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AKTION/1125: Urgent Action - VR China, Angehörige von verstorbenem Dissidenten "verschwunden"


ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-192/2012, AI-Index: ASA 17/021/2012, Datum: 11. Juli 2012 - mr

VR China
Angehörige von verstorbenem Dissidenten "verschwunden"



Frau LI WANGLING
Herr ZHAO BAOZHU

Li Wangling, die Schwester des kürzlich verstorbenen gewaltlosen politischen Gefangenen Li Wangyang, und ihr Ehemann Zhao Baozhu sind am 7. Juni inhaftiert worden. Seit dem 9. Juni ist nichts über ihren Verbleib bekannt.

Li Wangling und ihr Ehemann Zhao Baozhu wurden am 7. Juni in der Stadt Shaoyang in der südlichen Provinz Hunan festgenommen. Ihr Bruder, der langjährige Dissident Li Wangyang, war am Tag zuvor im Krankenhaus verstorben: Li Wangling und Zhao Baozhu hatten die Behörden nach der Todesursache gefragt und eine unabhängige Untersuchung sowie eine Autopsie verlangt. Die Behörden in Shaoyang gaben an, Li Wangyang habe Selbstmord begangen, doch seine FreundInnen und Angehörigen glauben dies nicht.

FreundInnen von Zhao Baozhu konnten am 9. Juni mit ihm telefonieren, das Gespräch wurde jedoch abrupt unterbrochen, als Zhao Baozhu auf Li Wangyang zu sprechen kam. Nach Angaben aus verschiedenen Quellen wurden Li Wangling und Zhao Baozhu anfangs in einem Hotel im Bezirk Daxiang der Stadt Shaoyang festgehalten und sollen dann gegen 11:20 Uhr desselben Tages von den Behörden an einen anderen Ort gebracht worden sein. Seither sind sie nicht zu erreichen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Am frühen Morgen des 6. Juni erhielt Zhao Baozhu, der Ehemann der Schwester von Li Wangyang, einen Anruf aus dem Krankenhaus, in dem ihm mitgeteilt wurde, Li Wangyang habe auf der Station Selbstmord begangen. Zhao Baozhu und seine Frau Li Wangling begaben sich sofort ins Krankenhaus und fanden Li Wangyangs Leichnam in seinem Krankenzimmer vor. Die Behörden der Stadt Shaoyang behaupten, dass Li Wangyang sich erhängt habe, doch seine Familie und seine FreundInnen stellen das in Frage. Auf Fotografien, die am 6. Juni im Krankenhaus aufgenommen wurden, ist er in einer aufrechten Position zu sehen, sein Blick durch das Fenster nach draußen gerichtet, um seinen Hals ein Stück Stoff, das am Fensterrahmen befestigt ist. Auf diesen Aufnahmen stehen seine Füße jedoch fest auf dem Boden und sein Gesicht weist keine Anzeichen von Erstickung auf. Die Familie kann sich nicht vorstellen, dass ein fast blinder Mann, der ohne Hilfe nicht gehen kann, in der Lage ist, sich zu erhängen.

Die Polizei nahm den Leichnam von Li Wangyang noch am 6. Juni aus dem Krankenhaus mit, obwohl sich die Familie des Toten mit der Begründung dagegen wehrte, dass nicht klar sei, ob die Behörden eine unabhängige Untersuchung des Leichnams zulassen würden. Am 8. Juni wurde ohne das Beisein der Familie oder des Anwalts der Familie eine Autopsie durchgeführt. Am darauffolgenden Tag äscherten die Behörden den Leichnam im Krematorium ein. Nach einer Welle der Empörung im In- und Ausland gab die Polizei der Provinz Hunan am 15. Juni die Einberufung einer Arbeitsgruppe bekannt, die den Tod von Li Wangyang untersuchen sollte. Am 22. Juni hieß es, dass der Autopsiebericht abgeschlossen sei, doch die Behörden weigerten sich, ihn zu veröffentlichen.

