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AKTION/1600: Urgent Action - Saudi-Arabien, Willkürliche Haftstrafen für FrauenrechtlerInnen


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-279/2013, AI-Index: MDE 23/031/2013, Datum: 4. Oktober 2013 - mr

Saudi-Arabien
Willkürliche Haftstrafen für FrauenrechtlerInnen



Frau WAJEHA AL-HUWAIDER
Frau FAWZIA AL-OYOUNI

Ein Berufungsgericht in Dammam hat die Urteile gegen die beiden Frauenrechtlerinnen bestätigt, die in einem unfairen Verfahren zu zehn Monaten Gefängnis gefolgt von einem zweijährigen Reiseverbot verurteilt wurden. Wajeha al-Huwaider und Fawzia al-Oyouni waren des "Verbrechens" schuldig befunden worden, einer Frau helfen zu wollen, deren Menschenrechte von ihrem Ehemann verletzt worden waren. Am 24. September 2013 bestätigte ein Berufungsgericht in der Stadt Dammam den Schuldspruch eines Strafgerichts der Stadt al-Khobar vom 15. Juni des Jahres und hielt das Strafmaß von zehn Monaten Gefängnis und das anschließende zweijährige Reiseverbot gegen zwei bekannte saudische Frauenrechtlerinnen aufrecht. Die beiden Aktivistinnen wurden nach Scharia-Recht schuldig gesprochen eine Frau angestiftet zu haben, die Autorität ihres Mannes in Frage zu stellen (takhbib). Konkret wurde ihnen vorgeworfen, einer kanadischen Frau geraten zu haben sich von ihrem saudischen Mann zu trennen.

Wajeha al-Huwaider und Fawzia al-Oyouni wurden am 6. Juni 2011 festgenommen, als sie versuchten, einer kanadischen Frau zur Hilfe zu eilen. Die Frau hatte ihnen eine SMS geschrieben, dass ihr Mann sie und ihre Kinder ohne Essen im Haus eingesperrt habe und zu einer fünftägigen Reise aufgebrochen sei. Als die beiden Frauenrechtlerinnen auf dem Weg zum Haus der eingesperrten Frau waren, lauerten ihnen zwei Sicherheitskräfte begleitet vom Ehemann der eingesperrten Frau auf und nahmen sie fest. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte die beiden Frauenrechtlerinnen der versuchten Entführung der kanadischen Ehefrau und ihrer Kinder, um diese in die kanadische Botschaft zu bringen, obwohl der Ehemann keine Anzeige gegen die beiden erstattet hatte.

Ihr Gerichtsverfahren vor dem Strafgericht in al-Khobar wies eine Reihe von Unregelmäßigkeiten auf. Als die beiden Aktivistinnen verlangten, dass die Frau, die sie angeblich entführen wollten, vor Gericht aussagen solle, änderte der Richter die Anklage wegen Entführung in das Scharia-Vergehen takhbib. Der Richter lehnte den Antrag ab, sie als Zeugin vorzuladen, sprach die beiden Frauenrechtlerinnen schuldig und setzte das Strafmaß fest. Das vermeintliche Entführungsopfer hatte sich jedoch in sozialen Medien zu Wort gemeldet und die Vorwürfe gegen die beiden Aktivistinnen als unzutreffend bezeichnet. Takhbib ist keine international als Straftat anerkannte Handlung. Die beiden Aktivistinnen wurden auch schon vor dem endgültigen Urteil daran gehindert, ins Ausland zu reisen und müssen ihre Haftstrafen nun unverzüglich antreten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN AUF ENGLISCH

The Saudi Arabian authorities have recently unleashed a widespread campaign of persecution of human rights activists, both through the courts and through arbitrary measures. The authorities have either sentenced or imprisoned, or both, over a dozen prominent activists on similar charges such as disobeying the ruler, ridiculing a state institution or a public figure, calling for demonstrations, and for harming the image of the state by communicating with outside parties that are typically either media or human rights organizations. With minor exceptions, most of these trials and imprisonments have received little media attention and have been met by almost complete silence from the international community.

Silence, however, has not necessarily been the reaction towards recent, more positive developments in Saudi Arabia's human rights situation, particularly in the area of women's rights. When in August the Saudi Arabian authorities issued a law criminalizing domestic abuse, there was extensive media coverage of the congratulations given by the international community but little focus on the numerous issues with the law, not to mention the ongoing widespread crackdown on human rights activism in the country in general. Although the text of the law and the fact that it was issued can be considered progress, its implementation is, however, far from certain. For one thing, there are currently no competent authorities that can deal with domestic abuse in Saudi Arabia. For another, other laws and customs in the country severely discriminate against women making it almost impossible for them to access redress or state institutions without a male guardian.

Wajeha al-Huwaider and Fawzia al-Oyouni were both sentenced at their original trial two months before the "domestic abuse" law was issued. Their case had been frozen, but it was reactivated a year after the incident in question without any explanation. Three appeal court judges approved and finalized the sentence on 24 September 2013 - roughly one month after the domestic abuse law had been issued and entered into force.

Although Saudi Arabia has ratified only a limited number of international documents, it is a party to the Convention to Eliminate All Forms of Discrimination Against Women (CEDAW). It has, however, raised two reservations to the Convention. In particular, the Saudi Arabian authorities declared that "[i]n the case of contradiction between any term of the Convention and the norms of Islamic law, the Kingdom is not under obligation to observe the contradictory terms of the Convention."


