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AKTION/565: Urgent Action - VR China - Polizei schlägt Proteste nieder


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-050/2011, AI-Index: ASA 17/010/2011, Datum: 1. März 2011 - jf Über

VR CHINA
Polizei schlägt Proteste nieder


100 AktivistInnen, darunter Herr DING MAO
Herr RAN YUNFEI
Herr CHEN WEI
Frau LIANG HAIYI
Herr HUA CHUNHUI

In einem scheinbaren Versuch, Demonstrationen nach dem Vorbild der "Jasminrevolution" zu verhindern, haben chinesische Polizeikräfte seit dem 19. Februar über 100 AktivistInnen festgenommen oder unter Überwachung gestellt. Fünf inhaftierte Aktivisten sind von Folter oder anderen Misshandlungen bedroht. Am 19. Februar wurde Ding Mao in der chinesischen Stadt Mianyang in der Provinz Sichuan von Polizeikräften festgenommen. Ihm wird "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vorgeworfen.

Der Internetaktivist, Schriftsteller und Blogger Ran Yunfei wurde ebenfalls am 19. Februar gegen Mitternacht in der Provinzhauptstadt Chengdu festgenommen. Am Abend des darauffolgenden Tages wurde Ran Yunfei von PolizistInnen zu seinem Haus eskortiert, wo sie infolge einer Hausdurchsuchung seinen Computer konfiszierten. Danach wurde Ran Yunfei wieder zurück auf die Polizeiwache gebracht.

Am 24. Februar erhielt seine Familie eine auf den 21. Februar datierte schriftliche Mitteilung von der Polizei, auf dem seine Inhaftierung mit dem Verdacht der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" begründet wird. Am Morgen des 20. Februar durchsuchte die Polizei das Haus von Chen Wei in Suining. Chen Wei ist wie Ran Yunfei ein Internetaktivist aus der Provinz Sichuan. Sein Computer, eine externe Festplatte sowie sein Handy wurden ebenfalls von der Polizei konfisziert. Anschließend wurde Chen Wei "auf eine Tasse Tee" zu einer Polizeiwache gebracht.

Am 22. Februar erhielt die Ehefrau von Chen Wei eine auf den 21. Februar datierte Mitteilung von der Polizei, auf dem seine Inhaftierung mit dem Verdacht der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" begründet wird. Am 19. Februar wurde Liang Haiyi (die im Internet unter dem Pseudonym Miaoxiao aktiv ist) in Harbin, der Hauptstadt der Provinz Heilongjiang, von örtlichen Polizeikräften festgenommen und in die Haftanstalt 2 gebracht.

Am 21. Februar wurde ihrem Rechtsbeistand eine Mitteilung zugestellt, in dem ihre Inhaftierung mit dem Verdacht der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" begründet wird. Die Polizei wirft ihr zudem vor, Informationen über die "Jasminrevolution" von ausländischen Internetseiten auf chinesische Webseiten wie QQ (eine bekannte chinesische Social-Network-Internetseite) gestellt zu haben.

Am 21. Februar wurde Hua Chunhui in der Stadt Wuxi in der Provinz Jiangsu wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" festgenommen. Der Polizei zufolge hatte er auf der Webseite Twitter unter dem Accountnamen @wxhch64 Einträge über die "Jasminrevolution" verfasst. Berichten zufolge soll er auf der Polizeiwache Tanduqiaoim im Stadtbezirk Nanchang festgehalten werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am 17. Februar berichtete die US-basierte chinesische Nachrichtenseite Boxun über einen anonymen Aufruf an alle Chinesen, am 20. Februar im ganzen Land Proteste zu veranstalten. Die Nachricht über den Aufruf verbreitete sich schnell über die chinesische Social-Network-Seite QQ sowie über Twitter und Blogs. Die Menschen wurden dazu aufgerufen, unter dem Slogan "Wir wollen Essen, wir wollen Arbeit, wir wollen Unterkünfte, wir wollen Fairness" auf die Straße zu gehen. Der anonyme Appell erfolgte nach dem Vorbild der "Jasminrevolution" in Tunesien und den Protesten im Nahen Osten. Daraufhin sperrten die chinesischen Behörden den Zugriff auf verschiedene Internetseiten und Blogs, auf denen über die Proteste im Nahen Osten berichtet wurde. Zusätzlich war es nicht mehr möglich, mittels Suchmaschinen nach Begriffen wie "Ägypten" zu suchen.

