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ASIEN/239: Ein Ende der Straflosigkeit in Indonesien gefordert


Pressemitteilung vom 7. April 2009

Ein Ende der Straflosigkeit in Indonesien gefordert


BERLIN, 07.04.2009 - Anlässlich der anstehenden Parlamentswahlen in Indonesien am 09.04.2009 fordert Amnesty International ein Ende der Straflosigkeit im Land. Folter, politische Morde, willkürliche Haft und andere Menschenrechtsvergehen in Indonesien müssen zukünftig rechtlich geahndet werden. So herrscht ein Klima der institutionalisierten Straflosigkeit für Mitglieder der Sicherheitskräfte, deren Anwendung exzessiver Gewalt weit verbreitet ist. Bis heute ist der Mord an Munir Thalib, Träger des Alternativen Friedensnobelpreises, im Jahre 2004 nicht aufgeklärt worden.

Zwar sind nach dem Rücktritt von Präsident Suharto vor mehr als zehn Jahren durchaus Gesetze reformiert worden, die man in der Vergangenheit zur Verfolgung Oppositioneller missbraucht hatte. Doch allein im Jahr 2008 zählte Amnesty International 117 Menschen, die als gewaltlose politische Gefangene inhaftiert sind.


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LÄNDERKURZBERICHT MÄRZ 2009


INDONESIEN

Amnesty International begrüßt die Reformansätze der vergangenen Jahre: 2005 ratifizierte Indonesien den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte. Überdies wurden in den Jahren 2006 und 2007 verschiedene Regelungen des Strafgesetzbuches für verfassungswidrig erklärt, die in der Vergangenheit der Verfolgung Oppositioneller dienten. Es geschehen jedoch weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Mindestens 117 Personen waren im Jahre 2008 als gewaltlose politische Gefangene inhaftiert. Ein zentrales Anliegen von Amnesty International ist nach wie vor die Beendigung der Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen. Besorgniserregend ist auch die weit verbreitete, exzessive Gewalt durch Sicherheitskräfte. Seit 2004 wird die Todesstrafe vermehrt angewandt. Angriffe auf religiöse Minderheiten und ihre Führer nahmen auf dem indonesischen Archipel zu. In der Region Papua verschlechterte sich die Lage im Jahre 2008. Amnesty International erhielt von dort Berichte über schwere Verstöße gegen die Menschenrechte wie Folter und willkürliche Verhaftung.


MISSACHTUNG DER FREIEN MEINUNGSÄUSSERUNG

Obwohl seit dem Rücktritt von Präsident Suharto im Jahre 1998 viele Beschränkungen der Meinungsfreiheit für Parteien, Gewerkschaften und die übrige Zivilgesellschaft aufgehoben wurden, gibt es weiterhin gewaltlose politische Gefangene. Betroffen sind in besonderem Maße Personen aus Unruhegebieten, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit friedlich in Anspruch nehmen. Flaggen, die die Unabhängigkeit einzelner Regionen Indonesiens symbolisieren, sind verboten.

Ein positiver Schritt im Jahre 2006 war die Entscheidung des Verfassungsgerichtes, das drei Artikel des Strafgesetzbuches als verfassungswidrig einstufte, die die "Beleidigung des Präsidenten" unter Strafe stellten. Die Artikel waren zur Einschränkung der Meinungsfreiheit missbraucht worden. Im Juli 2007 wurden zwei weitere Artikel für verfassungswidrig erklärt, die ebenfalls bei kritischen Äußerungen über Regierungsinstitutionen zur Verfolgung von Oppositionellen missbraucht worden waren.


STRAFLOSIGKEIT

Menschenrechtsverletzungen werden auch mehr als 10 Jahre nach dem Rücktritt von Suharto nur in seltenen Fällen verfolgt. Gerichtsverfahren enden meistens mit einem Freispruch. Sie sind von Verfahrensverschleppung, der Einschüchterung von Zeugen oder nur selektiven Anklagen geprägt. Amnesty International beobachtet einen fehlenden politischen Willen zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen.

Die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit durch die im Jahre 2000 eingerichteten Menschenrechtsgerichtshöfe ist grundsätzlich ausgeschlossen und nur in gesonderten ad-hoc-Verfahren für einzelne Fälle möglich. Eine Wahrheitskommission, wie sie in den ersten Reformjahren avisiert wurde, ist bis heute nicht eingerichtet worden. Ein erstes, inzwischen wieder aufgehobenes Gesetz beinhaltete bedenkliche Regelungen, nach denen den Tätern von schweren Menschenrechtsverletzungen Straflosigkeit gewährt werden konnte und die das Recht der Opfer auf Wiedergutmachung beschränkten.

