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GRUNDSÄTZLICHES/277: Die Menschenrechtsarbeit der vergangenen zehn Jahre (ai journal)


amnesty journal 06/07/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Gegen den Strom

Die Menschenrechtsarbeit der vergangenen zehn Jahre: Ein Rückblick von Barbara Lochbihler, scheidende Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.


Wenn ich heute in den Zeitungen lese, dass die CIA die "black sites", ihre Geheimgefängnisse in Osteuropa und anderswo, aufgibt und ihre Foltermethoden nicht mehr einsetzt, dann lehne ich mich bisweilen zurück und freue mich ein wenig. Dann erinnere ich mich, wie oft Amnesty International in den vergangenen acht Jahren diese Menschenrechtsverletzungen im Anti-Terrorkampf angeprangert hat. Wir wurden dafür verächtlich gemacht; unsere Anliegen wurden weggewischt mit dem Verweis auf oberflächlichen Anti-Amerikanismus.

Als sich dann begründete Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen im Anti-Terrorkampf auch gegen europäische Regierungen richteten, waren wir mit einer fast geschlossenen Abwehrhaltung konfrontiert. Die Regierungen waren sich prinzipiell darin einig, dass Menschenrechte im Anti-Terrorkampf geachtet werden müssen - doch nur, so gut es eben geht. Von ihrer eigenen Verantwortung wollen sie nichts gewusst haben: Offiziell waren sie nicht beteiligt und hätten vielleicht genauso wieder gehandelt, da es um unser aller Sicherheit ginge. Wenn ich auf die vergangenen zehn Jahre meiner Arbeit als Generalsekretärin von Amnesty International zurückblicke, dann war die Arbeit gegen Menschenrechtsverletzungen im Anti-Terrorkampf das mit Abstand dominanteste Thema.

Jahr für Jahr haben wir dabei dokumentieren müssen, dass sich dieser menschenrechtliche "Roll Back" nicht nur auf die US-Politik bezog, sondern dass es eine Vielzahl von Regierungen in aller Welt gab, die unter dem Deckmantel nationaler Sicherheitsgesetze Menschenrechte außer Kraft gesetzt und verletzt haben. Teilweise über viele Jahre hinweg wurden mühsam erkämpfte Fortschritte bei den Menschenrechten rückgängig gemacht und die Kritik daran barsch zurückgewiesen. "Für eine Welt ohne Folter" - so lautete der Slogan der dritten weltweiten Anti-Folterkampagne, die wir im Jahr 2000 starteten.

Die Arbeit zur Abschaffung der Folter war in den vergangenen zehn Jahren auch in der deutschen Amnesty-Sektion prägend. Es ging dabei um das Verbot des Exports von Elektro-Foltergeräten, um die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Anti-Folterkonvention, und um unzählige Einzelfälle. Im Namen des so genannten Kampfes gegen den Terror haben zunehmend auch Rechtsstaaten gegen das absolute Folterverbot verstoßen. Die Bilder aus dem US-Militärgefängnis in Abu Ghraib 2004 legten ein schockierendes Zeugnis darüber ab und lösten auch in der deutschen Öffentlichkeit Entsetzen aus.

Umso erschreckender war es, dass sich aber auch hierzulande Stimmen mehrten, die dem Staat in bestimmten Ausnahmesituationen das Recht einräumen wollten, Folter anzudrohen oder anzuwenden. Die deutsche Amnesty-Sektion hat deshalb 2005 die Initiative "Nein zur Folter. Ja zum Rechtsstaat" gestartet, mit der wir uns entschieden gegen diese Tendenz gestellt haben. Wir fanden dafür breite Unterstützung aus unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft.

Für mich war es damals sehr erschreckend festzustellen, dass wir auch in unserer Gesellschaft so schnell auf "dünnes menschenrechtliches Eis" geraten können. Oft musste ich in Veranstaltungen, in Universitäten und Schulen erklären, warum unserer Gesellschaft nichts fehlt, wenn wir nicht foltern dürfen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Völkerrecht, unser Grundgesetz und die Strafprozessordnung verbieten Folter aus gutem Grund. Dabei muss es bleiben, und nicht nur Amnesty International wird auch zukünftig wachsam sein müssen. Jede und jeder Einzelne ist mitverantwortlich dafür, in welcher Gesellschaft wir leben.

Und an eine weitere Auswirkung des 11. September 2001 erinnere ich mich rückblickend. Die internationale Ratstagung von Amnesty International hatte im August 2001 im Senegal mit übergroßer Mehrheit beschlossen, künftig intensiver für die Einhaltung und Gewährung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu arbeiten.

Dieses Vorhaben stellt eine große Herausforderung dar: Die Ressourcen der internationalen Organisation und der inhaltlichen Arbeit müssen so umgestellt werden, dass konkrete Research-Arbeit ermöglicht wird, um Handlungsaufforderungen an Regierungen formulieren zu können. Eine weltweite Kampagne sollte konzipiert werden, unter Miteinbeziehung der in Armut lebenden und ausgegrenzten Gruppen und Personen. Die menschenunwürdigen Bedingungen der Armut sollten einen zentralen Raum unserer Arbeit einnehmen.

Der so genannte Kampf gegen den Terror hat uns aber bereits 2001 eine ganz andere Menschenrechtsagenda aufgezwungen. Deshalb ist die Arbeit zur Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht annähernd so weit gediehen, wie wir es vorgesehen hatten. Dennoch hat Amnesty International sehr gute Untersuchungen veröffentlicht, z.B. zur Verletzung des Rechts auf Gesundheit in der bulgarischen Psychiatrie oder zur Verletzung des Rechts auf Arbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten. Es freut mich, dass Amnesty im Herbst mit einer großen Kampagne vor die weltweite Öffentlichkeit treten und von da an regelmäßig zum Thema Menschenwürde und Armut arbeiten wird.

"Mit dem Einsturz der Zwillingstürme in New York hat sich ihre Rolle erledigt." Diese platte Äußerung eines ranghohen US-Regierungsbeamten Ende 2001 gegenüber einer Delegation von Amnesty International verdeutlicht, mit welchen Herausforderungen die Menschenrechtsbewegung konfrontiert war. Wir haben diese schwierige Zeit gemeistert, mit zähem Nachhalten, und indem wir gegen den Strom schwammen. Es ist gut zu wissen, dass Amnesty International daran arbeitet, dass die USA auch auf ihrem Militärstützpunkt Bagram in Afghanistan aufhören, verbotene Verhörmethoden anzuwenden, dass es keine Straflosigkeit für diejenigen gibt, die Folter rechtlich legitimiert, angeordnet und durchgeführt haben.

Der Kampf gegen Straflosigkeit ist entscheidend, die Aufarbeitung der Taten ist jedoch auch prägend für die Zukunft. Die Menschenrechtsbewegung kann heute auf die Erfahrung und das Wissen zurückgreifen, dass Täter ermutigt werden, wenn es keine juristische Aufarbeitung gibt und die Opfer keine Möglichkeit haben, die an ihnen verübten Menschenrechtsverletzungen auch als Unrecht darzustellen. Die Rolle einer Menschenrechtsorganisation besteht gerade nicht darin, politische Ankündigungen hinzunehmen, denen eine gute Absicht zu Grunde liegt, sondern jeweils genau zu prüfen, was zu tun ist, um Menschenrechte zu fördern, zu schützen und einzuklagen.

Ich wünsche Amnesty International alles Gute, kluge Strategien, viele aktive Unterstützerinnen und Unterstützer und bedanke mich für die guten, lehrreichen Jahre der Zusammenarbeit.


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2009, S. 81
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2009