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ASIEN/194: Nepal - Friedensprozeß und Aufarbeitung des Bürgerkrieges


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Eine beispiellose Bewegung"


Ein Gespräch mit dem früheren Vorsitzenden von ai in Nepal, Krishna Pahadi, über den Friedensprozess und die Aufarbeitung des Bürgerkrieges.

Interview: Diana Ludwig


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Frage: Wie weit ist der Friedensprozess in Nepal fortgeschritten?

Wir haben eine beispiellose Volksbewegung erlebt. Millionen Menschen sind im ganzen Land auf die Straße gegangen und haben gegen das despotische königliche Regime protestiert. Dadurch ist es gelungen, das autoritäre Regime von König Gyanendra zu besiegen. Die Menschen möchten dauerhaften Frieden. Sie möchten, dass die Verursacher der Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Regierung soll konkrete Schritte unternehmen, die Straffreiheit zu beenden.

Die Sieben-Parteien-Allianz (SPA) und die Maoisten haben vereinbart, gemeinsam ein neues Nepal aufzubauen. Sie haben sich verpflichtet, Grundfreiheiten, Menschenrechte und ein pluralistisches Parteiensystem zu garantieren. Die Nepali begrüßen das. Es liegt nun in der Verantwortung von Regierung, SPA, Maoisten und den anderen Parlamentariern, für eine faire und freie Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung zu sorgen. Wir brauchen ein förderliches Umfeld und eine angstfreie Atmosphäre.

Frage: Gefährden die nach wie vor zahlreich vorhandenen Waffen den Friedensprozess?

Beide Seiten müssen ehrlich beginnen, das Waffenproblem in den Griff zu bekommen. Es ist richtig, dass so viele Waffen freie Wahlen erschweren. Wir begrüßen daher die ersten Schritte zur Entwaffnung und vor allem die Einbeziehung der UNO. Das ist wirklich ein Zeichen der Hoffnung. Nun müssen die politischen Parteien ihre Verpflichtungen in die Praxis umsetzen. Daran hapert es. Deswegen mögen die Leute unsere Organisation HURPES.

Frage: Was fordern Sie in der aktuellen Situation?

Wir setzen uns mit unseren Freunden für ein fortschrittliches, demokratisches System ein, für ein System, das Grundfreiheiten, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit garantiert. Das sind unsere Forderungen. Wir haben erklärt, dass wir nicht an der Macht teilhaben wollen. Wir haben jede von der Regierung angebotene Position abgelehnt, auch eine Beteiligung im Übergangsparlament. Wir agieren wie Katalysatoren. Aber bei den Prinzipien der Grundfreiheiten und Menschenrechte gehen wir niemals Kompromisse ein.

Frage: Sowohl von den Sicherheitskräften als auch von den Maoisten sind in der Vergangenheit schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden. Wie sollen diese ausgearbeitet werden?

Wir haben beide Konfliktparteien aufgerufen, eine Wahrheitskommission zu bilden. Wiedergutmachung ist unbedingt notwendig, medizinische Hilfe sehr wichtig. 6.000 bis 8.000 Menschen wurden von den Sicherheitskräften außergerichtlich hingerichtet, etwa 4.000 Menschen wurden wiederum von den Maoisten getötet. Als Ergebnis maoistischer Gräueltaten sind zudem Tausende im Land vertrieben worden. Die betroffenen Familien sollten Entschädigung und Rechtshilfe erhalten. Der Verbleib von Hunderten, die unter Einwirkung des Staates "verschwunden" sind, muss öffentlich gemacht werden, ebenso wie das Schicksal derjenigen, die von den Maoisten entführt wurden. Wir fordern, dass die Verursacher der Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gebracht werden. Leider haben beide Seiten bisher abgelehnt, eine Wahrheitskommission zu bilden.

Frage: Sind Meinungsfreiheit und Grundrechte mittlerweile im ganzen Land gewährleistet? Die Maoisten setzten ihre Übergriffe fort und weigern sich, ihre so genannten Volksgerichte aufzulösen.

Wir können unsere Meinung jetzt frei äußern. Aber es ist uns noch nicht gelungen, alle Forderungen der Volksbewegung umzusetzen. So möchten wir Organisationen wie amnesty international danken, die eine kritische, sehr wichtige Rolle während der Volksbewegung spielten. Sie halfen uns, das Leben einzelner Menschenrechtsverteidiger und darüber hinaus von Tausenden von Menschen zu retten mit ihrer Intervention in verschiedenen internationalen Foren.