Seit dem 19. Februar wurden über 100 AktivistInnen, unter ihnen auch etwa ein Dutzend prominente MenschenrechtsanwältInnen, festgenommen oder in irgendeiner Form unter Hausarrest oder Überwachung gestellt. In der Mehrzahl der Fälle wäre Amnesty International nicht bekannt, dass den Festnahmen offizielle Ankündigungen vorausgingen oder der Ablauf der Festnahmen ordnungsgemäß vonstatten ging. Zusätzlich wird den Betroffenen der Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen verweigert und es werden keine offiziellen Angaben über ihren Aufenthaltsort gemacht.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, Ding Mao, Ran Yunfei, Chen Wei, Liang Haiyi und Hua Chunhui unverzüglich und bedingungslos freizulassen, sofern kein begründeter Verdacht dahingehend besteht, dass sie eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen haben.

- Stellen Sie sicher, dass Ding Mao, Ran Yunfei, Chen Wei, Liang Haiyi und Hua Chunhui während ihrer Haftzeit Zugang zu ihren Familien, einem Rechtsbeistand ihrer Wahl sowie jeder notwendigen medizinischen Versorgung erhalten.

- Stellen Sie außerdem sicher, dass Ding Mao, Ran Yunfei, Chen Wei, Liang Haiyi und Hua Chunhui während ihrer Haftzeit nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt werden.

- Ich appelliere zudem an Sie, wirksame Maßnahmen einzuleiten, um das Recht auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu schützen, gemäß den Richtlinien der chinesischen Verfassung sowie des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat China ist.


APPELLE AN

MINISTER FÜR ÖFFENTLCHE SICHERHEIT
MENG Jianzhu Buzhang
Gong'anbu, 14 Dongchang'anjie Dongchengqu,
Beijingshi 100741
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency)

JUSTIZMINISTER
WU Aiying Buzhang Sifabu,
10 Chaoyangmen Nandajie
Chaoyangqu,
Beijingshi 100020,
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 86) 10 652 923 45
E-Mail: pfmaster@legalinfo.gov.cn


MINISTERPRÄSIDENT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
WEN Jiabao Guojia Zongli
The State Council General
Office 2 Fuyoujie,
Xichengqu,
Beijingshi 100017,
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 86) 10 65961109
(c/o Ministry of Foreign Affairs)


KOPIEN AN BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
S. E. Herrn Hongbo Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: de@mofcom.gov.cn


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on authorities to release Ding Mao, Ran Yunfei, Chen Wei, Liang Haiyi and Hua Chunhui immediately and unconditionally unless the authorities can show reasonable grounds for suspecting them of having committed an internationally-recognizable criminal offence.

- Urging the authorities to ensure they have access to family, legal representation of their choice, and any medical care they may require.

- Guarantee that Ding Mao, Ran Yunfei, Chen Wei, Liang Haiyi and Hua Chunhui will not be tortured or ill-treated while they remain in custody.

- Urging the authorities to take effective measures to guarantee freedom of expression, association and assembly in line with China's Constitution and the International Covenant on Civil and Political Rights which China has signed and declared an intention to ratify.


Ding Mao nahm an der pro-demokratischen Bewegung von 1989 teil. Er wurde im selben Jahr und noch einmal im Jahr 1992 inhaftiert und hat insgesamt 10 Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht. Ran Yunfei ist ein erfolgreicher Schriftsteller und kommentiert soziale Situationen auf seinem Weblog
http://www.bullogger.com/blogs/ranyunfei.

Sein Account bei Twitter (www.twitter.com/ranyunfei) verzeichnet über 44.000 Beobachter ("Follower"). Chen Wie nahm ebenfalls an der pro-demokratischen Bewegung von 1989 teil. Wie Ding Mao wurde auch er im selben Jahr inhaftiert; im Januar 1991 kam er wieder frei. 1992 wurde er erneut festgenommen und verbüßte eine fünfjährige Haftstrafe, weil er die Opfer der gewaltsamen Auflösung der pro-demokratischen Bewegung von 1989 öffentlich betrauert hatte. Liang Haiyi beschäftigt sich seit 2010 in ihrem Blog aktiv mit Freiheits- und Menschenrechtsthemen. Die Ehefrau von Hua Chunhui, Cheng Jianping, wurde wegen der Weiterleitung eines Tweets ihres Mannes zu einem Jahr "Umerziehung durch Arbeit" verurteilt. In seinem Tweet vom 17. Oktober 2010 hatte Hua Chunhui in satirischer Weise zu einem Anschlag auf den japanischen Pavillon auf der Expo-Ausstellung in Shanghai aufgerufen. Siehe
http://www.amnesty.org/en/news-and-updates/chinese-woman-sentenced-year-labour-camp-over-tweet-2010-11-17

Der Ausdruck "Tee trinken" hat sich zu einem Codewort für Schikane von AktivistInnen in China entwickelt. Sie werden von den Behörden "auf eine Tasse Tee" eingeladen. Diese Prozedur beinhaltet ein Verhör der AktivistInnen über deren Aktivitäten sowie die Warnung, sich nicht weiter zu engagieren.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-050/2011, AI-Index: ASA 17/010/2011, Datum: 1. März 2011 - jf Über
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2011