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AFRIKA/156: Politisches Chaos in Kenia (ai journal)


amnesty journal 04/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Der Teufel steckt im Detail"
Ein Gespräch mit der kenianischen Menschenrechtlerin Gladwell Otieno über das politische Chaos in Kenia und die Voraussetzungen für einen stabilen Frieden.

Interview: Rebekka Rust


FRAGE: Ende Februar unterzeichneten Präsident Mwai Kibaki und Oppositionsführer Raila Odinga eine Vereinbarung zur Beilegung des Machtkonflikts. Was ging in Ihnen vor, als Sie davon hörten?

GLADWELL OTIENO: Ich war erleichtert. Und dann dachte ich: Es geht nicht darum, dass die Kontrahenten die Macht unter sich aufteilen, während die Probleme im Land weiter bestehen. Auch ist unklar, wie die Vereinbarung im Detail aussehen soll.

FRAGE: Dennoch hat sich die Lage sofort beruhigt.

GLADWELL OTIENO: In den meisten Teilen des Landes sind die gewalttätigen Ausschreitungen weitgehend beendet, aber die Haltung der Menschen ist abwartend.

FRAGE: Warum brach der Konflikt so heftig aus?

GLADWELL OTIENO: Es gab schon vor den Wahlen eine klare Ablehnung der Regierung Mwai Kibakis - selbst in der Zentralprovinz, wo er die meisten Unterstützer hat, wurden viele seiner Minister abgewählt. Die Menschen wollten einen Wandel. Und sie waren sicher, dass sie ihn bekommen würden. Vor diesem Hintergrund ist die Wut der Menschen zu verstehen, als der Verdacht der manipulierten Wahlen aufkam.

FRAGE: Kenia galt als afrikanisches Vorzeigeland - mit wachsender Wirtschaft, boomendem Tourismus und guter Infrastruktur. Wurde die Stabilität überschätzt?

GLADWELL OTIENO: Kenia war erfolgreicher als andere afrikanische Länder. Aber unter der Oberfläche hat es immer gebrodelt. Unsere Umwelt wird zunehmend zerstört. Die Bevölkerung wächst rasant. Eine Mehrheit der Kenianer ist unter zwanzig. Es gibt ein Heer arbeitsloser junger Männer. Kenia gehört zu den Ländern mit der größten Ungleichheit weltweit. Von unserem Wirtschaftswachstum profitiert nur eine kleine Elite, während die meisten Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Das sind alles tickende Zeitbomben.

FRAGE: Wie hat sich die Krise auf die Region ausgewirkt?

GLADWELL OTIENO: Kenia ist die Drehscheibe Ostafrikas. Uganda, Ruanda, Burundi, die östliche Demokratische Republik Kongo - sie alle sind abhängig von Kenia. Der Ölpreis stieg, humanitäre Hilfsleistungen erreichten nicht mehr den Südsudan, denn mit der Krise waren auch die Zufahrtswege geschlossen.

FRAGE: Als die Gewalt in Kenia eskalierte, wurde schon von einem "zweiten Ruanda" gesprochen, einem Krieg zwischen der Ethnie der Kikuyu, der Präsident Kibaki angehört, und den Luos, den Unterstützern von Oppositionsführer Odinga.

GLADWELL OTIENO: Es ist eine grobe Vereinfachung, den Konflikt auf seine ethnische Komponente zu reduzieren. Die Probleme sind komplexer. Es stimmt aber, dass in Kenia die ethnische Zugehörigkeit darüber bestimmen kann, welche Chancen man im Leben hat. Unter Kibaki beherrschen die Kikuyus Politik und Wirtschaft, und auch die langjährigen Ungerechtigkeiten bei der Landverteilung verlaufen entlang ethnischer Linien. Ein Großteil des Landes ist im Besitz der Familien der ehemaligen Präsidenten Jomo Kenyatta, einem Kikuyu, Daniel arap Moi, einem Kalenjin, dem aktuellen Präsidenten Mwai Kibaki und einer kleinen Schicht Kleptokraten. Das birgt Konfliktpotential.

FRAGE: Sehen Sie Parallelen zu anderen Konflikten in Afrika?

GLADWELL OTIENO: Bislang erlag Kenia dem "Mythos der Einzigartigkeit". Wir haben auf die afrikanischen Konflikte geschaut und immer gedacht: "So etwas kann uns nicht passieren." Wir haben auf das ärmere Tansania herabgesehen, aber als Kenia ins Chaos stürzte, vermittelte der tansanische Präsident an der Seite von Kofi Annan! Erstmals mussten wir uns mit dem Gedanken auseinandersetzen, was wäre, wenn bei uns die Situation wie in der Elfenbeinküste eskaliert. Die Krise hat uns wachgerüttelt und gezeigt, dass sich Kenia auf dem afrikanischen Kontinent befindet und wir mit ähnlichen Problemen wie die anderen afrikanischen Länder zu kämpfen haben.

