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REZENSION/785: Hamza Hamouchene, Katie Sandwell (Hrsg.) - Dismantling Green Colonialism (SB)


Hamza Hamouchene, Katie Sandwell (Hrsg.)


Dismantling Green Colonialism

Energy and Climate Justice in the Arab Region




Buchcover: Dismantling Green Colonialism. Energy and Climate Justice in the Arab Region - © Pluto Press

Buchcover: © by Pluto Press

Ausgerechnet die Zerstörer der Welt bieten sich nun als ihre Retter an. Als Retter vor einer Bedrohung, an der sie aufgrund ihrer einträglichen Geschäfte mit Erdöl, Erdgas und Kohle sehenden Auges beteiligt waren und nach wie vor sind. Jahrzehntelang wurde die Erdatmosphäre als kostenfreies Endlager für klimaschädliche Abgase aus dem Verbrennen fossiler Energieträger genutzt. Nun sollen die Folgen der Treibhausgasemissionen durch die Verbreitung erneuerbarer Energien gelindert werden. Hier öffnet sich ein weiteres, attraktives Geschäftsfeld.

Welche Auswirkungen die Hinwendung der arabischen Welt zu den ethisch vermeintlich sauberen Energien aus Wind und Sonne hat, zu dieser Frage haben Hamza Hamouchene und Katie Sandwell eine lesenswerte Sammlung politikwissenschaftlicher Essays herausgegeben. Hamouchene ist Programmkoordinator für Nordafrika bei der Nichtregierungsorganisation Transnational Institute (TNI), Sandwell ist ebenfalls Programmdirektorin beim TNI, mit dem Schwerpunkt Ernährungssouveränität. Der im Internet frei verfügbare, englischsprachige Sammelband wurde durch ein Treffen von Umweltgerechtigkeits- und Arbeitsorganisationen 2019 in Amsterdam angeregt.

"Dismanteling Green Colonialism" - zu Deutsch "den grünen Kolonialismus demontieren" - lautet der Titel, unter dem sich Autorinnen und Autoren in dreizehn Aufsätzen mit dem Problem auseinandersetzen, dass der Klimawandel und die globale Erwärmung es zwar dringend erforderlich machen, fortan kein Erdöl, Erdgas und keine Kohle zu verbrennen, aber dass die Etablierung alternativer Technologien an den vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen per se nichts ändert. Wie bereits von der fossilen Energiewirtschaft leidlich bekannt, begleiten Unterwerfung, Vertreibung, Enteignung und auch Umweltzerstörungen die Einführung der erneuerbaren Energien im arabischen Raum.

Für Menschen, die von ihrem Land vertrieben werden, macht es keinen Unterschied, ob sie wegen des Baus einer Erdölpipeline oder eines solarthermischen Kraftwerks weichen müssen. Beispielsweise die Menschen in Westsahara. Das Land im Westen Nordafrikas ist seit beinahe einem halben Jahrhundert größtenteils von Marokko besetzt. Dort wird das Selbstbestimmungsrecht des Volks der Sahrawis durch den fortgeschrittenen grünen Entwicklungspfad der Invasoren "untergraben" (S. 49), schreiben Joanna Allan, Hamza Lakhal und Mahmoud Lemaadel über diesen ungelösten Dauerkonflikt. Neben der Ausbeutung von Fischereigebieten, dem Abbau von Phosphaten und anderen Rohstoffen sowie der Ausfuhr von Agrarerzeugnissen aus Westsahara geselle sich als weiteres kolonialistisches Projekt der Landnutzungsraub durch Erneuerbare-Energieprojekte hinzu.

Auf internationaler Klimaschutzbühne hängt sich Marokko gern ein grünes Mäntelchen um und versucht mit nachhaltigen Projekten diplomatisch zu punkten. Nahezu alle von Marokko initiierten Windenergieanlagen in Westsahara werden von dem Unternehmen Nareva betrieben, das zu dem Konzern Al Mada gehört und somit Eigentum des marokkanischen Königs ist. Nareva wiederum hat unter anderem mit der Windenergietochter des deutschstämmigen Weltkonzerns Siemens zusammengearbeitet. Durch eine solche internationale Kooperation erhält die Besetzung der Westsahara den Anstrich von Legitimität.

