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AFRIKA/549: Nigeria - Trotz Massenproteste kein politischer Dialog in Biafra-Frage


Presseerklärung vom 17. Dezember 2015

Anhaltender Streit um Bestrafung von Biafra-Aktivisten:
Trotz breiter Massenproteste setzt Nigeria in der Biafra-Frage auf Kriminalisierung statt auf politischen Dialog


Trotz anhaltender Massenproteste setzen Nigerias Behörden in der Biafra-Frage auf Kriminalisierung der Aktivisten statt auf politischen Dialog, wirft die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) der Regierung in Abuja vor. "Der Streit um die Bestrafung des Direktors von Radio Biafra, Nnamdi Kanu, zeigt, dass Nigerias Politiker kurzsichtig auf Einschüchterung setzen und sich nicht mit den Hintergründen des Aufbegehrens beschäftigen wollen. Dieses Vorgehen schürt weitere ethnische Spannungen und Proteste", sagte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Donnerstag in Göttingen. "Dass Staatspräsident Muhammadu Buhari jedes Gespräch über die von den Biafranern beklagte Marginalisierung ablehnt, ist wenig hilfreich und spricht auch nicht für Nigerias Demokratie."

Der Menschenrechtler warnte vor einer gewaltsamen Niederschlagung der Protestbewegung, die die Freilassung von Kanu fordert. Wegen seiner kritischen Berichterstattung und seines Engagements für mehr Mitsprache der Volksgruppe der Ibo im Osten von Nigeria, dem früheren Biafra, wurde dem Journalisten Verschwörung, Einschüchterung und Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation vorgeworden. Er sitzt seit 90 Tagen in Haft. Zuletzt waren am 2. Dezember mehr als 40.000 Biafraner auf die Straße gegangen. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Dabei wurden mindestens neun Ibo und ein Polizist getötet, berichteten Augenzeugen. Die Polizei bestreitet, dass Demonstranten zu Tode kamen.

Auch am heutigen Donnerstag werden Massenproteste erwartet, denn das Oberste Bundesgericht soll über einen Antrag auf Haftentlassung auf Kaution des am 17. Oktober 2015 festgenommenen Redakteurs entscheiden. Kanu ist auch Vorsitzender der Aktivisten-Organisation "Indigenous People of Biafra (IPOB)". Zwar hatte das Amtsgericht in Abuja bereits im Oktober seine Freilassung angeordnet, doch die Staatliche Sicherheitsbehörde (DSS) hatte in einer juristisch umstrittenen Weise seine weitere Inhaftierung durchgesetzt. Am Mittwoch hat ihn das Amtsgericht von Abuja von allen strafrechtlichen Vorwürfen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Anklage zwar zurückgezogen, will ihn jetzt jedoch vor einem Bundesgericht wegen "Terrorismus" und "finanzieller Förderung terroristischer Aktivitäten" belangen.

Auch die angesehene nigerianische Menschenrechtsorganisation "Civil Liberty Organization (CLO)" kritisiert die Missachtung der richterlichen Anordnung auf Haftentlassung. Sie wirft den Behörden vor, Gerichtsentscheidungen zum wiederholten Mal zu ignorieren. Die Sicherheitsbehörden sollten sich lieber auf den Kampf gegen Boko Haram konzentrieren, als IPOB-Demonstranten zu verfolgen, verlangte die CLO. Nigerias Polizei hatte nach den Demonstrationen Anfang Dezember 2015 Ermittlungsverfahren gegen 137 IPOB-Demonstranten eingeleitet. Auch das "Nationale Forum christlicher Ältester" forderte faire Verfahren für die beschuldigten christlichen Biafraner. Vor fast 50 Jahren hatte sich Biafra für unabhängig erklärt, wurde jedoch von der nigerianischen Armee zurückerobert. Dabei wurde an den Biafranern Völkermord begangen, der bis heute nicht aufgearbeitet ist.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 17. Dezember 2015
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2015

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