Ungeklärt bleibt der Mord an dem Menschenrechtsaktivisten Munir im September 2004. Bis zum Jahr 2008 wurden drei Personen verurteilt, die unmittelbar an der Tat beteiligt waren. Ebenfalls im Jahre 2008 wurde mit dem ehemaligen, hochrangigen Geheimdienstler Muchdi Purwoprandjono erstmals eine Person als Hintermann des Mordes vor Gericht gestellt und bald darauf wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Nach der Anklageerhebung hatten drei Zeugen ihre Aussage zurückgezogen.

Ein Bericht der UN-Commission of Experts (CoE) über die bisherige Strafverfolgung der schweren Übergriffe in Osttimor von 1999 kommt zu dem Schluss, dass die bisherigen Verfahren offenkundig unangemessen waren. Von 18 Angeklagten wurden in den Verfahren 17 Personen freigesprochen. Die indonesisch-osttimoresische Wahrheitskommission CTF legte im Sommer 2008 ihren Bericht über die Gewalt im Jahre 1999 im Umfeld der Abstimmung über die Unabhängigkeit Osttimors vor. Sie sprach den an der Gewalt beteiligten Milizen ebenso wie dem indonesischen Militär, Polizei und Zivilverwaltung Verantwortung zu. Die indonesische Regierung drückte ihr Bedauern über die Ereignisse aus. Weitere Schritte wie eine öffentliche Entschuldigung oder strafrechtliche Maßnahmen erfolgten nicht. Die UN hatte die Untersuchungen der CTF wegen der Sorge um die Straflosigkeit boykottiert, da die Kommission die Möglichkeit besaß, Amnestien auszusprechen.


EXZESSIVE GEWALT DURCH SICHERHEITSKRÄFTE UND HAFTBEDINGUNGEN

Übermäßige Gewalt gegenüber Demonstranten und Folter und Misshandlungen während der Haft sind nach wie vor weit verbreitet. Die Haftbedingungen entsprechen nicht den internationalen Mindeststandards. Dies betrifft v.a. angemessene Schlafgelegenheiten, die Gesundheitsversorgung, angemessene Nahrung, sauberes Wasser und die hygienischen Bedingungen. Gefangene sind Opfer physischer und sexueller Gewalt und leiden unter der Überfüllung der Gefängnisse.


TODESSTRAFE

Im Jahre 2004 wurde ein faktisch drei Jahre geltendes Moratorium für Hinrichtungen aufgehoben. Im Jahre 2008 wurden zehn Menschen hingerichtet, im Jahre 2007 waren es elf. Aufsehen erregte 2008 besonders die Hinrichtung der drei so genannten "Bali-Bomber" die wegen der Anschläge in Bali im Jahre 2002 verurteilt worden waren. Die Zahl der Delikte, für die die Todesstrafe angewendet werden kann, wurde in den vergangen Jahren von Tötungs- und Drogendelikten auf terroristische Akte und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgeweitet. Im Zusammenhang mit der Todesstrafe bereitet in Indonesien das schwache und korrupte Justizsystem große Probleme.


UNTERDRÜCKUNG DER RELIGIONSFREIHEIT

Die Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya sind seit Jahren Diskriminierung, Einschüchterungen und gewalttätigen Angriffen ausgesetzt. Auf einer Demonstration im Juni 2008 in Jakarta für Religionsfreiheit wurden Teilnehmer von einer kleinen Gruppe von Fundamentalisten angegriffen. Die Polizei beobachtete die Übergriffe, griff jedoch nicht ein. Die indonesische Regierung untersagte bestimmte Aktivitäten der Ahmadiyya per Dekret und kriminalisierte dadurch deren Anhänger.


VERSTÖSSE GEGEN WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE RECHTE

In städtischen Wohngebieten und im ländlichen Raum finden Landräumungen ohne angemessene Konsultation mit den Betroffenen bzw. mit unangemessen niedrigen Entschädigungen statt. So wurden im Januar 2007 bei der Ausweitung einer Bahnlinie in Ost-Jakarta 600 Familien obdachlos. Im Dezember 2008 starben zwei Kinder bei der Räumung eines Dorfes in der Provinz Riau. 58 Personen wurden verhaftet. 700 Polizisten und Angehörige von zivilen Sicherheitsgruppen hatten das Dorf ohne Vorwarnung mit scharfen Geschossen und Tränengas angegriffen und geräumt. Dem Vorfall vorangegangen war ein Landstreit des Dorfes mit einem Holzunternehmen.

Häusliche Angestellte sind nicht mit anderen Arbeitnehmern gleichgestellt. Da ihre Arbeit dem informellen Sektor zugerechnet wird, bleiben ihnen viele Rechte, wie z.B. das Recht auf geregelte Arbeitszeiten, die ihnen nach internationalen Standards zustehen, verwehrt. Da sie oft kaum Kontakte außerhalb ihres Haushaltes haben, sind sie außerdem häufig Opfer von Ausbeutung und Missbrauch.


