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AFRIKA/158: Tschad - "Wir brauchen einen offenen Dialog" (ai journal)


amnesty journal 05/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Wir brauchen einen offenen Dialog"

Regierung, Rebellen und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam an einem Friedensprozess im Tschad arbeiten, erklärt die Menschenrechtsverteidigerin Delphine Djiraibè


FRAGE: Anfang Februar stürmten Rebellengruppen die Hauptstadt N'Djamena, um den Präsidenten Idriss Déby zu stürzen. Aufständische und Armee lieferten sich schwere Kämpfe. Sie mussten in diesen Tagen den Tschad verlassen. Warum?

DELPHINE DJIRAIBE: Die Soldaten haben viele politische Aktivisten und Anführer zivilgesellschaftlicher Gruppen festgenommen. Ich arbeite im Centre of Reconciliation, einem Netzwerk von Menschenrechtsinitiativen, Gewerkschaften, Frauenorganisationen und der Friedens- und Gerechtigkeitskommission der katholischen Kirche. Folglich musste auch ich mit Repressalien rechnen. Durch die Hilfe von Kollegen aus Frankreich und Deutschland konnten wir, die Menschenrechtsverteidigerin Jaqueline Moudeina und ich, nach Paris flüchten. Die Situation war sehr unübersichtlich, und deshalb haben viele das Land verlassen, die meisten gingen nach Kamerun. Wer im Land geblieben ist, musste sich verstecken. Manche sind in den Süden des Tschad geflüchtet, wo es etwas ruhiger ist.

FRAGE: Die Regierung ging nicht nur gegen die Rebellengruppen, sondern gegen alle Oppositionelle vor?

DELPHINE DJIRAIBE: Alle waren bedroht. Kurz vor dem Angriff erklärte Innenminister Ahmat Mahamat Bachir, man werde jeden verfolgen, der die Regierungsmacht in Frage stelle. Dann rief Präsident Déby den Ausnahmezustand aus, jede Menschenrechtsarbeit war faktisch verboten. Man konnte die Regierung nicht öffentlich kritisieren, sich nicht mehr treffen und erst recht keine Untersuchungen anstellen, um Menschenrechtsverbrechen anzuprangern. Die Meinungs- und Pressefreiheit wurde außer Kraft gesetzt, einige unabhängige Zeitungen haben aus Protest geschlossen, da die Journalisten nicht mehr arbeiten konnten. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen, Frauen wurden vergewaltigt, Menschen sind verschwunden. Die Soldaten haben Häuser durchsucht und geplündert, weil sich dort angeblich Rebellen versteckt hielten. Wegen des Ausnahmezustands war es nicht einmal möglich, gegen diese Maßnahmen gerichtlich vorzugehen.

FRAGE: Gingen die Übergriffe nur von der Armee aus?

DELPHINE DJIRAIBE: Es war nicht nur das Militär beteiligt. Besonders brutal ging die JEM, die "Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit" vor, eine Rebellengruppe aus Darfur, die gegen die Regierung des Sudan kämpft und von Déby unterstützt wird. Die JEM hilft dem Präsidenten im Kampf gegen die Aufständischen im Tschad.

FRAGE: Déby konnte die Rebellion, bei der 700 Menschen starben, abwehren. Nach zwei Wochen war der Aufstand niedergeschlagen. Ist damit Ruhe einkehrt?

DELPHINE DJIRAIBE: Nein. Ich gehe davon aus, dass sich die Regierung auf neue Kämpfe vorbereitet. Der Tschad nimmt viel Geld durch seine Öl-Vorkommen ein, und Déby steckt fast alles in Waffen. Außerdem heuert er Ausländer an, die für ihn kämpfen. Rund um die Hauptstadt wird eine Mauer gebaut. Sie soll verhindern, dass die Rebellengruppen noch einmal eindringen. Aber auch die Rebellen organisieren sich wieder. Sie besitzen immer mehr Waffen und werden vom sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir unterstützt. Alles weist darauf hin, dass sich der Konflikt zwischen dem Tschad und dem Sudan verschärft und der Krieg weitergeht.

FRAGE: Was muss geschehen, damit das Morden ein Ende hat?

DELPHINE DJIRAIBE: In erster Linie brauchen wir einen umfassenden und offenen Dialog, an dem Politiker, zivilgesellschaftliche Gruppen und auch die Rebellengruppen beteiligt werden. Nur so können wir einen nachhaltigen Friedensprozess in Gang bringen. Zudem müssen die Rebellen entwaffnet und andere Milizen aufgelöst werden. Für die Sicherheit im Land sollten internationale Truppen oder die von der zivilen UN-Mission MINURCAT ausgebildete Polizei des Tschad sorgen.

