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AKTION/208: Offener Brief an Merkel - Bosnien-Herzegowina nicht länger als Paria Europas behandeln


Presseerklärung vom 11. Januar 2010

OFFENER BRIEF
an Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bosnien-Herzegowina darf nicht länger als Paria Europas behandelt werden!


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Sie werden morgen den Vorsitzenden des Regierungspräsidiums der Republik Bosnien-Herzegowina, Herrn Zeljko Komsic, in Berlin empfangen. Für unsere Menschenrechtsorganisation möchte ich Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, dass Bosnien-Herzegowina einerseits das Hauptopfer der Kriege um Jugoslawien ist und dieses Land andererseits, nicht zuletzt aufgrund europäischer, aber auch deutscher Politik, weiter als Paria behandelt wird.

Während die Bürger Kroatiens und Serbiens frei nach Westeuropa reisen dürfen, wird den Bosniern dieses Recht noch immer verweigert. Wir erinnern daran, dass serbische Milizen zehntausende Bosniaken in Konzentrationslager sperrten, bosnisch-muslimische Frauen zu Tausenden über Monate in Vergewaltigungslagern festhielten, bosnische Städte wie Sarajevo fast vier Jahre lang täglich beschossen, in Srebrenica 8.376 Knaben und Männer liquidiert und hunderttausende Kinder, Frauen und Männer aus dem Land gejagt wurden. Unvergessen ist, dass der kürzlich verstorbene Kommandeur der Freiheitskämpfer des Warschauer Ghettos Marek Edelman dazu erklärte: "Europa hat seit dem Holocaust nichts gelernt. Nichts ist unternommen worden, um das Morden zu beenden. Was in Bosnien-Herzegowina passiert ist, ist ein posthumer Sieg für Hitler." Andere Persönlichkeiten wie Elie Wiesel, Simon Wiesenthal, Ernst Tugendhat und Alfred Grosser haben ebenfalls ihre Stimme für die bosnischen Opfer erhoben.

Zeljko Komsic ist ein Politiker, der von allen gutwilligen und versöhnungsbereiten Bosniern anerkannt und geehrt wird. Deutschland ist ihm auch deshalb verpflichtet, weil die Regierung Kohl/Kinkel in den 1990-er Jahren nichts Ernsthaftes unternommen hat, um den Völkermord zu beenden. Christian Schwarz-Schilling hatte damals aus Enttäuschung die Bundesregierung verlassen.

In Dayton wurde das Land Bosnien-Herzegowina so geteilt, dass die eine ethnisch gesäuberte Hälfte einer Bewegung überlassen wurde, die bis heute von Kriegsverbrechern durchsetzt ist, und dass keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um die Rückkehr der Vertriebenen durchzusetzen.

Wir bitten Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Ihrem Staatsgast zu signalisieren, dass Sie zur Wiedergutmachung beitragen wollen. Deutschland muss sich entschieden gegen das Vorhaben des Teilstaates "Republika Srpska" wenden, ein Plebiszit für den Anschluss an Serbien durchzuführen. Aus dieser Region wurden 60 % der Bevölkerung vertrieben. Die Bundesregierung sollte sich für eine sinnvolle Gliederung Bosniens in Regionen und eine echte Selbstverwaltung der Gemeinden einsetzen.


Mit freundlichen Grüßen

Tilman Zülch


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 11. Januar 2010
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2010