SITUATION IN EINZELNEN PROVINZEN

Nanggroe Aceh Darussalam (NAD)

Seit dem Friedensschluss zwischen der Unabhängigkeitsbewegung GAM und der indonesischen Regierung im Jahre 2005 hat die Zahl der Menschenrechtsverletzungen abgenommen. Über die Ausgestaltung eines geplanten Menschenrechtsgerichtshofes und einer Wahrheitskommission, die im Friedensschluss vereinbart wurden, besteht allerdings noch Unsicherheit. So bleibt offen, ob die massiven Menschenrechtsverletzungen aus der Vergangenheit gerichtlich verfolgt werden. Die Übergriffe durch Sicherheitskräfte und GAM waren bei den Militäroperationen innerhalb der fast 30 vergangenen Jahre derart zahlreich und schwerwiegend, dass praktisch das gesamte Leben in der Provinz davon beeinträchtigt wurde. Auch die seit dem Friedensschluss begangenen Menschenrechtsverletzungen sind bislang nicht verfolgt worden. Vermehrt klagen z.B. Umweltorganisationen über Einschüchterungsversuche ihrer Mitglieder.

Zunehmend wird auch Sorge über die Anwendung der Sharia-Strafgesetzgebung laut. Frauen beklagen, dass sie häufig ohne Grund von Sitten-Patrouillen schikaniert werden.


Papua

Hintergrund von Menschenrechtsverletzungen der Region Papua ist häufig der Konflikt um separatistische Bestrebungen und wirtschaftliche Ungleichgewichte. Enge Restriktionen für den Zugang zur Provinz haben weiterhin Bestand, so dass nur wenige ausländische Journalisten und Organisationen einreisen können. Auch wird von Einschüchterungsversuchen gegen einheimische Menschenrechtsaktivisten berichtet. All dies schafft ein Klima von Isolation und Furcht, so dass sich ein Teufelskreis zu bilden droht, der zu weiterer Gewalt führt.

Es gab auch im Jahre 2008 Berichte über Folter und andere Misshandlungen, über die unproportionale Anwendung von Gewalt durch Sicherheitskräfte und über extralegale Hinrichtungen. Im August starb Opinus Tabuni, als die Polizei das Feuer auf die Teilnehmer einer Demonstration eröffnet hatte. Die Demonstranten hatten den World Indigenous Day gefeiert. Einige von ihnen hatten die verbotene "Morgensternflagge" entrollt, die die Unabhängigkeit Papuas symbolisiert.

Solche Übergriffe werden meist nicht effektiv verfolgt. In den meisten Fällen wird gar nicht erst ermittelt. In zwei Fällen aus den Jahren 2001 und 2003 stellte beispielsweise die Nationale Menschenrechtskommission Komnas HAM Ermittlungen an und übergab sie im Jahre 2004 der Staatsanwaltschaft. Dort wurden bislang offensichtlich keine weiteren Schritte unternommen. Bei beiden Fällen handelt es sich um Polizeiaktionen, bei denen mehrere Menschen getötet, vergewaltigt und gefoltert worden sein sollen. Unter den gewaltlosen politischen Gefangenen befinden sich zwei Personen, die im Jahre 2005 zu 10 bzw. 15 Jahren Haft verurteilt wurden, weil sie bei einer Demonstration im Jahre 2004 eine Flagge als Symbol für die Unabhängigkeitsbewegung gehisst hatten. Molukken

Im Jahre 2007 entrollten 22 Personen auf einer Zeremonie zum Empfang des indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono die verbotene "Benang Raja"-Flagge. Die 22 Personen wurden von etwa 20 Polizisten und Leibwächtern des Präsidenten fortgeführt und mit Gewehrkolben geschlagen. Auch in der Folgezeit wurden sie misshandelt, unter anderem von der Anti-Terroreinheit Densus 88, die mit australischer und US-amerikanischer Hilfe aufgebaut wurde. Die Demonstranten wurden im Jahre 2008 wegen Subversion zu Haftstrafen zwischen sieben und zwanzig Jahren verurteilt.


AMNESTY INTERNATIONAL FORDERT

Strafverfolgung aller Fälle von Menschenrechtsverletzungen sowie ein Ende von willkürlichen Festnahmen und anderen Übergriffen durch die Sicherheitskräfte; eine umfassende und unabhängige juristische Aufklärung aller Menschenrechtsverletzungen.

Sofortige Freilassung aller Personen, die nur wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit verhaftet und verurteilt wurden.

Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz z.B. durch bessere Ausbildung von Justizpersonal auf dem Gebiet des Internationalen Rechtes sowie die Verbesserung des Zeugenschutzes.

Aussetzung aller anstehenden Hinrichtungen und Aufhebung der Todesstrafe. Freier Zugang zu der Provinz Papua für Menschenrechtsbeobachter, Journalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und andere Personen und Institutionen.


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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 7. April 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2009