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AFRIKA/210: Folter ist für Nigerias Polizisten und Soldaten Routine


Pressemitteilung vom 18. September 2014

Amnesty: Folter ist für Nigerias Polizisten und Soldaten Routine

Mit Schlägen, Elektroschocks, Vergewaltigungen und anderen Methoden werden Frauen, Männer und Kinder misshandelt. In vielen Polizeiwachen gibt es inoffizielle Folterbeauftragte



BERLIN / ABJUA, 18.09.2014 - Nigerianische Polizisten foltern systematisch, auch in der Armee gehört Folter zur Routine. Sie foltern als Bestrafung, um Geld zu erpressen oder um Fälle schneller zu "lösen". Zu dem Schluss kommt Amnesty International in dem heute in Abuja veröffentlichten Bericht "Welcome to hell fire". Obwohl durch internationale Verträge verboten, ist Folter in Nigeria kein Straftatbestand und die Täter bleiben unbestraft.

"Frauen, Männer und Kinder, teilweise zwölf Jahre jung, werden im ganzen Land von den Behörden, die sie eigentlich schützen sollen, gefoltert. Wir kennen viele Folterschilderungen, aber das Ausmaß und die Form der Misshandlungen, die wir in dem Bericht zusammengetragen haben, ist auch für uns besonders schockierend", sagt Selmin Çalιşkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

Für den Bericht wurden über zehn Jahre Zeugenaussagen und Beweise gesammelt. Obwohl Folter durch die Verfassung verboten ist, sind Folterkammern auf Polizeiwachen nicht ungewöhnlich und Soldaten misshandeln routinemäßig Gefangene, da es kein Gesetz gibt, welches dieses Vorgehen bestraft. Folter wird auch dadurch erleichtert, dass ein Großteil der Gefangenen in Isolationshaft gehalten wird - ohne Kontakt zur Außenwelt, zu Anwälten, Gerichten oder der Familie.

Ziehen von Nägeln und Zähnen, Würgen, Elektroschocks und sexualisierte Gewalt gehören zu den Folterpraktiken, die zu einem festen Bestandteil der nigerianischen Polizeiarbeit geworden sind. Viele Polizeiwachen haben inoffizielle "Folterbeauftragte" und "Folterkammern".

"Soldaten verhaften hunderte Menschen auf ihrer Suche nach Boko Haram-Mitgliedern und -Unterstützern. Diese Verdächtigen werden dann einem "Screening" unterzogen, das einem Hexenprozess aus dem Mittelalter gleicht", so Çalιşkan. "Die Zahl der Folterfälle ist mit dem Kampf gegen Boko Haram angestiegen, aber gefoltert werden nicht nur mutmaßliche Boko Haram-Mitglieder. Folter kann in Nigeria jeden und jede treffen."

In den meisten Fällen, die Amnesty International dokumentiert hat, ermittelten die Behörden nicht ernsthaft gegen die mutmaßlichen Folterer und nichts wurde unternommen, um sie vor Gericht zu bringen. Nicht in einem der Hunderten von Fällen, die Amnesty International untersuchte, wurde ein Überlebender von Folter entschädigt und rehabilitiert.

"Der Regierung ist das Problem durchaus bewusst", stellt Çalιşkan fest. "In den letzten 10 Jahren wurden mindestens fünf präsidentielle Komitees und Arbeitsgruppen einberufen, um das Justizwesen zu reformieren und Folter abzuschaffen. Die Reformen werden aber nur quälend langsam umgesetzt."

"Es wird höchste Zeit, dass die nigerianische Regierung den Kampf gegen Folter ernst nimmt", sagt Çalιşkan. "Die wichtigsten Schritte sind klar: Nigeria muss Folter zum Straftatbestand machen, die Praxis der Isolationshaft beenden und alle Misshandlungsvorwürfe gründlich untersuchen."

"Seit 2008 besteht eine deutsch-nigerianische Energiepartnerschaft, zudem unterstützt die Bundesregierung Nigeria im Sicherheitssektor. Die Bundesregierung muss diese engen Kontakte nutzen, um die klare Botschaft zu senden, dass Folter nicht hinnehmbar ist", fordert Çalιşkan. "In der Sicherheitszusammenarbeit darf sich Deutschland nicht zum Komplizen von Folterern machen."

Fallbeispiele aus dem Bericht:

Abosede, 24 Jahre alt, schilderte Amnesty International brutale Misshandlungen durch die Polizei, die ihr dauerhafte gesundheitliche Schäden zufügte: "Eine Polizistin führte mich in ein kleines Zimmer und befahl mir mich nackt auszuziehen. Sie spreizte meine Beine und feuerte Tränengas in meine Vagina. (...) Ich sollte einen bewaffneten Raubüberfall gestehen (...) Ich blutete (...) noch immer habe ich Schmerzen in meinem Unterleib."

Mahmood, ein 15-jähriger Junge aus dem Bundesstaat Yobe, wurde mit 50 weiteren Verdächtigen verhaftet, größtenteils Jungen zwischen 13 und 19 Jahren. Er berichtete Amnesty International, dass er vom Militär für drei Wochen festgehalten wurde. In dieser Zeit wurde er immer wieder mit Gewehrkolben, Schlagstöcken und Macheten geschlagen, geschmolzenes Plastik wurde über seinen Rücken geschüttet, er musste über Scherben laufen und sich in ihnen wälzen und wurde gezwungen, außergerichtliche Hinrichtungen von Mitgefangen anzusehen.

Ein 12-jähriger Junge wurde in Yobe durch das Militär verhaftet. Die Soldaten schlugen und traten ihn, übergossen ihn mit Alkohol und befahlen ihm Erbrochenes mit seinen bloßen Händen aufzuwischen.

Den vollständigen Bericht und weiteres Material stellen wir Ihnen gerne vorab zur Verfügung. Für weitere Informationen oder Interviewanfragen wenden Sie sich bitte an die Pressestelle. Der Bericht zu Nigeria ist einer in einer Reihe von Untersuchungen zur Verbreitung von Folter in verschiedenen Ländern, die Amnesty im Rahmen der Kampagne "Stop Folter" veröffentlicht.

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AMNESTY INTERNATIONAL ist eine von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen unabhängige Menschenrechtsorganisation. Amnesty kämpft seit 1961 mit Aktionen, Appellbriefen und Dokumentationen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt. Die Organisation hat weltweit drei Millionen Unterstützer. 1977 erhielt Amnesty den Friedensnobelpreis.

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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 18. September 2014
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014