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ASIEN/199: Turkmenistan - "Stalinistische Methoden der Verfolgung" (ai journal)


amnesty journal 2/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Stalinistische Methoden der Verfolgung"
Ein Gespräch mit Tadschigul Begmedowa, Vorsitzende der Turkmenistan Helsinki Foundation for Human Rights.

Interview: Anton Landgraf


ai: Werden Sie persönlich bedroht?

Tadschigul Begmedowa: Es gibt Repressionen, aber wenn ich Angst habe, dann kann ich nichts tun. In Turkmenistan wurden speziell Gesetze erlassen, um Aktivitäten von Menschenrechtlern und Oppositionellen unter Strafe zu stellen.

ai: Sind auch Ihre Angehörigen davon betroffen?

Tadschigul Begmedowa: Ja. Mein Vater ist zum Beispiel seit mehreren Jahren in der so genannten inneren Verbannung: Er darf nicht mehr in die Hauptstadt reisen. Meine ältere Schwester ist zu acht Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt worden, weil sie angeblich Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet hat. Seit drei Jahren darf sie ihre Familienangehörigen nicht mehr sehen.

Zwei Brüder meines Mannes sind als politische Gefangene in Haft, wir haben keinerlei Nachricht von ihnen. Mehrere Verwandte verloren ihre Arbeit, weil sie wegen ihrer familiären Beziehungen als "Volksfeinde" gelten. Die Regierung hat die stalinistischen Methoden der Verfolgung übernommen: Das ganze Umfeld eines "Volksfeindes" wird observiert, die Arbeitskollegen ebenso wie die Nachbarn.

ai: Wie wird man zu einem so genannten Volksfeind?

Es reicht schon aus, wenn man in irgendeiner Form nicht mit dem Regime einverstanden ist. Zum Beispiel, wenn man die Beschränkung der Schulbildung oder der Reisefreiheit kritisiert. Das gilt natürlich vor allem, wenn man offen Sympathie für die Arbeit von Menschenrechtlern oder von unabhängigen Journalisten bekundet. Oder wenn man die in der Verfassung garantierten Rechte einfordert.

ai: Warum mussten Sie ins Exil gehen?

Tadschigul Begmedowa: Wir sind ursprünglich wegen unserer Kinder ausgereist - wir waren überzeugt, dass man sie in Turkmenistan ihrer Jugend beraubt. Ich wollte nach ein paar Monaten wieder zurückkehren. Doch in dieser Zeit ereignete sich ein Raub in der Zentralbank, in der mein Mann bis 1998 als stellvertretender Leiter tätig war. Man hat uns einfach diesen Überfall angehängt - obwohl wir in der fraglichen Zeit gar nicht im Land waren. Damals fing auch die Verfolgung unserer Verwandten an.

ai: Hatten Sie keine Möglichkeit, sich gegen diesen Vorwurf zu wehren?

Tadschigul Begmedowa: Die bulgarischen Behörden wollten uns zunächst ausliefern, wenn Turkmenistan entsprechende Beweise vorlegen würde - aber die konnte es natürlich nicht liefern. Im Jahr 2003 hat ein bulgarisches Gericht uns als politisch Verfolgte anerkannt und eine Abschiebung untersagt.

ai: Haben Sie nie erwogen, zurückzukehren?

Tadschigul Begmedowa: In Turkmenistan ist seit 15 Jahren das Gesetz außer Kraft gesetzt. Ich hätte kein faires Verfahren erhalten und wäre wohl in ein Arbeitslager gekommen. Die turkmenische Regierung hat panische Angst vor Menschenrechtlern und unabhängigen Journalisten. Das hat auch der Journalistin Ogulsapar Muradowa das Leben gekostet: Sie hat kein Geständnis unterschrieben, sondern ein rechtmäßiges Verfahren gefordert. Deshalb ist sie in der Haft umgekommen.

ai: Wie gehen die Behörden gegen Oppositionelle vor?

