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GRUNDSÄTZLICHES/305: Fotografie und Menschenrechte (ai journal)


amnesty journal 10/11/2012 - Das Magazin für die Menschenrechte

Fotografie und Menschenrechte

von Ute Wrocklage und Daniel Veit



Vor vierzig Jahren, am 8. Juni 1972, machte der Fotograf Nick Üt in Vietnam eine Reihe von Aufnahmen, von denen eine zum Sinnbild für den Krieg und die Verbrechen an Kindern und der Zivilbevölkerung schlechthin wurde: Sie zeigt flüchtende Kinder nach einem Napalm-Angriff. Das Foto erschien auf den Titelseiten vieler Tageszeitungen weltweit und spielte in der amerikanischen Anti-Kriegs-Bewegung und in der Diskussion über die Legitimität des Vietnamkriegs eine bedeutende Rolle.

In unzähligen Fällen haben Fotografien dazu beigetragen, dass Menschenrechtsverletzungen in Krisenregionen ein konkretes Gesicht erhielten und nicht betroffene Menschen in fernen Ländern emotional bewegt und zum Handeln motiviert wurden. Die Arbeit der Fotografen, die Menschenrechtsverletzungen in Kriegs- und Krisenregionen dokumentieren und so Aufmerksamkeit für Missstände schaffen, kann daher nicht hoch genug bewertet werden. Länder, in denen gegen die Menschenrechte verstoßen wird, schränken oft auch die Meinungs- und Pressefreiheit ein, um unliebsamer Berichterstattung vorzubeugen. Für Journalisten und Fotografen, die ihre Beobachtungen und Meinungen dennoch publizieren, kann das Repressionen zur Folge haben. Schlimmstenfalls können sie selbst ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten und Menschenrechtsverletzungen erleiden. Auch diejenigen, die auf den Fotos zu sehen sind, können die Folgen zu spüren bekommen, vor allem wenn sie nach der Veröffentlichung weiterhin im Wirkungsbereich des Unterdrückungsapparates leben. Nicht allein deswegen ist seitens der Fotografen Verantwortung und die Einhaltung journalistischer Grundsätze gefragt. Das Gebot der Wahrhaftigkeit und die Sorgfaltspflicht gelten auch für Fotos und Bildreportagen.

Fast jedes Mobiltelefon verfügt heutzutage über eine Kamera, der Upload der Bilder in soziale Netzwerke kann in Sekunden erfolgen. Eine derartige Demokratisierung der Bilder ermöglicht es jedem, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und das Ereignis zu veröffentlichen. Der Arabische Frühling hat gezeigt, dass diese Form der Kommunikation dazu beitragen kann, auf die Ursachen von Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen und politische Bewegungen zu fördern. Auch wenn dies grundsätzlich positiv zu bewerten ist, so darf nicht übersehen werden, dass damit auch Probleme einhergehen.

Fotografien zeigen nicht per se die Wirklichkeit. Bilder sind seit jeher auch Gegenstand von Propaganda und Manipulation. Fotografien können inszeniert, montiert und manipuliert sein. Selbst wenn sie nicht gestellt oder bearbeitet sind, bleibt die Frage nach der Parteilichkeit der Fotografen, Redakteure, Verleger usw. Eine Menschenrechtsverletzung der Gegenpartei lässt sich bekanntermaßen leichter anprangern als die eigene. Zwar ist jede Menschenrechtsverletzung für sich genommen zu verurteilen, aber die Wirklichkeit wird durch die Verwendung stereotyper Bilder verzerrt und die Darstellung des Konflikts tendenziös.

Angesichts der Masse von Bildern - auch von Menschenrechtsverletzungen -, die heute mit dem Mobiltelefon geknipst oder gefilmt und verbreitet werden, bleibt die Frage nach dem Wahrheitsgehalt. Bilder können wichtige Hinweise auf die Missachtung der Menschenrechte liefern und so weitere Recherchen auslösen. Ungeprüft und ohne Hinweis auf die Quelle sollten sie jedoch nicht übernommen und verbreitet werden.


Ute Wrocklage und Daniel Veit sind Mitglieder der Themengruppe Meinungsfreiheit der deutschen Sektion von Amnesty International.

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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2012, S. 20-21
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2012