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AKTION/958: Urgent Action - Brasilien - Soldaten drangsalieren afro-brasilianische Gemeinschaft


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-63/2012, AI-Index: AMR 19/005/2012, Datum: 24. Februar 2012 - gs

Brasilien
Soldaten drangsalieren afro-brasilianische Gemeinschaft


ETWA 40 FAMILIEN DER GEMEINSCHAFT RIO DOS MACACOS

MarinesoldatInnen haben 40 Familien der Gemeinschaft Rio dos Macacos wiederholt bedroht. Sie versuchen damit, sie von ihrem Land zu vertreiben. Die SoldatInnen haben Häuser dem Erdboden gleichgemacht und Mitglieder der Gemeinschaft mit vorgehaltener Waffe bedroht. Rund 40 in Sim„es Filho in Salvador im brasilianischen Bundesstaat Bahia ansässige Familien kämpfen um die ihnen als afro-brasilianische Gemeinschaft (Quilombola) zustehenden Landrechte. Die Gemeinschaft besiedelt und bewirtschaftet das Land bereits seit mehr als 100 Jahren. Gegen die Familien wurde ein Räumungsbeschluss erlassen, der nach zwischenzeitlicher Aussetzung nun doch am 4. März in Kraft treten wird. Seit Zuspitzung des Konflikts sind nach Aussagen der Gemeinschaft schwer bewaffnete MarinesoldatInnen wiederholt in ihre Gemeinde eingedrungen, haben die BewohnerInnen beschimpft, sich ohne Genehmigung Zutritt zu ihren Wohnungen verschafft, Ernterträge vernichtet und Häuser abgerissen. Bewaffnete Wachposten kontrollieren nach Angaben der Gemeinschaft den Zugang zu ihrer Siedlung und haben BewohnerInnen daran gehindert, die Ortschaft zu verlassen oder wieder dorthin zurückzukehren. Auch RegierungsvertreterInnen, die vor Ort Untersuchungen durchführen wollten, welche notwendig sind, damit das Land von Amts wegen der Gemeinschaft Rio dos Macacos übertragen werden kann, wurden von den Wachposten nicht zu der Gemeinschaft vorgelassen.

Ein Mitglied der Gemeinschaft Rio dos Macacos äußerte sich mit den Worten: "Derzeit lebe ich selbst in meinem eigenen Haus in ständiger Angst". Ein anderes Mitglied berichtete: "Die Männer vom Marinestützpunkt hielten mir ein Gewehr an den Kopf und sagten, sie würden abdrücken. Ich sollte den Mund halten. Ich würde viel zu viel reden".

Der Marinestützpunkt von Aratu wurde in den 1960er Jahren in der Nähe der Rio dos Macacos-Siedlung errichtet. Im Jahr 2009 erließ ein Richter vor Ort einen Räumungsbeschluss gegen die Gemeinschaft Rio dos Macacos, damit der Stützpunkt ausgebaut werden kann. Die Gemeinschaft wie auch BundesstaatsanwältInnen fochten den Beschluss an, woraufhin die Stiftung Palmares die Gemeinschaft schließlich am 14. Oktober 2010 als Quilombola-Gemeinde registrierte. Die Entscheidung stellt einen ersten Schritt auf dem Weg der Gemeinschaft Rio dos Macacos dar, als Quilombola-Gemeinschaft Landrechte zu erwerben. Seither haben die Drohungen gegen die AnwohnerInnen zugenommen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Bei den Quilombola-Gemeinschaften handelt es sich überwiegend um afro-brasilianische Gruppen, für die ihre Verbundenheit zum Land, ihre Abstammung und ihre kulturellen Traditionen eine maßgebliche Rolle spielen. Die brasilianische Verfassung von 1988 (Artikel 215 und 216) und die Übergangsbestimmung 68 erkennen das Recht der Nachfahren auf das Land an, das schon seit langem von den Quilombola besiedelt wird. Die Übergangsbestimmung legt fest, dass der endgültige Eigentumsanspruch der verbleibenden Angehörigen der Quilombola-Gemeinschaften auf ihren Grundbesitz im Grundbuch eingetragen werden muss ("Aos remanescentes das comunidades dos quilombos que estejam ocupando suas terras é reconhecida a propriedade definitiva, devendo o Estado emitir-lhes os títulos respectivos."). Auf einzelstaatlicher und Bundesebene wurde eine Reihe von Gesetzen erlassen, um festzulegen, wie die Demarkierung von Quilombola-Land und die Vergabe von Landtiteln an die verbleibenden Gemeinden erfolgen soll.