In der Einleitung des Sammelbands wird der Kurs der nachfolgenden Essays recht pointiert angelegt. Es wird kritisiert, dass die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Schutz vor dem Klimawandel und einer gesellschaftlichen Transformation von internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank und dem IWF sowie den Regierungen der Nordhalbkugel dahingehend Verwendung findet, ihre Vorstellung einer kapitalistischen Gesellschaft zu implementieren. Stets sähen die Bemühungen vor, dass der Übergang von Unternehmen geleitet wird, in keinem einzigen Beispiel werde der arbeitenden Bevölkerung die Ausgestaltung der Zukunft zugesprochen.

Die vorherrschenden gesellschaftlichen Akteure scheuten sich nicht, die Gefahren einer wärmeren Welt zu beleuchten und Pläne für den Aufbau von erneuerbaren Energien und zur Anpassung an die Klimagefahren zu entwerfen. Doch blieben die Analysen vom Klimawandel und zum notwendigen Übergang nicht einfach nur begrenzt, sie seien sogar "gefährlich". Denn sie drohten, die "Muster von Enteignung und Ressourcenraub, durch die das vorangegangene Regime der fossilen Treibstoffe charakterisiert wird, zu reproduzieren" (S. 5 [1]). Die vielbeschworene nachhaltige Entwicklung erweise sich als "bloße Erweiterung der bestehenden Logik der Kapitalakkumulation, Kommodifizierung und Finanzialisierung, einschließlich der natürlichen Welt" (S. 6).

Als vor rund zwölf Jahren das Desertec-Konzept einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, erhielt es viel Zuspruch ... aus Europa zumindest. Im sonnenreichen Nordafrika sollte mittels solarthermischer Anlagen, Windrädern und anderen Energietechnologien klimafreundlicher Strom generiert werden, um Europas Energiehunger zu stillen. Den Blickfang in der medialen Berichterstattung bildete eine geographische Karte vom nördlichen Teil Afrikas, dem Nahen Osten und großen Teilen Europas. Inmitten der Sahara war ein rotes Quadrat eingezeichnet, das die Fläche symbolisierte, die rechnerisch notwendig wäre, um mit Solaranlagen den gesamten Weltenergiebedarf zu decken.

Obwohl die Desertec-Initiatoren nicht behauptet hatten, dass in eben jener rot gekennzeichneten Wüstenfläche Energieprojekte aufgebaut werden sollten, deckt sich die Darstellung mit einer typisch europazentrierten, kolonialistischen Sichtweise. Die Sahara wird in der Regel als ein riesiges, dünn besiedeltes Gebiet beschrieben, das ein "Eldorado für erneuerbare Energien" darstellt und somit als "goldene Gelegenheit" erscheint, Europa mit Energie zu versorgen, damit es seinen "extravaganten Konsumstil und seinen übermäßigen Energieverbrauch" fortsetzen kann, heißt es im ersten Essay.

"Dieses trügerische Narrativ übersieht jedoch Fragen des Eigentums und der Souveränität und verschleiert die anhaltenden globalen Hegemonie- und Herrschaftsverhältnisse, die die Plünderung von Ressourcen, die Privatisierung von Gemeingütern und die Enteignung von Gemeinschaften erleichtern und damit undemokratische und ausgrenzende Formen der Steuerung der Energiewende befestigen." (S. 29f)

Selbst in den Ländern, in denen nicht einmal der heimische Bedarf an Energie gedeckt werden könne, entstünden Projekte zur Generierung erneuerbarer Energien, die jedoch für den Export vorgesehen seien. Kolonialismus in Reinkultur: Der globale Süden beliefert den globalen Norden mit billigen natürlichen Rohstoffen, einschließlich der Sonnenenergie, während gleichzeitig die Festung Europa Mauern und Zäune errichtet, um Flüchtende davon abzuhalten, ihre Küsten zu erreichen. (S. 38)

Auch wenn nicht jeder Beitrag so zugespitzt geschrieben ist wie der von Hamza Hamouchene ("The Energy Transition in North Africa: Neocolonialism Again!"), lohnt sich die Lektüre auch der anderen Essays für alle, die mehr über die Energiepolitik und damit einhergehende gesellschaftliche Konflikte in der arabischen Welt erfahren wollen, als was in den hiesigen Mainstream-Medien häufig klischeetriefend aus dieser Weltregion kolportiert wird.

