grundlage für die Arbeit anderer Organisationen - lokale und internationale - in Sachen Menschenrechte dar. Rechtliche Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung zu Menschenrechten, Internationalem Humanitärem Recht, lokalem Recht (gegenwärtig gelten für Palästinenser vier verschiedene Gesetzte - das internationale, das israelische und zwei palästinensische) und Demokratie, aber auch zum Recht auf Gesundheit, Wohnen oder Bildung sind weitere Säulen ihrer Arbeit. Eine Bibliothek wird seit 2003 aufgebaut, um dem Mangel an Fachliteratur zu begegnen. Netzwerke über die alle Grenzen

Al Mezan ist Mitglied verschiedener internationaler Netzwerke (The World Organisation Against Torture, MENA - Network to Stop the Proliferation and Misuse of Small Arms and Light Weapons, Habitat International Coalition - Housing and Land Rights Network).

Aber der medico-Partner kooperiert auch sehr eng mit den Physicians for Human Rights in Tel Aviv, dem israelischen medico-Projektpartner. Gemeinsam mit den israelischen Ärzten kämpfen die Menschenrechtler aus Gaza für das Recht auf Zugang zu Gesundheit, konkret geht es um die Frage der Überweisung von schwer und Tod-Kranken, die im Gazastreifen nicht behandelt werden können und von Israel an der Ausreise gehindert werden. Zudem haben beide Organisationen während der jüngsten Angriffe auf Gaza eng zusammengearbeitet.

Im Jahr 2008 erhielt Al Mezans Direktor Issam Yunis den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar auf Vorschlag des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU). Issam Younis gelang es nur unter erschwerten Bedingungen den Gazastreifen zu verlassen, um den Preis persönlich entgegennehmen zu können. Seine wiederholten Anträge an die israelische Regierung, damit er den Gazastreifen verlassen konnte, blieben monatelang unbeantwortet. Erst als sich die deutsche Botschaft für den Preisträger einsetzte, konnte eine Ausreise erreicht werden.

Issam Younis sagte in seiner Dankesrede: "Wir sehen diesen Preis als Herausforderung für uns und andere Palästinensische Menschrechtsverteidiger, ihre Arbeit auch in der Zukunft weiterzuführen und neue Initiativen zu starten. Die Menschenrechte repräsentieren für uns den Kern unserer Werte und stellen für uns die einzig gerechtfertigte Lösung für das menschliche Elend, in welchem wir leben, dar". Damit bestimmte er in aller Klarheit die Masse des Gegengewichts, mit der Al Mezan im Zeichen der Waage die Verhältnisse in Israel, in Palästina und im Besonderen im Gazastreifen bestimmt.


medico förderte die Arbeit der Menschenrechtsorganisation Al Mezan im Gazastreifen bisher mit 10.000 Euro.


*


Quelle:
medico-Newsletter 10/2009 - Mittwoch, 5. August 2009
Herausgeber: medico international
Burgstraße 106, 60389 Frankfurt am Main
Tel.: 069/944 38-0, Fax: 069/43 60 02
E-Mail: info@medico.de
Internet: www.medico.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009