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AKTION/234: Offener Brief an Guido Westerwelle - Not der Zivilbevölkerung in Syrien lindern!


Presseerklärung vom 14. Dezember 2012

Not der Zivilbevölkerung in Syrien lindern!



Bitte setzen Sie sich für die Öffnung der türkisch-syrischen Grenzübergänge für Hilfslieferungen ein!

Sehr geehrter Herr Minister,

die Not der Menschen in Syrien nimmt täglich zu. Immer größere Teile der Zivilbevölkerung leiden aufgrund des Krieges unter Nahrungsmittelknappheit und mangelnder medizinischer Versorgung. Da die Infrastrukturen vor Ort meist völlig zusammengebrochen sind, muss die dringend notwendige Versorgung der Betroffenen vom Ausland aus organisiert werden.

Hilfsbedürftig sind vor allem die Binnenflüchtlinge, die aus den umkämpften Gebieten fliehen mussten und in ruhigeren Regionen Schutz gesucht haben, etwa in den Gebieten um Qamischli, Afrin und Ayn al Arab im Norden des Landes. Unter ihnen befinden sich sehr viele Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten: Kurden, christliche Assyro-Aramäer und Armenier.

Trotz dieser schrecklichen Not der Menschen in Syrien sperrt sich die türkische Regierung dagegen, ihre Grenzübergänge zu öffnen. Sie lässt kaum Hilfskonvois ins Nachbarland passieren. Der Grund für diese inhumane Haltung ist das Misstrauen gegenüber den neu entstandenen kurdischen Zivilverwaltungen der oben genannten drei Regionen in Syrien. Sie entstanden durch die Zusammenarbeit der verschiedenen örtlichen kurdischen Parteien, Komitees und sozialer Gruppen.

Die Regierung in Ankara unterhält gute Beziehungen zu der autonomen Region Kurdistan im Nordirak und arbeitet ökonomisch eng mit ihr zusammen. Der Dialog des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit dem irakisch-kurdischen Präsidenten Masud Barzani trägt zur Entspannung des Verhältnisses mit der kurdischen Bevölkerung bei. Die türkische Regierung wäre gut beraten, wenn sie auch mit den drei kurdischen Regionalverwaltungen in Nordsyrien kooperierte. Dies könnte auch das kurdisch-türkische Verhältnis innerhalb der Türkei noch entkrampfen.

Doch stattdessen arbeitet die türkische Regierung jedoch eng mit extremen bewaffneten islamistischen Kräften zusammen und erlaubt diesen, über türkisches Territorium nach Syrien "einzusickern". Diese einseitige Bevorzugung der sunnitischen Oppositionsbewegung Syriens ist angesichts der religiösen und ethnischen Vielfalt der syrischen Bevölkerung bedenklich. Die sehr problematische Entwicklung in Ägypten sollte in diesem Zusammenhang auch Deutschland eine Warnung sein.

Die Türkei nimmt erfreulicherweise eine große Zahl syrischer Flüchtlinge auf. Doch es sind noch viel mehr Menschen in Syrien auf Unterstützung und Hilfe angewiesen. Dort bringt die Lebensmittelknappheit bereits viele Zivilisten in existenzielle Not, zumal die Preise rasant steigen. Allein der Preis für Mehl hat sich in den vergangenen Wochen verdreifacht. Damit wird das Grundnahrungsmittel Brot zur kostbaren und seltenen Ware. Die Menschen stehen teilweise tagelang für Brot an und die meist großen Familien in den Grenzregionen müssen zunehmend Hunger leiden.

In den überwiegend von Kurden bewohnten Gebieten, in denen etwa 500.000 Binnenflüchtlinge aus stark umkämpften Gebieten Schutz gesucht haben, haben von kurdischen Organisationen eingerichtete Komitees bisher die Lebensmittelversorgung organisiert. Doch auch hier fehlen jetzt Milch, Mehl, Reis, Babywindeln sowie Blutkonserven und Antibiotika.

Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Minister, sich bei der türkischen Regierung dafür einzusetzen, dass die Grenzübergänge Ayn al Arab, Hamam/Afrin und Qamischli im Norden Syriens für Hilfsgüter und für den Grenzhandel geöffnet werden. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die dramatische Not der Zivilbevölkerung gelindert werden kann. Die Öffnung der syrisch-türkischen Grenzübergänge nicht nur zu den drei kleinen kurdisch bewohnten Regionen würde die internationale Öffentlichkeit als besonders konstruktiven, humanitären Schritt der Türkei ansehen.

Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns über Ihre Bemühungen informieren könnten.


Mit freundlichen Grüßen

Tilman Zülch, Generalsekretär

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 14. Dezember 2012
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2012