Li Wangyang war im Mai 2011 aus dem Gefängnis entlassen worden. Er war eine bekannte Persönlichkeit der Bewegung für die Rechte der ArbeiterInnen, und wurde deshalb in den vergangenen zwei Jahrzehnten von den chinesischen Behörden verfolgt. 1989 war er an der Gründung der unabhängigen Arbeiterorganisation "Autonomer Arbeiterverband Shaoyang" beteiligt, um bessere Arbeitsbedingungen für ArbeiterInnen beispielsweise im Bergbau einzufordern. Im selben Jahr wurde er aufgrund seiner Beteiligung an der Demokratiebewegung von 1989 zu 13 Jahren Haft verurteilt. Nach Angaben aus örtlichen Quellen wurde er während seines Gefängnisaufenthalts mit großer Härte von Gefängniswärtern geschlagen und in Einzelhaft gehalten. Im Juni 1996 brachte man ihn zur Behandlung in ein Krankenhaus, und acht Monate später kam er zurück ins Gefängnis.

Li Wangyang wurde aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands im Juni 2000 aus der Haft entlassen. Er reichte bei den Behörden Anträge auf eine Wiedergutmachung ein, um die Kosten seiner medizinischen Behandlung zu begleichen zu können. Doch schon im Mai 2001 wurde er, nachdem er in den Hungerstreik getreten war, erneut inhaftiert. Man bezichtigte ihn der "Anstiftung zum Aufruhr" und verurteilte ihn zu einer zehnjährigen Haftstrafe. Im Mai 2011 kam er schließlich frei.

Am 22. Mai 2012 gab Li Wangyang einer Hongkonger Journalistin ein Interview, in dem er über die Folter berichtete, durch die er erblindet und fast vollständig ertaubt war und sich nun nicht mehr ohne Hilfe bewegen konnte. Nach diesem Interview verstärkten die lokalen Behörden die Kontrolle, indem sie mehr Polizeikräfte vor dem Krankenhaus stationierten.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich möchte Sie nachdrücklich auffordern, den Familienangehörigen von Li Wangling und Zhao Baozhu umgehend ihren Aufenthaltsort und die Gründe ihrer Inhaftierung mitzuteilen.
  • Bitte stellen Sie sicher, dass dem Ehepaar nichts zustößt, es Zugang zu seinen Familienangehörigen und einem Rechtsbeistand seiner Wahl hat sowie, falls nötig, medizinische Versorgung erhält.
  • Sorgen Sie bitte auch dafür, dass umgehend eine umfassende und unparteiische Untersuchung des "Verschwindens" von Li Wangling und Zhao Baozhu durchgeführt wird und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.
  • Veranlassen Sie darüber hinaus unverzüglich eine umfassende und unparteiische Untersuchung zum Tod von Li Wangyang und veröffentlichen Sie die Ergebnisse.

APPELLE AN

LEITER DES AMTES FÜR ÖFFENTLICHE
SICHERHEIT IN HUNAN
Sun Jianguo Juzhang
Hunan Gong'anju
9 Dongdajie, Qianmen 110 Bayilu, Changsha
Furongqu Changshashi, 410001
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Director)
Fax: (00 86) 731 8459 0140

MINISTERPRÄSIDENT
WEN Jiabao Guojia Zongli
The State Council General Office
2 Fuyoujie, Xichengqu
Beijingshi 100017, VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 86) 10 659 611 09 (c/o Ministry of Foreign Affairs)

VORSITZ DES STÄNDIGEN AUSSCHUSSES DES NATIONALEN VOLKSKONGRESSES
Chairperson of the Standing Committee
of the National People's Congress
Wu Bangguo Weiyuanzhang
Quanguo Renda Changwu Weiyuanhui
Bangongting, 23 Xijiaominxiang, Xichengqu, Beijingshi
100805, VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Chairman / Sehr geehrter Herr Vorsitzender)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
Herrn Nianping Li, Geschäftsträger a.I. (Gesandter)
Märkisches Ufer 54, 10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: botschaftchina@yahoo.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. August 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling on the authorities to immediately inform Li Wangling and Zhao Baozhu's relatives of their whereabouts and the reasons for their detention.
  • Calling on the authorities to ensure the couple are safe and have access to their family and legal representation of their choice, as well as any medical attention they may require.
  • Calling on them to order an immediate, thorough and impartial investigation into the enforced disappearance of Li Wangling and Zhao Baozhu and ensure that those responsible are brought to justice.
  • Insisting that they conduct a prompt, thorough and independent investigation into Li Wangyang's death and publish the findings.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-192/2012, AI-Index: ASA 17/021/2012, Datum: 11. Juli 2012 - mr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2012