FRAGE: Wie beurteilen Sie die Rolle der internationalen Gemeinschaft?

GLADWELL OTIENO: Sie hat den Konflikt sehr ernst genommen. Ban Ki Moon, Kofi Annan, Condoleezza Rice kamen nach Kenia. Visa- und Reisebeschränkungen wurden verhängt. Als Mwai Kibaki nach den mutmaßlichen Wahlfälschungen vor der Afrikanischen Union auftrat, bezog diese klar Position. Der Druck auf die politischen Akteure darf jetzt aber nicht nachlassen. Wir sind den steinigsten Weg noch nicht gegangen. Es ist einfach, ein Stück Papier zu unterzeichnen. Wie aber soll die Macht genau aufgeteilt werden? Der Teufel steckt im Detail.

FRAGE: amnesty international startete eine Eilaktion, weil Sie und andere Menschenrechtsverteidiger Morddrohungen erhalten haben. Was steckt dahinter?

GLADWELL OTIENO: Zahlreiche Menschen, die über die mutmaßlichen Wahlfälschungen gesprochen und internationale Organisationen über die Situation in Kenia informiert haben, erhielten Morddrohungen. Einige von ihnen sind so gefährdet, dass sie Kenia verlassen mussten. Auch mein Name steht auf einer Liste, die per E-Mail kursiert. Ich nehme das ernst, gehe aber weiter meiner Arbeit nach. Es ist eine diffuse Bedrohung, weil man nicht genau sagen kann, wer dahinter steckt.

FRAGE: Wie kann ai Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen?

GLADWELL OTIENO: Als Repräsentanten der Zivilgesellschaft haben wir die Aufgabe, nicht nur ein Ende der Gewalt einzufordern, sondern die Probleme zu benennen, die der Krise zugrunde liegen. Geschieht das nicht, wird es keine nachhaltige Stabilität geben denn Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt. Dazu gehört auch, dass den Vorwürfen der Wahlfälschung nachgegangen wird. Im Februar organisierte ai einen "Internationalen Tag für Kenia". Diese Öffentlichkeit brauchen wir.

FRAGE: Sie leiten die Organisation "Africa Center for Open Governance" (AfriCOG) in Nairobi. Was sind Ihre zentralen Themen?

GLADWELL OTIENO: Transparente Regierungsführung und Korruption. Wie in den meisten afrikanischen Ländern ist in Kenia politische Macht mit Wohlstand verbunden. Deshalb kleben die Politiker regelrecht an der Macht und können nicht loslassen. Durch die Aufteilung der Macht zwischen Kibaki und Odinga gibt es in Kenia keine Opposition mehr. Schon im Hinblick auf eine Aufklärung der Wahlfälschungen ist nicht davon auszugehen, dass sich die Politik dessen annimmt. Für uns ist das eine große Herausforderung - wir müssen die Rolle einer parlamentarischen Opposition einnehmen.

FRAGE: Sie haben 18 Jahre in Deutschland gelebt. Was gab den Ausschlag, nach Kenia zurückzukehren?

GLADWELL OTIENO: Obwohl ich in Deutschland sehr verwurzelt war, hatte ich immer das Gefühl, als Ausländerin nicht Stellung beziehen zu dürfen. In meiner Heimat ist das anders. Hier geht es um mich und um mein Land. In Kenia habe ich das Recht, meine Meinung zu äußern. Das möchte ich nicht missen.


Gladwell Otieno leitet die kenianische Menschenrechtsorganisation "AfriCOG" (Africa Center for Open Governance) mit Sitz in Nairobi. Von 2002 bis 2005 war sie Leiterin von "Transparency International Kenia". Sie hat in Berlin Politik studiert.


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DIE TEILUNG DER MACHT IN KENIA

Sowohl Mwai Kibaki als auch Raila Odinga beanspruchten nach der Präsidentschaftswahl am 27. Dezember den Wahlsieg für sich. Bei den nachfolgenden Unruhen wurden mehr als 1.500 Menschen getötet und Hunderttausende in die Flucht getrieben. Fünf Wochen hatte der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan zwischen den Konfliktparteien vermittelt, bis sie Ende Februar eine Vereinbarung zur Teilung der Macht unterschrieben. Demnach erkennt die Opposition Kibaki als Präsident an und stellt Odinga als Premierminister.


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Quelle:
amnesty journal, April 2008, S. 30-31
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2008