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AKTION/712: Urgent Action - USA (Pennsylvania) - Doch Jugendstrafrecht für Dreizehnjährigen?


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-097/2010-4, AI-Index: AMR 51/062/2011, Datum: 6. Juli 2011 - bs

USA (Pennsylvania)
Doch Jugendstrafrecht für Dreizehnjährigen?

Weitere Informationen zu UA-097/2010 (AMR 51/032/2010, 28. April 2010, AMR 51/068/2010, 10. August 2010, AMR 51/001/2011, 7. Januar 2011, und AMR 51/032/2011, 20. April 2011)


JORDAN BROWN, 13-jähriger US-amerikanischer Junge

Am 5. August soll Jordan Brown eine zweite Chance erhalten, Argumente für eine Übertragung seines Falls an ein Jugendstrafgericht vorzutragen. Die Staatsanwältin des Bundesstaats Pennsylvania sollte bei dieser Gelegenheit uneingeschränkt zustimmen, diesen Fall unter Jugendstrafrecht zu verhandeln.

Am 8. Juni trafen sich die AnwältInnen von Jordan Brown mit der Staatsanwaltschaft und dem Richter, um eine vom obersten Gericht des US-Bundesstaates Pennsylvania angeordnete Anhörung vorzubereiten, in der darüber entschieden werden soll, ob das Verfahren gegen Jordan Brown an ein Jugendstrafgericht übertragen werden soll. Es ist noch nicht bekannt, ob beide Seiten neue Beweise vorlegen werden oder ob die Anhörung auf zuvor eingebrachten mündlichen Argumentationen basieren wird. Presseberichten zufolge hat der Stellvertretende Staatsanwalt Anthony Krastek angedeutet, er werde in Betracht ziehen, den Fall an ein Jugendstrafgericht zu übertragen, wenn sich Jordan Brown schuldig bekennt. Die VerteidigerInnen des 13-Jährigen haben darauf ebenfalls über die Presse reagiert und erklärt, Jordan Brown werde sich nicht schuldig bekennen und stehe zu seiner Haltung der vergangenen 25 Monate, in denen er die Vorwürfe bestritten hat. Die neue Anhörung ist das Ergebnis einer Entscheidung des obersten Gerichts von Pennsylvania, einen vorherigen Gerichtsbeschluss aufzuheben, in der Jordan Browns Antrag auf Übertragung des Gerichtsverfahrens an ein Jugendstrafgericht zurückgewiesen worden war. Jordan Brown, der zum Tatzeitpunkt elf Jahre alt war, wurde nach dem allgemeinen Strafrecht für Erwachsene angeklagt, wie es in Pennsylvania bei Tötungsdelikten vorgesehen ist. Ihm wird zweifacher Mord zur Last gelegt, da das Opfer, Kenzie Houk, im neunten Monat schwanger war und das Kind ebenfalls starb. Wenn Jordan Browns Gerichtsverfahren nach dem allgemeinen Strafrecht durchgeführt wird und man ihn des Mordes für schuldig befindet, würde er zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt werden. Dieses Strafmaß verstößt, sofern man es auf Jugendliche anwendet, die zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahre alt waren, gegen das Völkerrecht.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Eine Person aufgrund einer Straftat zu lebenslanger Haft zu verurteilen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen hat, verstößt gegen das Völkerrecht und weltweit anerkannte Standards. Diese Standards gehen davon aus, dass sich Kinder und Jugendliche unabhängig von der Schwere des Verbrechens körperlich, geistig und emotional noch in der Entwicklung befinden und daher nicht dieselbe Schuldfähigkeit besitzen wie Erwachsene. Folglich muss man bei der Strafverfolgung auf ihr Alter und ihre Unreife Rücksicht nehmen. In den Standards wird ferner betont, dass es das primäre Ziel sein sollte, im Interesse des Kindes zu handeln und dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft als vorrangig zu betrachten, wenn ein Kind mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Eine lebenslange Haftstrafe ohne eine Möglichkeit der Bewährung widerspricht zweifelsohne dieser internationalen Verpflichtung.

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den die USA 1992 ratifiziert haben, erkennt ausdrücklich die Notwendigkeit an, Jugendlichen bei der Strafverfolgung eine Sonderstellung einzuräumen, und misst ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft besondere Bedeutung bei. In Artikel 14(4) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte heißt es dementsprechend: "Gegen Jugendliche ist das Verfahren in einer Weise zu führen, die ihrem Alter entspricht und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft fördert". Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte überwacht, wies die USA im Jahr 2006 darauf hin, dass die Verurteilung von Jugendlichen zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Bewährung den Grundsätzen des Paktes widerspricht. Dementsprechend rief der Menschenrechtsausschuss die USA auf, sicherzustellen, dass Jugendliche zu keiner derartigen Strafe verurteilt werden.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte hiermit darlegen, dass ich die Tötung von Kenzie Houk in keiner Weise billige.

- Ich weise Sie jedoch darauf hin, dass das Völkerrecht untersagt, Personen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren, zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Bewährung zu verurteilen.

- Ich fordere Sie auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und sicherzustellen, dass Jordan Brown nicht zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt wird.

