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AKTION/680: Urgent Action - Indien - Gnadengesuch abgelehnt - drohende Hinrichtung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-167/2011, AI-Index: ASA 20/026/2011, Datum: 3. Juni 2011 - ar

Indien
Gnadengesuch abgelehnt - drohende Hinrichtung


Herr DEVENDER PAL SINGH (DAVINDER PAL SINGH BHULLAR)

Devender Pal Singh droht in Neu-Delhi unmittelbar die Hinrichtung, nachdem die Staatspräsidentin sein Gnadengesuch im Mai abgelehnt hat. Dies ist bereits das zweite Gnadengesuch, das im letzten Monat in Indien abgelehnt wurde.

Devender Pal Singh wurde im August 2001 zum Tode verurteilt, nachdem er der Mittäterschaft an einem 1993 in Neu-Delhi verübten Bombenanschlag für schuldig befunden worden war, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Der Schuldspruch basierte einzig und allein auf einem Geständnis, das Devender Pal Singh gegenüber der Polizei ablegte. Dieses war durch keinerlei Beweise untermauert und wurde später von ihm mit der Begründung zurückgezogen, er habe es nur deshalb abgelegt, weil er von der Polizei unter Druck gesetzt worden war. Er war im Januar 1995 aus Deutschland abgeschoben worden, nachdem er dort erfolglos politisches Asyl beantragt hatte, und daraufhin am Flughafen Neu-Delhi festgenommen worden. Seine Festnahme erfolgte unter dem Gesetz über terroristische und umstürzlerische Umtriebe (Terrorist and Disruptive Activities (Prevention) Act - TADA), das bereits später im selben Jahr wieder außer Kraft gesetzt wurde. TADA enthielt Bestimmungen, die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren zuwiderliefen.

Im März 2002 wurde das Todesurteil vom indischen Obersten Gerichtshof bestätigt. Zwei Richter stimmten für das Todesurteil, wohingegen der Oberste Richter Devender Pal Singh für unschuldig erklärte. Ein Antrag zur Überprüfung der Zulässigkeit der Todesstrafe wurde im Dezember 2002 von denselben drei Richtern abgewiesen, wobei sie erneut unterschiedlicher Meinung waren. Die beiden Richter, die sich für das Todesurteil aussprachen, machten deutlich, dass der nicht-einstimmige Urteilsspruch im Falle eines Genadengesuchs als wichtiger Faktor angeführt werden könne. Das Gnadengesuch von Devender Pal Singh wurde allerdings im Mai von der Staatspräsidentin abgewiesen, obwohl allem Anschein nach Gnadengesuchen in anderen Fällen unter den gleichen Umständen stattgegeben wurde.

Amnesty International betrachtet neben der fragwürdigen Fairness des Gerichtsverfahrens auch die achtjährige Verzögerung in der Entscheidungsverkündung zu dem Gnadengesuch von Devender Pal Singh und seine daraus resultierende verlängerte Inhaftierung in der Todeszelle mit Sorge. Die Organisation ist der Ansicht, dass dies möglicherweise "grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung" gleichkommt. Devender Pal Singh wurde im Januar in eine psychiatrische Einrichtung in Neu-Delhi eingewiesen und hat Berichten zufolge bereits mehrmals versucht, sich das Leben zu nehmen. Der Oberste Richter Indiens hat in der Vergangenheit den Aufenthalt eines zum Tode verurteilten Gefangenen in der Todeszelle als "Tod bei lebendigem Leibe" bezeichnet. Einer früheren Entscheidung des indischen Obersten Gerichtshofs zufolge ist eine Verzögerung in der Vollstreckung des Todesurteils als wichtiger Faktor bei der Entscheidung über eine etwaige Umwandlung des Todesurteils zu berücksichtigen. Der Oberste Gerichtshof selbst hat auf dieser Grundlage bereits in einigen Fällen Todesurteile umgewandelt, wenn es bei der Entscheidung über Gnadengesuche übermäßige Verzögerungen gegeben hatte.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

In internationalen Menschenrechtsnormen sowie nationaler und regionaler Rechtsprechung wird anerkannt, dass die verlängerte Inhaftierung in der Todeszelle "grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung" gleichkommt. Gleichzeitig wird zum Tode verurteilten Gefangenen das Recht zugesprochen, alle ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen.

Die AnwältInnen von Devender Pal Singh stellten im Mai beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Umwandlung des Todesurteils aufgrund von Verzögerung. Als sich der Oberste Gerichtshof an die indische Regierung wandte und um eine Erklärung für die Verspätung bat, wurde das Gnadengesuch sofort abgelehnt.

