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AKTION/1077: Urgent Action - Pakistan - Politiker tot aufgefunden


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-059/2011-1, AI-Index: ASA 33/009/2011, Datum: 8. Juni 2012 - ar

Pakistan
Politiker tot aufgefunden

Weitere Informationen zu UA-059/2011-1 (ASA 33/001/2011, 4. März 2011)



MUZAFFAR BHUTTO, Generalsekretär der Partei Jeay Sindh Muttaheda Mahaz (JSMM)

Muzaffar Bhutto, ein führendes Mitglied einer nationalistischen Partei aus der Provinz Sindh in Pakistan, wurde am 22. Mai tot aufgefunden. Er soll am 25. Februar 2011 von in Zivil gekleideten Angehörigen des Geheimdienstes und der Polizei entführt worden sein. Amnesty International fordert, dass die Tötung untersucht und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.

Muzaffar Bhutto war der Generalsekretär der Jeay Sindh Muttaheda Mahaz (JSMM), einer politischen Partei, die für eine größere Autonomie der Provinz Sindh eintritt. Er wurde am 22. Mai in der Ortschaft Bukhari nahe Hyderabad in der Provinz Sindh tot aufgefunden. Am 25. Februar 2011 soll er in Hyderabad von in Zivil gekleideten Angehörigen des Geheimdienstes und der Polizei entführt worden sein. Zeugenaussagen zufolge war Muzaffar Bhutto von etwa 20 Männern in Zivil, die aus nicht näher gekennzeichneten Wagen stiegen, mit vorgehaltener Waffe festgenommen wurden. Seitdem fehlte von ihm jede Spur. Seine Leiche wurde in einem Jutesack aufgefunden. An seinem Körper waren Folterspuren zu erkennen, und er wies zwei Schusswunden auf, am Kopf und in der Brust.

Die Art und Weise von Muzaffar Bhuttos Entführung, das Entsorgen seines leblosen Körpers und der Zustand der Leiche folgt dem typischen Schema des Verschwindenlassens und der außergerichtlichen Hinrichtung von politisch aktiven Menschen und mutmaßlichen Aufständischen durch die Sicherheitskräfte Pakistans, oft auch durch Angehörige der Geheimdienste.

Seit Muzaffar Bhutto im vergangenen Jahr entführt wurde, haben sich seine Familienangehörigen aktiv für seine Freilassung eingesetzt. Sie gaben auch dann nicht auf, als sie anonyme Anrufe erhielten mit der Aufforderung, den Fall nicht länger an die große Glocke zu hängen. Auch regelmäßige Hausdurchsuchungen durch unbekannte Personen, vermutlich Angehörige der staatlichen Geheimdienste oder der Polizei, konnten die Familie nicht einschüchtern.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Bevor Muzaffar Bhutto tot aufgefunden wurde, hatte seine Frau Saima Bhutto gegenüber Amnesty International gesagt: "Wenn er in den Augen des Staates etwas verschuldet hat oder wenn er ein Krimineller ist, dann soll man ihn anklagen. Meine Kinder weinen und fragen mich, wann er endlich zurückkommt."

Im Februar 2011 reichten die Familienangehörigen von Muzaffar Bhutto einen Antrag auf Informationsfreigabe bei der Polizei ein in der Hoffnung, etwas über den Verbleib von Muzaffar Bhutto herauszufinden. Am 28. Februar 2011 reichte die Familie zudem Beschwerde beim Hohen Gericht von Sindh ein, da sie vermutete, dass Angehörige der Geheimdienste und der Polizei für das "Verschwinden" von Muzaffar Bhutto verantwortlich waren. In den gesamten 15 Monaten, in denen Muzaffar Bhutto "verschwunden" war, fand das Gericht nichts über seinen Verbleib heraus bzw. teilte der Familie nichts darüber mit. Die staatliche Justizkommission, die speziell dafür ins Leben gerufen wurde, um Fälle von Verschwindenlassen zu überprüfen, konnte ebenfalls nichts über seinen Aufenthaltsort herausfinden. ZeugInnen, die vor der Kommission ausgesagt haben, fühlten sich eigenen Angaben zufolge durch anwesende staatliche VertreterInnen bedroht, erhielten keinen Zeugenschutz und wurden nicht immer darüber in Kenntnis gesetzt, wenn eine der Anhörungen zum Fall von Muzaffar Bhutto stattfand.

