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NAHOST/244: Tag der Pressefreiheit - Medien in der Türkei weiter Willkür und Repression ausgesetzt


Amnesty International - Pressemitteilung vom 3. April 2019

Tag der Pressefreiheit:
Medien in der Türkei weiter Willkür und Repression ausgesetzt

Eren Keskin wegen Einsatz für unabhängige Presse im Visier der türkischen Justiz


Zum heutigen Tag der Pressefreiheit erinnert Amnesty International an die vielen in der Türkei verfolgten Journalisten und fordert ein Ende der Kriminalisierung der unabhängigen Presse. Dazu gehört auch ein Ende des Prozessfeldzugs gegen Eren Keskin. Die Anwältin hatte von 2013 bis Anfang 2016 symbolisch den Posten der Chefredakteurin der prokurdischen Zeitung "Özgür Gündem" übernommen. Wegen dieses Eintretens für eine freie Presse in der Türkei sieht sich Keskin mit knapp 130 Gerichtsverfahren konfrontiert. BERLIN, 03.05.2019 - Die 59-jährige Menschenrechtlerin Eren Keskin ist eine der eindrücklichsten Figuren der türkischen Zivilgesellschaft. Seit Jahrzehnten setzt sie sich für unterdrückte Minderheiten und die Opfer sexualisierter Gewalt ein. Daneben macht sie sich stark für die Meinungsfreiheit und die unabhängige Presse in der Türkei.

"Der Tag der Pressefreiheit erinnert uns alle an die vielen Menschen, die allein deswegen schikaniert, bedroht, inhaftiert und ermordet werden, weil sie täglich das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit verteidigen", sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. "Eren Keskin ist eine von ihnen: Sie hat die prokurdische Zeitung 'Özgür Gündem' von 2013 bis Anfang 2016 als symbolische Chefredakteurin unterstützt - und das in der Türkei, dem größten Gefängnis für Journalisten", so Beeko. "129 Gerichtsverfahren hat Eren Keskin dieses Bekenntnis zur Pressefreiheit eingebracht. Dieses Vorgehen zeigt, dass die türkischen Behörden die Justiz als politisches Werkzeug gegen Kritiker einsetzt."

Die türkischen Behörden werfen Eren Keskin wegen einiger Artikel aus ihrer Chefredaktionszeit Präsidenten-Beleidigung und Verstöße gegen das Anti-Terror-Gesetz vor. So befand ein Gericht Eren Keskin der "Beleidigung des Präsidenten" für schuldig, weil in einem Artikel vom Oktober 2015 über "Mörder Erdoğan"-Sprechchöre auf einer Demonstration berichtet wurde. Wenige Tage zuvor waren bei einem Bombenanschlag mehr als 100 Menschen getötet worden. Weder die Zeitung noch Eren Keskin hatten sich die Parole der Demonstranten zu eigen gemacht, es ging um eine rein journalistische Berichterstattung über die Demonstration.

"Amnesty International fordert die türkischen Behörden dazu auf, die willkürlichen juristischen Schikanen gegen Eren Keskin fallen zu lassen", sagt Beeko. "Alle nur aufgrund ihrer journalistischen Tätigkeit erhobenen Anklagen gegen Journalisten und Medienmitarbeiter verstoßen gegen das Recht auf Meinungsfreiheit: Journalismus ist kein Verbrechen."

Die Zeitung "Özgür Gündem" ist inzwischen verboten worden. Gegen Eren Keskin wurden in erstinstanzlichen Urteilen bereits mehr als 12 Jahre Haft und etwa 75.000 Euro Geldstrafe verhängt. In dem Hauptverfahren gegen die "Özgür Gündem" sind neben Keskin acht weitere Personen angeklagt, darunter sind unter anderem die prominente Schriftstellerin Aslı Erdoğan, die als Kolumnistin für die Zeitung tätig war. Der nächste Prozesstag im Hauptverfahren ist am 3. Juli 2019.

Zur Person

Eren Keskin arbeitet seit 1984 als Rechtsanwältin und ist aktives Mitglied des Menschenrechtsvereins der Türkei (İHD) seit dessen Gründung 1986. Mehrere Jahre war sie Vorsitzende des İHD in Istanbul und stellvertretende Vorsitzende auf Landesebene. Heute ist sie Ko-Vorsitzende auf Landesebene.
Als Strafverteidigerin war und ist sie vor allem mit politischen Fällen befasst. Sie setzt sich engagiert für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für die Rechte verfolgter Angehöriger von Minderheiten ein, insbesondere für Kurden, Armenier, Flüchtlinge sowie homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen. 1997 gründete sie zusammen mit anderen Rechtsanwältinnen ein Projekt zur juristischen Unterstützung von Frauen, die in der Haft vergewaltigt oder anderen Formen sexueller Folter unterworfen wurden, das Rechtshilfebüro gegen sexuelle Misshandlungen und Vergewaltigungen in Haft.

2001 erhielt Eren Keskin für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin zahlreicher internationaler Preise, unter anderem des Aachener Friedenspreises (2004), des Hrant Dink Awards (2017) und des Helsinki Civil Society Awards (2018).

Pressefreiheit in der Türkei

Mehr als 130 Journalistinnen und Journalisten sind in der Türkei derzeit in Haft. Damit befinden sich in der Türkei das dritte Jahr in Folge mehr Medienschaffende in Haft als in jedem anderen Land der Welt. Die türkische Regierung geht systematisch gegen kritische Stimmen im Land vor. Mehr als 170 Medienhäuser hat die Regierung schließen lassen und über 2.500 Medienschaffende haben ihren Job verloren.

Die Kampagne "Mut braucht Schutz"

Eren Keskin ist eine der Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler, für die sich Amnesty International in der Kampagne "Mut braucht Schutz" einsetzt.
Weltweit engagieren sich Aktivisten friedlich und entschlossen für ihre Rechte und die Rechte anderer ein: Sie fordern das Ende von Gewalt gegen Minderheiten und verlangen gleiche Rechte für alle Menschen. Doch aufgrund ihres Einsatzes werden diese Menschenrechtler selbst zum Ziel von Drohungen und Angriffen, viele bezahlen ihren Einsatz mit dem Leben. Allein 2018 wurden 321 Menschenrechtler ermordet. Mit "Mut braucht Schutz" ruft Amnesty die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich für bedrohte Menschenrechtsaktivisten einzusetzen.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 3. Mai 2019
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2019

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