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AKTION/1041: Urgent Action - Russische Föderation - Asylsuchender zurück in Tadschikistan


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-084/2011-3, AI-Index: EUR 46/020/2012, Datum: 9. Mai 2012 - bs

Russische Föderation
Asylsuchender zurück in Tadschikistan



NIZOMKHON (NIZOMHON) JURAEV, tadschikischer Staatsbürger

Nizomkhon Juraev, ein tadschikischer Asylsuchender, der seit seiner Entlassung aus russischer Haft am 29. März "verschwunden" war, ist am 7.‍ ‍April in Tadschikistan wieder aufgetaucht. Seinen Angaben zufolge befindet er sich auf freiem Fuß, ihm nahe stehende Personen gehen jedoch davon aus, dass er von den tadschikischen Sicherheitskräften in Haft gehalten wird.

Am 7. April wurde im tadschikischen Fernsehen eine Stellungnahme von Nizomkhon Juraev veröffentlicht, nach der er wegen seiner betagten Mutter freiwillig aus Russland nach Tadschikistan zurückgekehrt sei. Er beschreibt darin, wie ihm die Rückkehr gelang. Anna Stavitskaya, die russische Anwältin, die den Fall Nizomhon Juraev vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht hatte, bezweifelt, dass Nizomhon Juraev freiwillig nach Tadschikistan zurückgekehrt ist, weil er sich zuvor immer dagegen ausgesprochen hatte. Zudem erklärte sie, sie habe immer noch den Reisepass von Nizomkhon Juraev. Ohne diesen Pass und ohne ausreichende finanzielle Mittel sei es für Nizomkhon Juraev extrem schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen, nach Tadschikistan zurückzureisen.

Am 26. April erklärte der Leiter der tadschikischen Behörde für Finanzkontrolle und Bekämpfung der Korruption, Fattokh Saidov, in einem Interview mit dem tadschikischen Dienst des von den USA finanzierten Rundfunksenders Radio Liberty, Nizomkhon Juraev sei Berichten zufolge frei, lebe in Duschanbe und arbeite aktiv mit ErmittlerInnen der Behörde zusammen. Dies soll Nizomkhon Juraev später selbst in einem Interview mit der BBC bestätigt haben. Er weigerte sich jedoch, seinen genauen Aufenthaltsort bekannt zu geben. Danach widersprachen jedoch Personen aus dem Umfeld von Nizomkhon Juraev Angaben über dessen Freilassung. In einem Telefoninterview mit Radio Liberty gaben sie an, er sei immer noch in Gewahrsam. Amnesty International wird den Fall weiterhin verfolgen und gegebenenfalls weitere Aktionen einleiten. Derzeit sind jedoch keine weiteren Appelle des Eilaktionsnetzes erforderlich. Vielen Dank allen, die sich für Nizomkhon Juraev eingesetzt haben.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

2007‍ ‍wurde in Tadschikistan ein Strafverfahren gegen den ehemaligen örtlichen Parlamentarier und Geschäftsmann Nizomkhon Juraev aus der tadschikischen Region Soghd eröffnet. Man klagte ihn zusammen mit 33 weiteren Personen wegen Gewalttaten im Rahmen des organisierten Verbrechens sowie wegen Wirtschaftsverbrechen und unerlaubten Waffenbesitzes an. Einigen der Angeklagten legte man darüber hinaus die Tötung des ehemaligen stellvertretenden Staatsanwalts im Jahr 1999‍ ‍zur Last. Als das Strafverfahren begann, hielt sich Nizomkhon Juraev in Russland auf.

Im Juni 2009 wurden 31 Menschen, überwiegend Angehörige von Nizomkhon Juraev oder MitarbeiterInnen seiner Firma, zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Im Gerichtsverfahren sollen mehrere Angeklagte darüber berichtet haben, wie sie beispielsweise mit Elektroschocks gefoltert wurden. Es wurde die Anschuldigung erhoben, dass Polizisten einen Mann, der von Russland nach Tadschikistan ausgewiesen worden war, im September 2008 vergewaltigten, um von ihm ein für Nizomkhon Juraev belastendes "Geständnis" zu erzwingen.