FRAGE: Wie sollten sich die europäischen Regierungen verhalten?

DELPHINE DJIRAIBE: Die Europäische Union muss sich dafür einsetzen, dass der von uns geforderte Dialog stattfindet. Déby ist daran nicht interessiert. Er hat eine Versöhnungskonferenz 2006 boykottiert, letztlich musste das Treffen sogar wegen Einschüchterungen der Sicherheitskräfte abgebrochen werden. Wenn die EU jetzt Druck machen würde, müsste sich Déby auf den Dialog einlassen. Schließlich hängt die Regierung des Tschad von der militärischen Hilfe Frankreichs ab. Wenn die französische Regierung ihn nicht unterstützen würde, könnte er den Krieg nicht gewinnen. Die deutsche Regierung sollte sich dafür stark machen, dass der Vorschlag in der EU debattiert wird.

FRAGE: Warum nicht die Franzosen? Frankreich ist die ehemalige Kolonialmacht des Tschad und besitzt dort einen seiner wichtigsten Militärstützpunkte.

DELPHINE DJIRAIBE: Paris ist zu sehr in den Konflikt involviert. Frankreich kann keine neutrale Rolle spielen, weil es ganz offensichtlich Präsident Déby unterstützt. Die französische Regierung hilft ihm finanziell, politisch und militärisch, die Rebellen zurückzuschlagen. Wir brauchen jemand, der die Führung übernimmt und den Franzosen den Raum gibt, ihre Haltung zu überdenken. Die französische Regierung muss ihre Unterstützung daran knüpfen, dass sich Déby auf einen Dialog einlässt. Immerhin gibt es eine Hoffnung: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat sich jüngst bei einem Besuch in Südafrika für den Dialog ausgesprochen. Wir interpretieren das als eine Bereitschaft seiner Regierung, ihr Engagement zu verändern.

FRAGE: In den letzten Monaten wurden EUFOR-Friedenstruppen im Osten des Tschad stationiert, um Flüchtlingslager zu schützen. Was erwarten Sie von dieser Mission?

DELPHINE DJIRAIBE: Die EUFOR-Mission macht nur Sinn, wenn sie das Problem grundsätzlich angeht. Die Friedenstruppen können nur effektiv sein, wenn es einen offenen und umfassenden politischen Dialog aller Akteure gibt. Das betrifft auch die Situation in Darfur. Zuerst müssen die gesellschaftlichen Kräfte im Tschad und im Sudan zu einer Lösung kommen, und erst danach kann es zu einer Lösung der zwischenstaatlichen Probleme und in Darfur kommen. So wie die Situation im Moment ist, werden die Flüchtlinge aus Darfur weiterhin in Angst und Schrecken leben.

Die EU muss eine neutrale Vermittlerrolle einnehmen und diese auch an die EUFOR weitergeben. Dass Frankreich die meisten Soldaten der Truppe stellt, macht die Sache nicht einfacher. Aber wenn wir diesen Dialog nicht hinkriegen, bleibt auch die EUFOR-Mission nur eine Verschwendung von Zeit, Geld und Energie.

Interview: Wolf-Dieter Vogel


Delphine Djiraibè ist Rechtsanwältin und Gründerin des Appells für Frieden und nationale Versöhnung im Tschad. Für ihr Engagement erhielt sie im Jahr 2004 den Robert F. Kennedy-Menschenrechtspreis.


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REICHTUM UND HUNGER

Trotz umfangreicher Ölverkäufe leben die meisten der zehn Millionen Einwohner des Tschad in Armut. Wie alle Präsidenten seit der Unabhängigkeit von 1960 ist auch Staatschef Déby nicht durch Wahlen ins Amt gekommen. Das zentralafrikanische Land liegt mit dem Nachbarstaat Sudan in einem bewaffneten Konflikt: Déby unterstützt Rebellengruppen gegen die sudanesische Regierung, diese wiederum Aufständische gegen das Regime im Tschad. Hunderttausende Sudanesen flüchteten vor Angriffen von Milizen und der Armee aus Darfur in das Nachbarland. EUFOR-Truppen sollen die Flüchtlinge schützen.


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Quelle:
amnesty journal, Mai 2008, S. 28-29
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2008