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MELDUNG/004: Sitz im Stiftungsrat "Flucht, Vertreibung und Versöhnung" abgelehnt


Presseerklärung vom 27. November 2009

Auf keinem Auge blind!

"Opfer sollen für sich selbst sprechen dürfen" - GfbV lehnt einen Sitz im Stiftungsrat "Flucht, Vertreibung und Versöhnung" ab


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) weist den gut gemeinten Vorschlag des menschenrechtspolitischen Sprechers von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, zurück, den Platz von Erika Steinbach im Rat der Stiftung "Flucht, Vertreibung und Versöhnung" einzunehmen. In einer Aktuellen Stunde im Bundestag wollte Beck am Mittwoch so den Streit über eine Nominierung der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen für den Stiftungsrat beenden. Kaum eine andere Institution engagiert sich von Tag zu Tag für Vertriebene und Flüchtlinge der Gegenwart so konsequent wie die Gesellschaft für bedrohte Völker.

Dazu erklären einige ihrer Freunde und Mitglieder, die wie ihre Gemeinschaften selbst Flucht oder Vertreibung erlebt haben:

"Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben unserer Menschenrechtsorganisation, sich dafür zu engagieren, dass Verbände der Opfer von Vertreibung, Genozid oder Kriegsverbrechen ihre Angelegenheiten in der Öffentlichkeit, in Medien und Institutionen selbst vertreten können. Das muss auch für den Bund der Vertriebenen (BdV) und seine Präsidentin Erika Steinbach gelten. Dem BdV gehören alle Verbände der Vertriebenen aus den früheren deutschen Ostgebieten, dem früheren Sudetenland, aus Ungarn, Rumänien, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und den GUS-Staaten an. Diese Verbände sollten das selbstverständliche Recht haben, auf den Tod von zwei bis drei Millionen Vertriebenen, auf die Flucht und Vertreibung von 14,5 Millionen Menschen und die Situation der etwa drei Millionen Spätaussiedler hinzuweisen.

Zur Voraussetzung wirklicher Versöhnung gehören die Wahrnehmung des Geschehenen und das Bedauern, die Wahrnehmung und die Anerkennung aller Verbrechen - auch durch alle im Bundestag vertretenen Parteien.

Wir erinnern an jene großen Persönlichkeiten, die nach 1945, nach dem Holocaust, der Vernichtung von sechs Millionen Juden, dem Grauen der Konzentrationslager und nach den nationalsozialistischen Verbrechen in vielen europäischen Ländern den Mut hatten, sich auf universelle Prinzipien zu berufen und auch die Vertreibungen und die Verbrechen an Deutschen zu verurteilen. Zu ihnen gehörten der britisch-jüdische Humanist Victor Gollancz, Albert Schweitzer, der polnisch-jüdische Begründer der UN-Konvention gegen Genozid Raphael Lemkin, der deutsch-böhmische Schriftsteller H.G. Adler aus Prag, Bertrand Russel, Robert Jungk, Alexander Solschenyzin, Lew Kopelew, Willy Brandt, Kurt Schumacher und Zehntausende andere Persönlichkeiten, nicht zuletzt Sozialdemokraten und humanistisch gesinnte Kommunisten aus verschiedenen Ländern.

"Auf keinem Auge blind" ist seit 1968 Leitlinie der Gesellschaft für bedrohte Völker. Für sie sind Verfolgung, Vernichtung und Vertreibung, die Einrichtung von Konzentrations- und Vergewaltigungslagern immer und überall ein Verbrechen - in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Das Vermächtnis aller Opfer von gestern muss Anlass sein, den Opfern von heute zur Hilfe zu kommen. Zurückliegendes Leid können wir nicht ungeschehen machen. Wir können jedoch dazu beitragen, heute Verbrechen zu beenden. Dazu muss auch gehören, dass die Bund und Länder endlich die von Woche zu Woche realisierten unmenschlichen Abschiebungen in Deutschland geborener oder langjährig aufgewachsener Flüchtlingskinder und ihrer Eltern beendet.

Mor Julius Dr. Hanna Aydin (Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Deutschland), Telim Tolan (Zentralrat der Yeziden in Deutschland), Sattar Jabbar Rahman (mandäischer Vertreter der GfbV-Sektion Kurdistan/Irak), Maria Sido (Verein der Kurden Bonn und GfbV-Vorstandsmitglied), Hakub Schahinjan (armenische Gemeinde Göttingen), Pater Emanuel Youkhana (assyrischer Priester und Menschenrechtler), Selim Berisha (albanischer Flüchtling 1991), Mato Dujmusic (kroatischer Flüchtling 1992), Ljubica Hidic (serbisch-bosnische Vertriebene, Srebrenica 1995), Fadila Memisevic (Leiterin der GfbV-Sektion Bosnien-Herzegowina), Osman Destanovic (Muslim aus dem Sandzak), Alija Azizi (Goraner aus dem Kosovo), Muhamed Ibraimovic (Roma aus dem Kosovo), Irina Wießner (GfbV-Vorstandsmitglied, Flüchtlingskind 1945), Dr. Ines Köhler-Zülch (DDR-Flüchtling 1954), Tilman Zülch (Flüchtlingskind 1945).


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 27. November 2009
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2009