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ASIEN/209: Kindersoldaten in Myanmar (ai journal)


amnesty journal 11/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Nirgendwo gibt es so viele Kindersoldaten"
Was die Ausbeutung Minderjähriger angeht, ist Myanmar die unangefochtene Nummer eins. Ein Gespräch mit Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte bei terre des hommes.

Interview: Helen Sibum


FRAGE: Welches Ausmaß hat der Missbrauch von Kindern als Soldaten in Myanmar?

RALF WILLINGER: Es wird geschätzt, dass jeder fünfte Soldat der staatlichen Armee ein Kind ist. Da die Armee nach den letzten Schätzungen 380.000 Soldaten hat, sind es etwa 70.000 unter 18-jährige Kämpfer. Zudem gibt es Kindersoldaten in diversen nicht-staatlichen Gruppen, hier belaufen sich die Schätzungen auf 7.000. Es gibt kein Land weltweit, das mehr Kindersoldaten hat.

FRAGE: Beim Stichwort Kindersoldaten denkt man gemeinhin an Afrika. Warum ist das Problem gerade in Myanmar so groß?

RALF WILLINGER: Auch auf den Philippinen, in Indien und in Indonesien gibt es Kindersoldaten. Das Problem ist in Myanmar so groß, weil dort die staatliche Armee mit brutalen Methoden und in großem Ausmaß Kinder rekrutiert. Das Hauptproblem ist die burmesische Militärregierung, die Menschenrechtsverletzungen aller Art begeht.

FRAGE: Welche Rolle spielen Kindersoldaten bei der Niederschlagung der aktuellen Proteste?

RALF WILLINGER: Es ist davon auszugehen, dass die Kinder auch gegen die Mönche an vorderster Front eingesetzt wurden. Da wird kein Unterschied gemacht, Kindersoldaten werden nicht geschont, oft werden sie sogar für besonders gefährliche Aufgaben wie Minenerkundung eingesetzt. Neben dem Kampf an der Waffe benutzt man sie oft für Trägerdienste, als Spione und Aufklärer. Vor allem Mädchen werden auch sexuell ausgebeutet. Kindersoldaten müssen Versorgungsaufgaben für die Armee übernehmen und werden zu Zwangsarbeit herangezogen.

FRAGE: Wie rekrutiert die Armee Kindersoldaten?

RALF WILLINGER: Die Mehrzahl der Kinder wird direkt gezwungen oder entführt. Es gibt auch so genannte Rekrutierer, die von der Regierung beauftragt sind, Kinder anzuwerben. Dabei müssen sie bestimmte Quoten erfüllen. Oft drohen sie den Kindern, sie kämen ins Gefängnis, wenn sie nicht zur Armee gehen. Manchmal wird ihnen Geld angeboten. Viele Kinder kommen aus armen Verhältnissen, aus Konfliktregionen, wo es gar kein Einkommen mehr gibt, wo die Felder von der Armee niedergebrannt werden. Von freiem Willen kann also keine Rede sein - ähnliches gilt übrigens für die allermeisten Kinder weltweit, die angeblich freiwillig bewaffneten Gruppen und Armeen beitreten. Die Rekrutierer in Burma täuschen die Kinder. Sie sagen: "Du kommst nur kurz mit, wir nehmen deine Daten auf", und dann sind sie schon dabei. Das ist übliche Praxis. Wenn sie erstmal bei der Rekrutierungsbehörde sind, wird oft ein falsches Alter eingetragen, Minderjährige werden so einfach 18 Jahre alt oder älter gemacht. Ein Rekrut berichtete, der Doktor habe ihn für zu jung befunden, weil er noch nicht mal Körperbehaarung hatte. Da wurde der Doktor einfach bestochen.

FRAGE: Wie reagiert die Militärregierung auf die internationalen Vorwürfe?

RALF WILLINGER: Es gibt ein landesweites Gesetz, nach dem unter 18-Jährige nicht rekrutiert werden dürfen, auch nicht freiwillig. Die Regierung gibt an, diese Grenze einzuhalten, in der Praxis werden die Kinder aber einfach älter gemacht. Es ist auch der UNO mehrfach versprochen worden, dass die Armee keine Kindersoldaten mehr rekrutiert und die, die in ihren Reihen sind, entlässt. Es ist sogar ein Komitee eingerichtet worden, das diese Vorgaben überwachen soll, aber letztendlich ist nichts passiert.

FRAGE: Hat die Regierung konkrete Pläne für einen Ausstieg?

RALF WILLINGER: Nein. Das Komitee ist nur dazu da, die Vorwürfe zu entkräften und Propagandaarbeit zu machen. Die Strategie der Militärregierung ist es, alles als Agitation von Exil-Burmesen und des Auslands darzustellen. Eine wichtige Zielgruppe für Aufklärungsprogramme von Menschenrechtlern sind aber die nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen. Gerade bei den Volksgruppen, die von der Militärregierung unterdrückt werden, schicken die Eltern ihre Kinder oft zu den Rebellen. Ihnen muss man klarmachen, was das für Folgen für die Kinder haben kann. Terre des hommes unterstützt das "Human Rights Education Institute of Burma", das 2006 eine Studie zur Lage der Kindersoldaten in Burma erstellt hat. Außerdem verhandelt es direkt mit den Rebellengruppen, und da gibt es Erfolge: Fünf Gruppen haben inzwischen versprochen und zum Teil öffentlich erklärt, keine Kinder mehr einzusetzen. Die Verhandlungen mit anderen Gruppen gehen weiter.


Die jüngste Studie des "Human Rights Education Institute of Burma" zum Einsatz von Kindersoldaten ist im Internet abrufbar:
www.hreib.com/images/pb/csreport.pdf
Eine deutschsprachige Zusammenfassung finden Sie unter www.kindersoldaten.de

Ralf Willinger ist Referent für Kinderrechte beim Hilfswerk terre des hommes. Sein Schwerpunkt-Thema sind Kinder in bewaffneten Konflikten. Willinger sitzt im Steuerungskomitee der "International Coalition to Stop the Use of Child Soldiers", einem Zusammenschluss verschiedener NGOs.


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Quelle:
amnesty journal, November 2007, S. 15
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2007