Zusätzlich zu brasilianischen Rechtsvorschriften ergeben sich für Brasilien auch Verpflichtungen aus dem Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der Amerikanischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Brasilien ist Vertragsstaat all dieser Übereinkommen, durch die die Ansprüche afrikanischstämmiger Gruppen auf kulturelle Rechte und Landrechte sowie auf Nichtdiskriminierung und Gleichheit vor dem Gesetz bekräftigt werden.

Es gibt rund 3.500 Quilombola-Gemeinschaften in Brasilien. Mehr als die Hälfte von ihnen ist offiziell registriert, doch haben nur 120 Gemeinden das langwierige und komplizierte Verfahren auf Zuerkennung ihrer Landtitel erfolgreich durchgestanden. Die von Quilombola-Gemeinschaften geltend gemachten Ansprüche lösen vielfach auch gewalttätig ausgetragene Konflikte mit örtlichen LandbesitzerInnen aus. Zudem sind unter anderem aus Marambaia im Bundesstaat Rio de Janeiro und aus Alcântara im Bundesstaat Maranhâo Vorfälle bekannt geworden, in die das Militär verwickelt war.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, den gegen die Gemeinschaft der Rio dos Macacos ausgestellten Räumungsbefehl bis zur Klärung der Landrechte außer Kraft zu setzen. Stellen Sie bitte sicher, dass die Gemeinschaft ihren Wünschen entsprechend Schutz erhält.

- Ich bitte Sie, die Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen die Gemeinschaft der Rio dos Macacos gründlich zu untersuchen und die dafür Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

- Ich appelliere an Sie, das offizielle Anerkennungsverfahren als Quilombola-Gemeinschaft zügig und transparent zu Ende zu bringen, um langfristige und wirksame Sicherheit zu gewährleisten.


APPELLE AN

VERTEIDIGUNGSMINISTER
Exmo. Sr. Celso Amorim
Esplanada dos Ministérios, Bloco "Q"
70.049-900 - BRASILIEN
(korrekte Anrede: Exmo. Sr. Ministro / Dear Minister/ Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 55) 61 3312 8521

MINISTERIN FÜR MENSCHENRECHTE
Exma. Sra. Ministra Maria do Rosário Nunes
Setor Comercial Sul-B, Quadra 9, Lote C,
Edificio Parque Cidade Corporate
Torre A, 10°Andar,
70308-200 - Brasília/DF, BRASILIEN
(korrekte Anrede: Exmo. Sra. Ministra / Dear Secretary / Sehr geehrte Frau Ministerin)
Fax: (00 55) 61 2025 9414


KOPIEN AN

BEWEGUNG DER FISCHER UND FISCHERINNEN
Movimento dos Pescadores e Pescadoras
Travessa Porto do Bomfim n 04
Bomfom, cep 40.415-035
Salvador - Bahia
BRASILIEN
Fax: (00 55) 71 3321 4423

BOTSCHAFT DER FÖDERATIVEN REPUBLIK BRASILIEN
S. E. Herrn Everton Vieira Vargas
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-7262 83-20
oder 030-7262 83-21
E-Mail: brasil@brasemberlim.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Portugiesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 6. April 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Call on the authorities to suspend the eviction order against the Rio dos Macacos community while the status of the lands are resolved, and ensure residents are provided with protection in accordance to their wishes.

- Urge the authorities to investigate thoroughly all allegations of threats and intimidation against the community and bring those responsible to justice.

- Calling on them to ensure a swift and transparent conclusion to the process to designate quilombola status so as to ensure its effective and long-term security.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-63/2012, AI-Index: AMR 19/005/2012, Datum: 24. Februar 2012 - gs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2012