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie höflich auf, den Schuldspruch und das Urteil gegen Wajeha al-Huwaider und Fawzia al-Oyouni aufzuheben, da die beiden allein deshalb verurteilt wurden, weil sie ihrer legitimen Tätigkeit als Frauenrechtlerinnen nachgegangen sind. Stellen Sie bitte sicher, dass die beiden weder ihrer Freiheit beraubt noch willkürlich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.
  • Bitte gewährleisten Sie, dass die Drangsalierung und strafrechtliche Verfolgung von Personen, die sich in Saudi-Arabien für die Menschenrechte einsetzen, unverzüglich eingestellt werden.

APPELLE AN

KÖNIG
King Abdullah Bin Abdul Aziz Al Saud
The Custodian of the two Holy Mosques
Office of His Majesty the King
Royal Court, Riyadh, SAUDI-ARABIEN
(Anrede: Your Majesty / Majestät)
Fax: (00 966) 1 403 3125 (über Innenministerium)

JUSTIZMINISTER
Sheikh Dr Mohammed bin Abdul Kareem Al-Issa
Ministry of Justice
University Street
Riyadh 11137, SAUDI-ARABIEN
(Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 966) 1 401 1741 oder (00 966) 1 402 0311


KOPIEN AN

INNENMINISTER
His Royal Highness Prince Mohammed
bin Naif bin Abdul Aziz Al Saud
Ministry of the Interior, P.O. Box 2933
Airport Road, Riyadh 11134, SAUDI-ARABIEN
Fax: (00 966) 1 403 3125

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS SAUDI-ARABIEN
S.E. Herrn
Prof. Dr. med Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi
Tiergartenstr. 33-34
10785 Berlin
Fax: 030-8892 5179 oder 030-8892 5176
E-Mail: deemb@mofa.gov.sa


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. November 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to quash the convictions and the sentences imposed on Wajeha al-Huwaider and Fawzia al-Oyouni as they have been convicted solely for their legitimate activities as women's rights activists and ensure that they are not deprived of their liberty or subjected to arbitrary restrictions on their freedom of movement.
  • Asking them to immediately end the judicial and extrajudicial harassment and persecution of human rights activists in Saudi Arabia.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die saudi-arabischen Behörden haben in jüngster Zeit häufig MenschenrechtsverteidigerInnen ins Visier genommen und sie sowohl durch gerichtliche Entscheidungen als auch durch willkürliche Maßnahmen, wie die Verhängung von Reiseverboten, verfolgt. AktivistInnen, die sich an die Gerichte wenden, um gegen Verstöße von Angehörigen des Innenministeriums und der Sicherheitskräfte vorzugehen, oder Personen, die staatliche Institutionen kritisieren, werden zur Zielscheibe der Behörden. Insbesondere gehen sie gegen Personen vor, die Verstöße gegen Angehörige der schiitischen Glaubensgemeinschaft aufgedeckt haben.

Die Repressionen der Behörden richten sich auch gegen Mitglieder unabhängiger Menschenrechtsgruppen. Mitglieder der saudi-arabischen Organisation für bürgerliche und politische Rechte ACPRA, die im Oktober 2009 gegründet wurde, sind am stärksten betroffen. Drei Gründungsmitglieder von ACPRA - Dr. Abdullah bin Hamid bin Ali Al-Hamid, Mohammad bin Fahad bin Muflih Al-Qahtani und Dr. Abdulkareem Yousef al-Khoder - wurden im März bzw. Juni in einer Reihe von vagen Anklagepunkten für schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt. Zu den Anklagen zählten: Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Herrscher, Ungehorsam gegenüber dem Staatsoberhaupt, Infragestellung der Integrität von Staatsbediensteten sowie die Absicht, die Sicherheit des Landes zu gefährden und die Bevölkerung zu Protesten anzustiften und die Verbreitung falscher Informationen an ausländische Gruppierungen. ACPRA berichtet über Menschenrechtsverletzungen und unterstützt Familien von Personen, die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren inhaftiert sind, wenn sie vor dem Beschwerdegericht gerichtlich gegen das Innenministerium vorgehen wollen.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schreibt die Rechte auf Vereinigungs- und Meinungsfreiheit fest. Diese Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt, die den Zweck verfolgt, bestimmte öffentliche Interessen zu schützen (die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die Volksgesundheit oder die öffentliche Sittlichkeit), oder die Rechte anderer betroffen sind. In jedem dieser Fälle muss die Notwendigkeit der Beschränkung erkennbar sein, um den Zweck zu erreichen, und die Beschränkungen müssen verhältnismäßig sein. Strafrechtliche Anklagen gegen Personen, die mit friedlichen Mitteln Kritik an Angehörigen der Behörden oder Institutionen üben oder sich für die Menschenrechte einsetzen, stehen hingegen im Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsstandards.

Das Recht jedes Menschen auf Vereinigungsfreiheit schließt das Recht ein, Organisationen zu gründen und sich ihnen anzuschließen. In der UN-Erklärung zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen heißt es: "Jeder Mensch hat das Recht, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen, den Schutz und die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene zu fördern und darauf hinzuwirken." Zudem ist darin festgeschrieben, dass jeder Staat die Verantwortung hat, sicherzustellen, dass alle seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Personen, einzeln wie auch in Gemeinschaft mit anderen, alle diese Rechte und Freiheiten in der Praxis genießen können.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-279/2013, AI-Index: MDE 23/031/2013, Datum: 4. Oktober 2013 - mr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2013