Das mit Hauptsitz in Amsterdam ansässige Transnational Institute und damit auch die vorliegende Aufsatzsammlung positionieren sich an der Schnittstelle zwischen sozial- und politikwissenschaftlicher Analyse auf der einen Seite und lokalen Initiativen bzw. nationalen Strömungen auf der anderen. Das hat zur Folge, dass in den Essays beispielsweise die Aufrufe von Aktivistinnen und Aktivisten nicht eins zu eins wiedergegeben, sondern deren Forderungen untersucht und gesellschaftskritisch eingeordnet werden.

Mit dem Vorschlag, "einen gemeinsamen Energiemarkt" im arabischen Raum zu schaffen, um die Energiekrise in Jordanien und darüber hinaus zu lösen (S. 196f), wird letztlich sogar dem vorherrschenden Interesse das Wort geredet. Wie im Untertitel des Buchs angedeutet, geht es wesentlich darum, aufzuzeigen, wie Klimaschutzmaßnahmen und Energiegewinnung bzw. -verteilung "gerecht" organisiert werden können. Die Autorinnen und Autoren plädieren mehr oder weniger direkt für Verteilungsgerechtigkeit. Dazu drei Beispiele.

Saker El Nour ("Towards a Just Agricultural Transition in North Africa") warnt, dass die Länder Nordafrikas ihre Landwirtschafts-, Umwelt-, Nahrungs- und Energiepolitiken überdenken sollten. Bisher seien sie zu sehr auf die Interessen der Europäischen Union ausgerichtet. Statt dessen sollten Alternativen geschaffen werden, die stärker lokal orientiert sein müssten.

Vor zehn Jahren war es in Ägypten zu großflächigen Stromausfällen gekommen. Die Regierung habe mit der weiteren Liberalisierung der Strompreise und der Abschaffung von Subventionen für eine breite Palette an Einkommensgruppen reagiert, schreibt Mohamed Gad ("International Finance and the Commodification of Electricity in Egypt"). Er kritisiert an diesem von der Weltbank unterstützten Vorgehen, dass damit internationale Investoren Einfluss auf die Stromversorgung Ägyptens erhalten - zu Lasten der ärmeren Bevölkerungsgruppen. Eine staatliche Grundversorgung wäre zu einer Ware verkommen.

Die Golfstaaten arbeiten intensiv an ihrem Einfluss auf das globale Energieregime, berichtet Christian Henderson ("Unjust transitions: The Gulf States' Role in the 'Sustainability Shift' in the Middle East and North Africa"). Dabei gehen sie zweigleisig vor, um einerseits in Zukunft weiterhin von ihren fossilen Energiereserven zu profitieren und sich andererseits als Vorreiter für erneuerbare Energien aufzuspielen.

Ob Marokko, Tunesien, Jordanien oder Sudan, die Berichte aus diesen und weiteren Ländern weisen Ähnlichkeiten auf: Die Projekte werden von oben herab implementiert, meist mit Unterstützung ausländischer Finanziers. Die "Energie- und Klimagerechtigkeit", wie sie im Untertitel des Buchs gefordert wird, bleibt unerfüllt ... zumindest vom Standpunkt lokaler Gemeinschaften und der weniger privilegierten Bevölkerungsanteile her betrachtet. Vom Standpunkt der nationalen Eliten hingegen, ob nun vom Volk gewählt oder aufgrund feudaler Tradition an die Macht gelangt, wird der Gerechtigkeit sehr wohl genüge getan. In diesem unterschiedlichen Gerechtigkeitsempfinden zeigt sich ein Widerspruch, mit dessen bloßen Erscheinungsformen sich der Sammelband sehr viel intensiver auseinandersetzt als mit dem grundsätzlichen Problem, dass sich der Riss zwischen den einander gegenüberstehenden gesellschaftlichen Interessen nicht auf den Firnis beschränkt.

8. Dezember 2024


Anmerkung:
[1] Übersetzung der Zitate aus dem Englischen von der Redaktion Schattenblick.


Hamza Hamouchene, Katie Sandwell (Hrsg.)
Dismantling Green Colonialism
Energy and Climate Justice in the Arab Region
Pluto Press, London, Oktober 2023
320 Seiten
ISBN 978 0 7453 4921 3 paperback
ISBN 978 0 7453 4919 0 pdf
ISBN 978 0 7453 4920 6 epub
 
veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 182 vom 21. Dezember 2024


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