Muzaffar Bhutto soll bereits 2005 und 2006 dem Verschwindenlassen durch Angehörige der Geheimdienste zum Opfer gefallen und während dieser Zeit auch gefoltert worden sein. Danach wurde er in Polizeigewahrsam übergeben, terroristischer Straftaten beschuldigt und bis Januar 2009 in Haft gehalten. Er musste sich mehrere Male vor Gericht verantworten, wurde jedoch immer entweder gegen Kaution freigelassen oder freigesprochen, und kam schließlich 2009 frei. In den zurückliegenden zehn Jahren ist es in Pakistan regelmäßig zu Fällen von Verschwindenlassen gekommen. In den Jahren vor 2010 wurden die Opfer in der Regel nach einigen Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren freigelassen. Sie waren für gewöhnlich in schlechter gesundheitlicher Verfassung und gaben häufig an, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt worden zu sein. Seit 2010 dokumentiert Amnesty International zunehmend Fälle, in denen Opfer des Verschwindenlassens im ganzen Land tot aufgefunden werden, oftmals mit Folterspuren am Körper und Schusswunden im Kopf oder in der Brust.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Die Nachricht von der Entführung und Tötung von Muzaffar Bhutto, für die Staatsbedienstete verantwortlich sein sollen, erfüllt mich mit großer Sorge.
  • Deshalb appelliere ich an Sie, umgehend eine umfassende und unparteiische Untersuchung einzuleiten und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Stellen Sie bitte sicher, dass die Verantwortlichen unverzüglich in einem fairen Verfahren ohne Verhängung der Todesstrafe vor Gericht gestellt werden, auch wenn es sich um Personen in hochrangigen Positionen handelt.
  • Ich bitte Sie außerdem eindringlich, die Familie von Muzaffar Bhutto umfassend zu entschädigen. Sorgen Sie zudem dafür, dass jegliche Versuche, seine Familie von ihrer Suche nach Gerechtigkeit abzuhalten, untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

APPELLE AN

INNENMINISTER PAKISTANS
Mr. A Rehman Malik
R Block, Pak Secretariat Islamabad
Islamabad
PAKISTAN
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
E-Mail: ministry.interior@gmail.com oder
interior.complaintcell@gmail.com

MINISTERPRÄSIDENT DER PROVINZ SINDH
Syed Qaim Ali Shah
Chief Minister House
Dr Zaiuddin Ahmed Road
Karachi, Sindh Province
PAKISTAN
(korrekte Anrede: Dear Chief Minister / Sehr geehrter Herr Ministerpräsident)
Fax: (00 92) 21 992 02000


KOPIEN AN

INNENMINISTER DER PROVINZ SINDH
Karachi
Sindh Province
PAKISTAN
(korrekte Anrede: Dear Minister)

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK PAKISTAN
Herrn Mazhar Javed
Geschäftsträger a.i., Gesandter
Schaperstr. 29
10719 Berlin
Fax: 030-2124 4210
E-Mail: mail@pakemb.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Urdu, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 20. Juli 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Express concern at the abduction and killing of Muzaffar Bhutto allegedly involving state agents.
  • Urge federal and Sindh authorities to ensure that a prompt, thorough and impartial investigation is conducted, the findings are made public, and that those responsible, including at the highest levels of command, are promptly brought to justice in fair trial without recourse to death penalty.
  • Urge that the family of Muzaffar Bhutto is provided full reparation, and that any attempts to stop the family pursuing justice are investigated and the perpetrators held accountable.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die Behörden sorgen nur selten dafür, dass solche Fälle mutmaßlichen Verschwindenlassens und außergerichtlicher Hinrichtung angemessen untersucht werden. Personen, die dem Verschwindenlassen zum Opfer fallen und dann freigelassen werden, sprechen häufig aus Furcht nicht über ihre Entführung und ihre Entführer. Sie sagen, dass ihnen damit gedroht wird, erneut entführt und vielleicht sogar getötet zu werden, falls sie es wagen sollten, über die Entführung zu sprechen oder gar Klage einzureichen.

Im März 2010 richtete die Regierung eine Untersuchungskommission ein, um Fälle von Verschwindenlassen zu überprüfen und die Opfer ausfindig zu machen. Seit 2011 haben der Oberste Gerichtshof und die Hohen Gerichte der Provinzen erreicht, dass die Behörden ihnen Personen übergeben, die zuvor in geheimer Haft gehalten worden waren. Dies spricht dafür, dass die Vorwürfe des Verschwindenlassens, die von Familienangehörigen und einigen Opfern erhoben werden, berechtigt sind. Die Gerichte haben die Behörden wiederholt aufgefordert, Personen, die in geheimer Haft gehalten werden, vor Gericht zu stellen oder freizulassen. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge hat die Kommission jedoch keine systematischen Versuche unternommen, die Opfer zu vernehmen, um etwaige wiederkehrende Muster in den Fällen des Verschwindenlassens aufzudecken, noch hat sie den Opfern oder ihren Familien Unterstützung angeboten oder gegen Organisationen bzw. Personen, denen Verschwindenlassen vorgeworfen wird, ermittelt. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um Angehörige des Geheimdienstes oder der Sicherheitskräfte handelt. In Pakistan besteht keine Möglichkeit des Zeugenschutzes, und daher melden ZeugInnen und Verwandte von Opfern häufig, dass sie vor, während und nach ihrer Vernehmung durch die Kommission oder ein Gericht Ziel von Einschüchterungsversuchen werden.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-059/2011-1, AI-Index: ASA 33/009/2011, Datum: 8. Juni 2012 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Postfach - 53108 Bonn
Heerstr. 178, 53111 Bonn
Telefon:+ 49 228 98373-0, Fax: +49 228 630036
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2012