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GRUNDSÄTZLICHES/298: Armut ist weiblich (ai journal)


amnesty journal 08/09/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Armut ist weiblich

Von Gunda Opfer


Mädchen und Frauen in Armut sind besonders oft von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Im Rahmen der aktuellen Dach-Kampagne "Mit Menschenrechten gegen Armut" versucht Amnesty mit verschiedenen Projekten auf ihre Situation aufmerksam zu machen und sie zu unterstützen.


Farbig gestaltete "Schmetterlinge der Hoffnung" von Amnesty-Mitgliedern aus aller Welt erhalten derzeit Mädchen und Frauen in Nicaragua, wo Vergewaltigung und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung sind. Die Aktion soll ein Zeichen der Solidarität für die dortigen Frauen sein.

"Hinsehen & Handeln - Gewalt gegen Frauen verhindern" war das Motto einer großen Kampagne von Amnesty International von 2004 bis 2010. Über 35 Projekte in zahlreichen Ländern weltweit hat die deutsche Sektion bearbeitet. Seither ist die Amnesty-Arbeit zum Thema Frauen in übergeordnete Kampagnen eingebettet, so zum Beispiel in die aktuelle mit dem Titel "Mit Menschenrechten gegen Armut".

Die Kampagne umfasst verschiedene Bereiche, wie das Recht auf Bildung und Gesundheit oder das Recht auf Wohnen in Würde. Amnesty beherzigt dabei den Grundsatz "Den Armen eine Stimme geben" und unterstützt die Menschen vor Ort, damit sie über ihre Geschicke selbst bestimmen können.

Jedes Teilprojekt rückt auch die Belange von Frauen in den Fokus, denn Armut und damit verknüpfte Menschenrechtsverletzungen prägen das Leben von Frauen in besonderem Maße und in spezifischer Weise. Frauen tragen die Hauptlast der Armut. UNO-Schätzungen zufolge sind mehr als 70 Prozent der in Armut lebenden Menschen Frauen, obwohl sie nur die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen. Auch besitzen Frauen in den Entwicklungsländern nur ein Prozent des Bodens, produzieren aber zwischen 60 und 80 Prozent der Nahrungsmittel.

Einer der Hauptgründe für die Ungleichheit ist die Diskriminierung von Frauen und Mädchen. In einigen Ländern ist diese gesetzlich verankert. In anderen Ländern gelingt es trotz Gleichstellungsgesetzen nicht, die Diskriminierung von Frauen in der Praxis zu verhindern.

Eine Grundvoraussetzung, um eigene Rechte einfordern zu können, ist Bildung. Bildung ist ein eigenständiges und zentrales Menschenrecht. Arme Familien sind aber meist nicht in der Lage, Schulbildung für alle Kinder zu bezahlen. Oft werden Jungen als zukünftige Ernährer von den Familien bevorzugt, während die Mädchen, anstatt in die Schule zu gehen, im Haushalt und auf dem Feld helfen müssen, bis sie heiraten - eine lebenslang wirkende Benachteiligung. Männer entscheiden in vielen Ländern über das Leben von Frauen. Neben fehlender Bildung führen Sitten, Kultur und Religion zum Ausschluss der Frauen aus dem politischen Leben. Nicht selten werden sie bereits sehr jung verheiratet, können sich kein Gehör verschaffen und nicht selbst über ihr Leben bestimmen. Dies ist zum Beispiel im Jemen häufig der Fall. Amnesty hat deshalb ein Projekt initiiert, das den Titel trägt: "Jemen - Mädchen und Frauen: Verurteilt zu Zwangsheirat, Misshandlung, Diskriminierung".

Vielerorts können Frauen nicht darüber bestimmen, ob und wann sie Kinder bekommen. Mittel der Familienplanung werden ihnen verwehrt oder sind durch restriktive Gesetze von vornherein ausgeschlossen. Andererseits sind schwangerschaftsbedingte Komplikationen die häufigste Todesursache bei 15- bis 19-jährigen Frauen in Entwicklungsländern. Die überwiegende Mehrzahl dieser Todesfälle wäre vermeidbar, wenn finanzielle Hürden beim Zugang zu Gesundheitsdiensten abgeschafft würden und geeignete Notfalleinrichtungen zur Verfügung stünden. Amnesty hat sich dem Thema Müttersterblichkeit bislang mit Projekten in Peru, Sierra Leone, Burkina Faso, Nicaragua, USA und Indonesien gewidmet.

Armut ist ein Grund für Kriege und gewalttätige Konflikte. Gleichzeitig verschärft sich die Armut durch bewaffnete Auseinandersetzungen. Auch dienen Frauen oft als Zielscheiben: Sexuelle Gewalt gegen Frauen wird häufig als Mittel der Kriegsführung eingesetzt, um Gesellschaften zu destabilisieren. So gab es zum Beispiel Berichte darüber, dass Vergewaltigungen in der Krisenregion Darfur im Sudan strategisch eingesetzt werden.

Armut führt in vielen Ballungsräumen zu Slumbildung. Sogenannte "Sanierungen" dieser Viertel haben häufig Zwangsräumungen zur Folge. Der Amnesty-Bericht "Keine Toiletten, keine Sicherheit: Erfahrungen von Frauen in den Slums von Nairobi" machte 2010 auf die gefährliche Situation von Frauen in Kenia aufmerksam: Viele trauen sich zum Beispiel nicht, nachts das Haus zu verlassen, um eine Toilette aufzusuchen. Sie leben in einer menschenunwürdigen Umgebung mit unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und in ständiger Angst vor sexueller Gewalt. Amnesty fordert deshalb von der kenianischen Regierung, die Sicherheit von Frauen in den Slums sowie eine bessere Versorgung mit Sanitäranlagen zu gewährleisten.

In fast allen Ländern - gerade auch dort, wo es um ihre Rechte schlecht bestellt ist - existieren Netzwerke und Initiativen von und für Frauen, die sich zu Wort melden und der Diskriminierung von Frauen mutig entgegentreten. Dadurch bringen sie sich oft selbst in Gefahr. Für Amnesty ist es ein ganz wichtiges Anliegen, diese Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger mit aller Kraft zu unterstützen. Unlängst geschah dies mit Petitionen zugunsten von Frauenhäusern in Afghanistan, die von der Aktivistin Noor Marjan geleitet werden.


Die Autorin ist Sprecherin der Themen-Koordinationsgruppe "Menschenrechtsverletzungen an Frauen" der deutschen Sektion von Amnesty International. Weitere Informationen auf www.amnesty-frauen.de


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2011, S. 55
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2011