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AKTION/605: Urgent Action - Russische Föderation - Weitere Zwangsräumungen in Tschetschenien


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-022/2011-1, AI-Index: EUR 46/018/2011, Datum: 29. März 2011 - ar

RUSSISCHE FÖDERATION
Weitere Zwangsräumungen in Tschetschenien

Weitere Informationen zu UA-022/2011 (EUR 46/005/2011, 4. Februar 2011)


DUTZENDE FAMILIEN IN GROSNY

In Grosny, der Hauptstadt der Republik Tschetschenien, werden weiterhin zahlreiche Familien aus ihren "vorübergehenden" Unterkünften vertrieben. Die Staatsanwaltschaft sieht das Recht auf Wohnen jedoch nicht verletzt.

Seit Mitte Januar haben die Lokalbehörden zahlreichen Familien in mindestens sieben Wohnheimen (obshchezhitie) in Grosny Räumungsbescheide zugestellt. Ersatzunterkünfte bot man ihnen nicht an. Nach Angaben der russischen Nichtregierungsorganisation Memorial, die sich für die Menschenrechte engagiert, sind zwischen dem 14. und 21. Januar 62 Familien aus den Wohnheimen vertrieben worden. Indessen gehen die Zwangsräumungen weiter.

Memorial hat an die Staatsanwaltschaft der Republik Tschetschenien appelliert, die Zwangsräumungen einzustellen. Daraufhin erhielt die Organisation ein offizielles Antwortschreiben vom 21. Februar, in dem es hieß, dass die Bewohner_innen des Wohnheims in der Mayakovskogo-Straße 119 in Grosny ihre Wohnungen "freiwillig" verlassen haben und nicht vertrieben worden seien. Nach Aussagen von Memorial ist dies nicht der Fall; viele Familien aus diesem und auch aus anderen Wohnheimen hätten Räumungsbescheide erhalten und wüssten nicht, wo sie hin sollen. Viele Familien fürchten jedoch, dass ein öffentlicher Protest gegen ihre Vertreibung die Situation nur verschlimmern würde, und setzen sich deshalb nicht zur Wehr.

Nach den beiden Kriegen in Tschetschenien in den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sollten die Wohnheime den Binnenflüchtlingen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, vorübergehend eine Bleibe bieten. Für die dort untergebrachten Familien, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, bestehen keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten. Sie haben nichts oder nur sehr wenig von der staatlichen Unterstützung gesehen, auf die sie nach nationaler Gesetzgebung ein Anrecht hätten, um Häuser zu bauen oder wieder aufzubauen. Da es gesetzlich vorgeschrieben ist, den Wohnsitz anzumelden, sind die meisten der in den Wohnheimen lebenden Menschen noch unter ihrer früheren Adresse registriert, da die derzeitigen Unterkünfte als "vorübergehend" gelten. In ihrem Schreiben nimmt die Staatsanwaltschaft indirekt Bezug auf die Tatsache, dass die Familien anderswo registriert sind, indem sie betont, dass die Familien "weder das Recht noch die Dokumente zur Bestätigung des Rechts" auf Unterbringung in den Wohnheimen haben. Hierbei wird außer Acht gelassen, dass die registrierten Wohnsitze der Familien zerstört sind. Die Lokalbehörden haben nun damit begonnen, rechtliche Schritte gegen einige Familien einzuleiten, die sich bisher geweigert haben, auszuziehen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Republik Tschetschenien ist seit 1994 Schauplatz zweier bewaffneter Konflikte gewesen. Im Zuge der Kampfhandlungen wurde die tschetschenische Hauptstadt Grosny nahezu vollständig zerstört, und mehrere andere Städte in der Region wurden schwer beschädigt. Zahlreiche Menschen verloren ihre Wohnungen oder sonstiges Eigentum, und Tausende wurden intern vertrieben. Amnesty International hat erfahren, dass zahlreiche Menschen, die für den Verlust ihrer Wohnung finanziell entschädigt worden sind, bis zur Hälfte der Entschädigungsleistung wieder verloren haben, weil sie Bestechungsgelder zahlen mussten. Viele Familien sind sogar gänzlich ohne Entschädigung geblieben.

Die Behörden im Nordkaukasus verfolgen die Strategie, Binnenflüchtlinge zu zwingen, wieder in ihre ursprünglichen Wohnorte zu ziehen. Dabei werden Fragen nach Sicherheit sowie wirtschaftlichen und anderen Belangen nicht immer ausreichend berücksichtigt. Derartige Zwangsräumungen verstoßen gegen russisches Recht und das Völkerrecht; dennoch wagen es die meisten Vertriebenen nicht, sich den tschetschenischen Behörden zu widersetzen und offiziell Beschwerde einzulegen. Berichten zufolge sollen einige der zur Räumung gezwungenen Personen von bewaffneten Sicherheitskräften unter Druck gesetzt worden sein, Erklärungen zu unterschreiben, dass sie freiwillig auszögen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bitte Sie eindringlich, von weiteren Zwangsräumungen in den obshchezhities (Wohnheimen) in Grosny abzusehen, bis den dort lebenden Menschen angemessene Ersatzunterkünfte bereitgestellt werden können.

- Ich fordere Sie auf, dafür Sorge zu tragen, dass keine Person unter Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren, ohne angemessene Vorankündigung und Konsultation und ohne Bereitstellung einer angemessenen Ersatzunterkunft aus ihrer Wohnung vertrieben wird.

- Ich verweise auf die UN-Richtlinien für Binnenflüchtlinge, in denen es heißt, dass Binnenflüchtlinge das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich Unterkunft und Grundversorgung besitzen und vor willkürlicher Vertreibung geschützt werden müssen.


APPELLE AN

PRÄSIDENT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
Dmitry A. Medvedev
Ul. Ilyinka, 23
Moscow 103132
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear President Medvedev)
Fax: (00 7) 495 910 21 34 (Auskunftsbüro)
E-Mail: http://eng.letters.kremlin.ru/send

GENERALSTAATSANWALT
Yurii Ya. Chaika
Ul. B. Dmitrovka, d. 15a
Moscow GSP-3, 107048
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General)
Fax: (00 7) 495 692 17 25
E-Mail: prgenproc@gov.ru


KOPIEN AN

STAATSANWALT DER
TSCHETSCHENISCHEN REPUBLIK
Mikhail M. Savchin
Prosecutor's Office of the Chechen Republic
ul. Idrisova 42
364000 Grozny
TSCHETSCHENISCHE REPUBLIK
RUSSISCHE FÖDERATION
Fax: (00 7) 8712 22 33 56
E-Mail: procurat-chech@mail.ru

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 10. Mai 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urge the authorities to halt any further evictions of people from the obshchezhities (family hostels) in Grozny until adequate alternative accommodation can be provided.

- Urge them to ensure that no one is evicted without due process, adequate notice, consultation and that all of those affected have access to adequate alternative accommodation.

- Stress the UN Guiding Principles on Internally Displaced Persons which state that such persons have the right to an adequate standard of living, including basic shelter and housing, and protection against arbitrary displacement.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-022/2011-1, AI-Index: EUR 46/018/2011, Datum: 29. März 2011 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2011