Russische Behörden nahmen Nizomkhon Juraev aufgrund eines Auslieferungsantrags der tadschikischen Behörden im August 2010 in Moskau in Haft. Der Antrag auf Anerkennung als Flüchtling, den Nizomkhon Juraev in der Russischen Föderation eingereicht hatte, wurde, wie auch nachfolgend eingelegte Rechtsmittel, abgelehnt. Am 16.‍ ‍Februar 2011 entschied der russische Generalstaatsanwalt, dass Nizomkhon Juraev ausgeliefert werden könne. Im April 2011 bestätigte das zuständige Gericht in Moskau diese Entscheidung mit der Begründung, dass die Angaben über Folter und unfaire Gerichtsverfahren in Tadschikistan gegenstandslos seien, da man auf diplomatischer Ebene beteuert habe, Nizomkhon Juraev würde bei seiner Ankunft in Tadschikistan nicht gefoltert werden.

Am 24. November 2011 beantragte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vorläufige Maßnahmen nach Regel 39 der Verfahrensordnung des EGMR, um so die Abschiebung von Nizomkhon Juraev nach Tadschikistan zu verhindern, bis sein Fall vor dem EGMR entschieden wurde.

Am 27. Februar endete die Haftstrafe von Nizomkhon Juraev. Daraufhin soll er jedoch wegen versuchten Mordes angeklagt und abermals inhaftiert worden sein, obwohl er erklärte, zur vermeintlichen Tatzeit nicht in Russland gewesen zu sein. Am 29. März erfuhr die Anwältin von Nizomkhon Juraev dann, dass die Anklage wegen versuchten Mordes fallengelassen worden war, ihr Mandant nun jedoch wegen Morddrohungen angeklagt worden sei. Darüber war sie im Vorfeld nicht informiert worden. Nizomkhon Juraev soll unter der Auflage, die Region Moskau nicht zu verlassen, aus der Haft entlassen worden sein. In den vergangenen Jahren hat die Russische Föderation mehrere Personen in Länder wie Tadschikistan oder Usbekistan ausgeliefert, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet ist, Menschen Schutz zu gewähren, denen bei einer Rückführung in ihre Heimatländer Folter und andere Misshandlungen drohen.

Amnesty International ist angesichts aktueller Berichte, laut derer tadschikische und russische Sicherheitskräfte zusammenarbeiten, um TadschikInnen zu entführen und unter Zwang in ihr Heimatland zurückzuführen, sehr besorgt. Auch StaatsbürgerInnen aus Tadschikistan, die Rechtsschutz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beantragt haben, sind von diesen Rückführungen betroffen. 2011 ist es zu mehreren rechtswidrigen Rückführungen gekommen, obwohl der EGMR vorläufige Maßnahmen erlassen hatte, mit denen Russland zu einer Aussetzung der Abschiebungsanordnung aufgefordert wurde, bis der Gerichtshof über die jeweiligen Fälle der Antragsteller entscheiden konnte. Savriddin Dzhurayev wurde beispielsweise entführt und im November 2011 nach Tadschikistan zurückgeführt. Er schrieb daraufhin seinen Rechtsbeiständen von den Misshandlungen, die er bei seiner Rückkehr nach Tadschikistan erlitten hatte. Auch Suhrob Koziev wurde im August 2011 nach Tadschikistan rückgeführt. ZeugInnen berichteten, dass man ihn misshandelt habe, um ein "Geständnis" von ihm zu erhalten. Im Januar 2012‍ ‍forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland auf zu erklären, warum "AntragstellerInnen gegen ihren Willen über die Staatsgrenze von Russland gebracht werden, obwohl die russische Regierung offiziell versichert hat, keine Auslieferungen vorzunehmen, solange der Gerichtshof die jeweiligen Fälle noch untersucht".

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-084/2011-3, AI-Index: EUR 46/020/2012, Datum: 9. Mai 2012 - bs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012