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RUSSLAND/101: Victor-Gollancz-Preisträger Oleg Orlow vor Gericht


Presseerklärung vom 11. November 2009

Tschetschenischer Präsident zwingt Victor-Gollancz-Preisträger Oleg Orlow vor Gericht


Wenige Tag bevor der Vorsitzende der renommierten russischen Menschenrechtsorganisation MEMORIAL, Oleg Orlow, den Victor-Gollancz-Preis der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen entgegen nimmt, steht er in Moskau vor Gericht. Er muss sich in einem strafrechtlichen Verfahren wegen Verleumdung verantworten, weil er den gefürchteten tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow in Verbindung mit dem Mord an seiner Mitarbeiterin Natalja Estemirowa gebracht hat. Kadyrow, der in Tschetschenien ein Terrorregime führt, klagte gegen den Menschenrechtler. In einem ersten zivilrechtlichen Prozess wurden Orlow und seine Organisation bereits zu Geldstrafen verurteilt. Am 12. oder 13. November findet das strafrechtliche Verfahren statt. Angesichts der international umstrittenen russischen Gerichtsbarkeit wäre eine Haftstrafe für den international angesehenen Menschenrechtler nicht unwahrscheinlich.

Die GfbV, die den Prozess gegen Orlow als skandalös kritisiert hat, hat MEMORIAL 2009 ihren Victor-Gollancz-Preis zuerkannt als "Verneigung vor dem beispiellosen Mut ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für ihr aufopferungsvolles Menschenrechtsengagement in einer feindlich gesinnten Umgebung täglich ihr Leben riskieren". Mit der Auszeichnung verbunden sei die Hoffnung, dass der Einsatz von MEMORIAL in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird und die Menschenrechtler auch unter deutschen Politikern Fürsprecher finden, um so einen gewissen Schutz vor staatlicher und juristischer Willkür zu erfahren, sagt der GfbV-Bundesvorsitzende Tilman Zülch. 2009 wurden in Tschetschenien und Russland bereits acht Menschen- und Bürgerrechtler, darunter Mitarbeiter von MEMORIAL, ermordet.

Der Preis der GfbV ist nach dem britisch-jüdischen Humanisten, Verleger und Schriftsteller Victor Gollancz (1893-1967) benannt, der Zeit seines Lebens Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekannt machte und Hilfe für Überlebende mobilisierte. Gollancz führte schon seit 1933 einen verzweifelten Kampf gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten und für die Aufnahme von Überlebenden des Holocaust, wandte sich dann gegen Hiroshima und Nagasaki sowie Massenvertreibungen von Deutschen und Kollektivschuld. Er gehörte zu den Initiatoren der Bewegung gegen Atomwaffen und war viele Jahre Anwalt der deutsch-britischen Versöhnung.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 11. November 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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Tel.: 0551/49906-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2009