Somit wurden im Mai bereits zwei Gnadengesuche abgewiesen. In Indien wurde zuletzt im Jahr 2004 eine Hinrichtung vollstreckt, und dies war die einzige Hinrichtung seit Mitte 1997 bis heute. Die Wiederaufnahme von Hinrichtungen nach einer siebenjährigen Unterbrechung würde regionalen und globalen Entwicklungen zur Abschaffung der Todesstrafe zuwiderlaufen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie dringend auf, das gegen Devender Pal Singh verhängte Todesurteil umzuwandeln.

- Ich bin mir der Schwere des Verbrechens bewusst, für das Devender Pal Singh verurteilt wurde. Allerdings möchte ich meine Sorge darüber ausdrücken, dass das Verfahren unter Umständen nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprochen hat, und dass sein verlängerter Aufenthalt in der Todeszelle (aufgrund der achtjährigen Verzögerung in der Entscheidung über sein Gnadengesuch) grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Bestrafung gleichkommen könnte.

- Ich möchte Sie an die Aufforderung der UN-Generalversammlung zur Einführung eines Hinrichtungsmoratoriums erinnern, mit dem Ziel, die Todesstrafe ganz abzuschaffen. Ich möchte Sie außerdem darauf hinweisen, dass die Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Indien nach einer siebenjährigen Unterbrechung regionalen und globalen Entwicklungen zur Abschaffung der Todesstrafe zuwiderläuft.


APPELLE AN

PREMIERMINISTER
Dr. Manmohan Singh
South Block, Raisina Hill, New Delhi 110 001, INDIEN
(korrekte Anrede: Dear Prime Minister / Sehr geehrter Herr Premierminister)
Fax: (00 91) 11 2301 9545
E-Mail: über das Formular auf der Website:
http://pmindia.nic.in/feedback.htm

STAATSPRÄSIDENTIN
Pratibha Patil
Rashtrapati Bhavan
New Delhi 110 004, INDIEN
(korrekte Anrede: Dear President / Sehr geehrte Frau Präsidentin)
Fax: (00 91) 11 2301 7290 oder (00 91) 2301 7824
E-Mail: über das Formular auf der Website: http://helpline.rb.nic.in
(auf "lodge a request/grievance" klicken)


KOPIEN AN

INNENMINISTER
P. Chidambaram
North Block, Central Secretariat
New Delhi - 110 001
INDIEN
Fax: (00 91) 11 230 94 221
Email: hm@nic.in
BOTSCHAFT DER REPUBLIK INDIEN
S.E. Herrn Sudhir Vyas
Tiergartenstr. 17
10785 Berlin
Fax: 030-2579 5102
E-Mail: dcm@indianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hindi, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. Juli 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urge the authorities to commute the death sentence of Devender Pal Singh.

- Acknowledge the seriousness of the crime for which Devender Pal Singh has been convicted, but raise concern that trial may not have met international fair trial standards and that his prolonged stay on death row, due to the mercy petition kept pending for eight years, may amount to cruel, inhuman and degrading punishment.

- Reiterating the call of the UN General Assembly to establish a moratorium on executions with a view to abolishing the death penalty, and pointing out that India's decision to resume executions after a seven-year hiatus goes against regional and global trends towards abolition of the death penalty.


WEITERE HINTERGRUNDINFORMATIONEN

UN-Institutionen und -Mechanismen haben Mitgliedstaaten wiederholt dazu aufgerufen, ein Hinrichtungsmoratorium zu verhängen mit dem Ziel, die Todesstrafe ganz abzuschaffen. Zuletzt wurde dies in der Verabschiedung einer dritten Resolution der UN-Generalversammlung zur Todesstrafe im Dezember 2010 deutlich. In einer allgemeinen Bemerkung des UN-Menschenrechtsausschusses zu Artikel 6 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), dessen Vertragsstaat Indien ist, heißt es, dass Artikel 6 sich "allgemein auf die Abschaffung der Todesstrafe in einer Weise bezieht, die sehr nahe legt, dass die Abschaffung der Todesstrafe wünschenswert ist" und dass "alle Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe als Fortschritt im Hinblick auf die Wahrung des Rechts auf Leben betrachtet werden sollten".

Amnesty International wendet sich in allen Fällen gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Art des Verbrechens, der Charakterzüge des/der Angeklagten oder der Art der Hinrichtung.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-167/2011, AI-Index: ASA 20/026/2011, Datum: 3. Juni 2011 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2011