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ASIEN/246: China - Zwischen Zensur und neuen Freiheiten (ai journal)


amnesty journal 12/2009/01/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Zwischen Zensur und neuen Freiheiten

In keinem Land der Welt gibt es so viele Internetnutzer wie in China. Mit großem Aufwand wachen die Behörden darüber, dass sie keine regierungskritischen Informationen im Netz finden - auch mit Hilfe ausländischer Unternehmen wie Google, Yahoo und Microsoft. Trotzdem kann die Internetgemeinde kleine Erfolge im Kampf gegen die Internetzensur feiern.

Von Dirk Pleiter


Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele Internetnutzer wie in China. Da es sich um das bevölkerungsreichste Land der Erde handelt, mag dies auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen. Aber noch Mitte der neunziger Jahre hatten in der Volksrepublik nur wenige Menschen Zugang zum weltweiten Netz. Im vergangenen Juni waren es hingegen bereits 338 Millionen - was etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung entspricht. Und die Zahl wächst weiterhin rasant. Die Nutzung des Internets ist daher kein Privileg mehr für eine kleine Elite.

Dank der Verbreitung des Internets können einerseits immer mehr Chinesen auf immer mehr Informationen zugreifen. Andererseits ist es für sie nun auch leichter, Informationen über Missstände im Land international bekannt zu machen. Am 5. Juli 2009 kam es beispielsweise in der Stadt Urumqi im Nordwesten Chinas zu Unruhen, nachdem dort Angehörige der uigurischen Minderheit demonstriert hatten. Noch am gleichen Tag waren Amateuraufnahmen auf YouTube abrufbar. Durch das Internet entstehen so neue Freiräume, die auch von unabhängigen chinesischen Journalisten genutzt werden. Sie veröffentlichen die Ergebnisse ihrer Recherchen direkt im Netz. Auch Dissidenten, Menschenrechtsverteidiger und Umweltschützer nutzen mittlerweile das Netz für ihre Anliegen.


Zehn Jahre Haft für eine E-Mail

Doch Journalisten und Regimekritiker, die das Internet aus Sicht der chinesischen Behörden "missbrauchen", müssen mit der ständigen Gefahr leben, Opfer von Repressionen zu werden. Langjährige Haftstrafen drohen, wenn die Behörden den Straftatbestand der "Aufwiegelung zum Umsturz der Regierung" oder der "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" als erfüllt ansehen. Genau deswegen steht der Menschenrechtsverteidiger Tan Zuoren zur Zeit in der west-chinesischen Provinz Sichuan vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, regierungskritische Schriften im Internet verbreitet zu haben.

Im Fall von Shi Tao war es 2004 sogar nur eine einzige E-Mail, die dem Journalisten die Freiheit kostete. Kurz vor dem 15. Jahrestag des Tiananmen-Massakers hatte die chinesische Regierung die Medien angewiesen, keine Meldungen zu veröffentlichen, "die der zentralen Politik zuwider laufen". Verdächtige Kontakte zu "demokratischen Elementen in Übersee" waren ebenso verboten. Shi Tao ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern und schrieb eine E-Mail an eine amerikanische Stiftung, die sich für mehr Demokratie in China einsetzt. Er schilderte darin die Lageeinschätzung der chinesischen Behörden im Vorfeld des Jahrestages. Sieben Monate später wurde er verhaftet und wegen der "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" zu zehn Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Solch drakonische Gefängnisstrafen sind eine von vielen Methoden, mit denen die chinesischen Behörden versuchen, das Internet zu kontrollieren und Regimekritiker mundtot zu machen.

Jeder Internetanbieter muss seine Lizenz beim Ministerium für Informationsindustrie beantragen. Dieses kann den Zugang zu unerwünschten Informationsangeboten jederzeit sperren lassen. Von diesen Maßnahmen ist auch immer wieder die Seite www.amnesty.org von Amnesty International betroffen. Kurz vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Peking hatten die Behörden die Seite zwar im August 2008 freigeschaltet. Seit Anfang dieses Jahres ist der Zugang jedoch wieder gesperrt. Welche Seiten zensiert oder abgeschaltet werden, hängt nicht nur von der aktuellen politischen Lage ab. Die Entscheidungen können auch regional unterschiedlich sein.