Die Maoisten führen sich auf dem Land nicht wie eine politische Partei, sondern nach wie vor wie ein neues Regime auf. Sie denken, dass sie den Kampf gewonnen haben. Das ist eine falsche Botschaft. Auf der maoistischen Seite fehlt der politische Wille, sich selbst zu reformieren. Wir haben die Maoisten aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern und den Leuten ohne Waffe in der Hand gegenüber zu treten. Ich denke, wenn die Maoisten die Menschenrechte und fundamentale Freiheiten beachten und versuchen, die Herzen der Leute zu gewinnen, haben sie sicherlich eine Zukunft.

Frage: Sehen Sie Chancen, die Situation der im hinduistischen Kastensystem bislang unterprivilegierten Gruppen wie den Dalits zu verbessern?

Seit zehn Jahren setzen wir uns für die Rechte der Dalits, der so genannten Unberührbaren, ein. Das Problem hängt nur zum Teil an der Religion, sondern ist auch durch Bräuche und Traditionen bedingt, die die menschliche Würde verletzen. jene, die die Menschenwürde der Dalits verletzen, sollten strafrechtlich verfolgt werden. Das erfordert einen starken politischen Willen, der aber weder bei der SPA noch bei den Maoisten zu erkennen ist.

Frage: Ist es denn beispielsweise sinnvoll, Parlamentssitze für Dalits und Frauen zu reservieren, um ihren Anliegen mehr Gehör zu verschaffen?

Es ist die Zeit für eine Umstrukturierung, eine Erneuerung der Gesellschaft. Ich denke an Sonderrechte oder Reservierung. Das hängt von den politischen Parteien ab. Wir ermutigen die Parteien, ein fortschrittliches Programm aufzustellen, das die Dalits und Frauen stärkt. Dann könnten die Frauen 40 bis 50 Prozent der Sitze erlangen. Diesen Vorschlag haben wir auch den politischen Parteien und den Maoisten unterbreitet - bisher ohne Reaktion.

Frage: Jede Partei scheint heutzutage genau zu wissen, was das nepalische Volk will. Möchten die Nepali eine Republik?

Journalisten, Universitätslehrer, Anwälte, Mitglieder der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidiger: Sie alle sind für eine demokratische Republik. Nicht für die maoistische Agenda oder die Volksrepublik, und auch nicht für die Agenda der SPA der zeremoniellen Monarchie. Volksrepublik bedeutet kommunistische Republik und wird von den Menschen in Nepal, insbesondere der Mittelklasse, abgelehnt. Kürzlich habe ich die Karnali-Zone, eine der abgelegensten Regionen in Nepal, bereist. Die Leute dort leiden unter Hunger, Unterernährung, es fehlt an Nahrung und wesentlichen Gütern. Doch auch sie haben sich für eine demokratische Republik ausgesprochen. Das ganze Land bewegt sich darauf zu.


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Der Weg zum Frieden

Ende April 2006 hatten die dreiwöchigen landesweiten Massenproteste gegen die Alleinherrschaft von König Gyanendra zugunsten von Demokratie und Frieden Erfolg. Der Monarch, der im Februar 205 die Macht an sich gerissen hatte, verkündete die Wiedereinsetzung des Parlaments. Beide Konfliktparteien des 1996 von der CPN (Maoist) ausgerufenen "Volkskrieges", der insgesamt 13.000 Tote forderte, haben die Waffen niedergelegt. Die neue Mehrparteienregierung brachte weitgehende Reformen auf den Weg: Nepal wurde zum säkularen Staat erklärt und die Armee der Kontrolle der Verfassung unterstellt. Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung sind für Mitte 2007 vorgesehen. Im vergangenen November haben die Maoisten und die der Regierung angehörenden Parteien einen Friedensvertrag abgeschlossen. Die Maoisten werden in der Übergangsregierung und im Parlament vertreten sein.


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Krishna Pahadi kämpft seit 20 Jahren für Menschenrechte und Frieden in Nepal, zuerst als Vorsitzender der nepalischen ai-Sektion, seit Juni 1996 als einer der Gründer der Menschenrechts- und Friedensgesellschaft Human Rights and Peace Society (HURPES). Wegen seiner Menschenrechtsarbeit wurde er über 25 Mal verhaftet.


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 23
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2007