- Bitte nutzen Sie die Möglichkeit einer erneuten gerichtlichen Anhörung, um der Übertragung des Verfahrens an ein Jugendstrafgericht zuzustimmen, und fordern Sie bitte nicht mehr die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts im Verfahren gegen Jordan Brown.


APPELLE AN

STAATSANWÄLTIN DES BUNDESSTAATES PENNSYLVANIA
Linda L Kelly
Pennsylvania Office of Attorney General
16th Floor, Strawberry Square
Harrisburg, PA 17120
USA
(korrekte Anrede: Dear Attorney General / Sehr geehrte Frau Staatsanwältin)
Fax: (001) 717 787 8242
E-Mail: http://www.attorneygeneral.gov/contactus/


KOPIEN AN

JORDAN BROWNS ANWALT
David H. Acker, Esquire
414 N. Jefferson Street
New Castle, PA 16101
USA
E-Mail: David_Acker_Attorneyatlaw@hotmail.com

BOTSCHAFT DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA S.E. Herrn Philip Dunton Murphy Pariser Platz 2 10117 Berlin Fax: 030-83 05 10 50 E-Mail: über http://germany.usembassy.de/email/feedback.htm


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 16. August 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Explaining that you are not seeking to excuse the killing of Kenzie Houk;

- Pointing out that international law prohibits life imprisonment without the possibility of parole for anyone who was under 18 years old at the time of the crime;

- Calling on the prosecution to meet its international obligation to ensure that Jordan Brown is not sentenced to life imprisonment without parole;

- Urging the prosecution to seize the opportunity of the hearing to agree to the transfer unconditionally and drop its pursuit of a trial in an adult court.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die 193 Staaten, die das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes ratifiziert haben, sind zur Einhaltung des in Artikel 37(a) festgeschriebenen Grundsatzes verpflichtet, in dem es heißt: "Für Straftaten, die von Personen vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs begangen worden sind, darf weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung verhängt werden". Nur Somalia und die USA haben das Übereinkommen über die Rechte des Kindes bisher nicht ratifiziert. Allerdings haben die USA das Übereinkommen unterzeichnet, und sind somit völkerrechtlich verpflichtet, Ziel und Zweck des Vertragswerks in keiner Weise zu gefährden. Im März 2011 antwortete die US-Regierung auf die Empfehlungen anderer Regierungen bei der Beurteilung der Menschenrechtslage in den USA im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat, die US-Regierung unterstütze "die Empfehlung, dass wir das Übereinkommen über die Rechte des Kindes ratifizieren, da wir dessen Ziele befürworten, und wir werden prüfen, wie wir die Ratifizierung voranbringen können". Auf der Grundlage der US-Verfassung darf der Präsident Verträge nur auf "Anraten und mit Zustimmung des Senats" ratifizieren.

Gemäß Artikel 37 (b) des Übereinkommens sind die Unterzeichnerstaaten darüber hinaus angehalten, Freiheitsstrafen bei einem Kind "nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit [...]" anzuwenden. In einer generellen Stellungnahme zu Kinderrechten im Jugendrecht (2007) betonte der UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes, der die Einhaltung des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes überwacht, dass Kinder nicht zu lebenslanger Haft ohne eine Möglichkeit der Bewährung verurteilt werden dürfen. Der Ausschuss wies Länder, die Kinder zu lebenslanger Haft mit Bewährung verurteilen, darauf hin, dass diese Strafe auf die "Verwirklichung von im Jugendstrafrecht geltenden Zielvorstellungen ausgerichtet" sein muss. Dazu zählen nach Meinung des Ausschusses Erziehung, gute Behandlung, Bemühung um frühzeitige Entlassung des Kindes, Wiedereingliederung in die Gesellschaft und Befähigung, einen konstruktiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Die USA sind vermutlich der einzige Staat, in dem Jugendliche zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden. Zwar schließen die Gesetze verschiedener weiterer Staaten diese Praxis nicht prinzipiell aus, Amnesty International ist jedoch nicht bekannt, dass diese Strafe in den vergangenen Jahren in einem anderen Land verhängt worden wäre. Jordan Brown ist - unter Berücksichtigung aller Amnesty International vorliegenden Fälle - die jüngste Person, die zurzeit zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden könnte. Allerdings verbüßen mindestens 2500 weitere Menschen in den USA eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung wegen Verbrechen, die sie als Minderjährige begangen haben. Dieser Fall weist somit auf eine weitreichendere Problematik hin. Amnesty International startet deshalb diese Urgent Action, um die zuständigen Behörden in den USA dazu zu bewegen, die Behandlung von minderjährigen Straftätern internationalen Grundsätzen anzupassen (siehe The rest of their lives: Life without Parole for Child Offenders in the United States: a joint Human Rights Watch/Amnesty International Report auf http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR51/162/2005/en). Amnesty International bezieht nicht Stellung dazu, welches Strafmaß in solchen Fällen angemessen ist, betont aber, dass die Strafe internationalen Grundsätzen entsprechen muss.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-097/2010-4, AI-Index: AMR 51/062/2011, Datum: 6. Juli 2011 - bs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2011