In politisch besonders brisanten Situationen gehen die Behörden auch so weit, die Nutzung des Internets vollständig zu unterbinden. Dies kann aber einen Konflikt zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen zur Folge haben. Nach den Unruhen in Urumqi wurde das Internet in Teilen der Stadt gesperrt, um die "Verbreitung von Gerüchten zu unterbinden". Als die Beschränkungen mehrere Wochen später aufgehoben wurden, beklagten sich örtliche Firmen über die durch die Blockade entstandenen wirtschaftlichen Einbußen.

Unternehmen sind aber nicht nur Opfer der Zensur. Sie spielen längst auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, den Zugriff auf das Internet einzuschränken. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Internetanbieter wären die Behörden gar nicht in der Lage, die aufwendige Kontrolle des Internets durchzuführen. Schon frühzeitig wurden die Unternehmen daher bei der Zensur eingebunden, etwa durch die "Öffentliche Erklärung der chinesischen Internetindustrie zur Selbstdisziplin" von 2002. Seitdem haben Firmen in verschiedener Weise dazu beigetragen, die Freiheit im Internet zu beschränken. Anbieter von Inhalten sind dazu angehalten, ihre Seiten mit Filterprogrammen oder durch Personal immer wieder zu überprüfen. Wenn sie dem nicht nachkommen, droht ihnen im schlimmsten Fall die Schließung.


"Selbstzensur gehört dazu, um ins Geschäft zu kommen"

Auch ausländische Firmen sind beteiligt. Eine Suche auf google.cn führt beispielsweise nur zu einer gefilterten Treffer-Auswahl. Die Firma sei darüber nicht glücklich, so ein Google-Vertreter, aber "Selbstzensur gehört zu den Voraussetzungen, um in China ins Geschäft zu kommen". Microsoft sperrte im Dezember 2005 nach Aufforderung durch die chinesischen Behörden den Blog eines Nutzers, obwohl dessen Seite gar nicht auf einem chinesischen Server lief Die schwerwiegendsten Folgen hatte bislang das Verhalten der Firma Yahoo. Der bereits erwähnte Journalist Shi Tao konnte erst dann als Autor der E-Mail identifiziert werden, nachdem Yahoo die entsprechenden Benutzerdaten den chinesischen Behörden übermittelt hatte.

Doch was müsste getan werden, um in Zukunft zu verhindern, dass Nutzer des Internets zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen werden? Die Frage lässt sich nicht einfach damit beantworten, indem man die Abschaffung der Internetzensur fordert. Einige der Zensurmaßnahmen begründen die chinesischen Behörden damit, dass sie die Verbreitung von Pornografie und exzessiven Gewaltdarstellungen verhindern wollen. Ein Beispiel dafür ist die Zensursoftware "Grüner Damm": Ursprünglich war geplant, dass sie ab dem vergangenen Juli auf jedem neu in China verkauften PC installiert sein sollte.

Klar ist allerdings auch, dass eine derartige Software dazu genutzt werden kann, um gegen politisch missliebige Inhalte vorzugehen. In diesem Fall drohen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, weil die chinesischen Behörden weitreichende Möglichkeiten haben, politisch missliebige Personen zu verfolgen, mit dem Strafgesetzbuch als Vorwand.

Verfolgung zu verhindern und die Meinungsfreiheit zu fördern, ist auch Aufgabe von Unternehmen. Sie sollten unmissverständlich den Schutz der Meinungsfreiheit zu einem ihrer Anliegen erklären. Wo nach Inhalten gefiltert wird, sollte dies offen gelegt werden. Firmen dürfen sich nicht zu Handlangern bei Menschenrechtsverletzungen machen und müssen ihre Rechtsmittel vollständig ausschöpfen, um dies zu verhindern.

Die Nutzer ihrer Angebote wehren sich aber mittlerweile auch selbst gegen die Zensur. So hatte der auch in Deutschland bekannte Künstler Ai Weiwei für den 1. Juli zu einem Internetboykott aufgerufen. Als die für diesen Tag geplante Einführung des "Grünen Damms" daraufhin verschoben wurde, konnten die rund 200 Unterstützer des Aufrufs in Peking einen unerwarteten Erfolg feiern.


Der Autor ist ehrenamtlicher China-Experte der deutschen Sektion von Amnesty International.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2009/Januar 2010, S. 24-25
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2009