Tadschigul Begmedowa: Sie arbeiten mit fingierten Anklagen, indem "Volksfeinden" zum Beispiel Drogenbesitz unterstellt wird. So wurden dem Bruder meines Mannes auf dem Weg zu einer Vorladung Drogen in die Tasche gesteckt. Auf dem Polizeirevier wurde er anschließend verhaftet. Mein Bruder wurde auf dem Weg zur Generalstaatsanwaltschaft, wo er Beschwerde gegen das Verfahren gegen meine Schwester einreichen wollte, festgenommen. Diese Methode wurde so häufig angewendet, dass die Behörden heute andere Mittel einsetzen. Nun versuchen sie, Anklagen wegen angeblichem Waffenbesitz zu konstruieren.

ai: Welche Ziele verfolgt Ihre Organisation?

Tadschigul Begmedowa: Die Verfolgung unserer Verwandten hat uns dazu bewogen, die Turkmenistan Helsinki Foundation zu gründen. Wir sammeln Informationen zur Menschenrechtslage in Turkmenistan und geben sie an internationale Menschenrechtsorganisationen weiter. Außerdem bieten wir turkmenischen Bürgern Beratung an.

ai: Wie konnte Präsident Nijasow so mächtig werden?

Tadschigul Begmedowa: Zu Beginn seiner Präsidentschaft haben ihn viele Journalisten und Vertreter internationaler Organisationen nicht ernst genommen, auch wegen der skurrilen Gesetze, die er erlassen hat. Sie haben die Gefahr unterschätzt, die von ihm ausging. Der wichtigste Grund liegt aber sicherlich darin, dass Turkmenistan ein sehr ressourcenreiches Land ist.

ai: Wie beurteilen Sie die Reaktionen des Westens?

Tadschigul Begmedowa: Wir haben hohe Erwartungen an die Arbeit von internationalen Organisationen und Journalisten. Wir hoffen natürlich, dass es nicht nur bei leeren Worten bleibt. Doch leider stellen die Politiker oft geopolitische Interessen über die Menschenrechte. EU, UNO und OSZE müssen sich darüber im Klaren sein, dass Turkmenistan nicht mit offenen Karten arbeitet. Die Regierung weiß natürlich, dass Menschenrechte und Demokratie heute wichtig sind, und sie verwendet diese Begriffe deshalb häufig. Doch das hat nicht viel zu sagen.

ai: Welchen Effekt hat die Arbeit von amnesty?

Tadschigul Begmedowa: Die turkmenische Bevölkerung erfährt davon nichts. Aber die Machthaber nehmen sie natürlich zur Kenntnis. Es ist mehrfach vorgekommen, dass Gefangene wegen internationaler Proteste freigekommen sind. Die Arbeit von ai hat für uns große Bedeutung, wir arbeiten eng zusammen.

Als mein Vater kurz nach der Gründung unserer Organisation zusammengeschlagen wurde, habe ich ihn gefragt, ob wir unsere Aktivitäten einstellen sollen. Nein, sagte er. Da er in einem Land leben müsse, in dem Rechtlosigkeit herrsche, solle ich mit meiner Arbeit fortfahren. Dieselbe Antwort möchte ich an amnesty weitergeben: Was ai macht, ist eine sehr wichtige und unbedingt notwendige Arbeit.


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EINSATZ FÜR DIE MENSCHENRECHTE

Mit dem Besuch der turkmenischen Menschenrechtsverteidigerin Tadschigul Begmedowa startete in Berlin die ai-Kampagne "EinSatz für die Menschenrechte". Anlässlich der ai-Pressekonferenz zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2006 berichtete sie über die Journalisten Annakurban Amanklitschew und Sapardurdi Chadschijew, die von Folter und Misshandlungen bedroht sind. Sie schilderte außerdem den Fall der Journalistin Ogulsapar Muradowa, die in der Haft umkam. "EinSatz für die Menschenrechte" bietet mit Appell- Postkarten und einer Online-Petition Möglichkeiten des direkten Einsatzes für gewaltlose politische Gefangene. "Wir brauchen Ihre Unterstützung", bat Tadschigul Begmedowa. "Je größer der internationale Druck auf die turkmenische Regierung ist, desto größer ist die Chance, dass Amanklitschew und Chadschijew aus der Haft entlassen werden."

Weitere Informationen unter www.amnesty-einsatz.de


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Quelle:
amnesty journal, Februar 2007, S. 16
Herausgeber: amnesty international
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E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2007