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REZENSION/719: Winfried Wolf - Mit dem Elektroauto in die Sackgasse (SB)


Winfried Wolf


Mit dem Elektroauto in die Sackgasse

Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt



Wer bisher geglaubt hat, daß Elektroautos "immerhin" einen Fortschritt gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren darstellen, da diese angeblich viel stärker die Luft verschmutzen und zum Klimawandel beitragen, wird von Winfried Wolf umfassend über diesen Irrtum aufgeklärt. Elektroautos sind schwerer, produzieren mehr Feinstaub zumindest aufgrund des Gummiabriebs der Reifen, und beim gegenwärtig vorherrschenden Energiemix stammt der Strom zu ihrem Betrieb hauptsächlich aus fossilen Energieträgern oder Atomkraftwerken. Die vermeintliche Sauberkeit der Elektroautos ergibt sich allein deshalb, weil die bei ihrer Herstellung anfallenden CO₂-Emissionen nicht in die Klimabilanz einberechnet oder auch externalisiert, das heißt in andere Weltregionen verschoben werden. Erst nach rund acht Jahren amortisiert sich energetisch ein Elektroauto im Verhältnis zu einem Verbrenner, schreibt Wolf (S. 95). Zu ergänzen wäre, daß wahrscheinlich noch vor dieser Zeit, das wären rund 120.000 Kilometer, ein Teil der Elektroautos durch neue Modelle ersetzt werden wird, so daß ihr energetischer Vorteil gar nicht erst zum Tragen käme.

Das Buch "Mit dem Elektroauto in die Sackgasse" liefert einen Strauß von Gründen, warum elektrisch angetriebener Individualverkehr ein Rückschritt gegenüber anderen Mobilitätskonzepten wie dem Schienenverkehr (Eisenbahn und Tram) ist und sowieso das gesamte Verkehrs- und Gütertransportaufkommen reduziert werden müßte, um die Klimaschutzziele des 2015 beschlossenen Übereinkommens von Paris einzuhalten.

Dabei argumentiert Wolf an manchen Stellen systemimmanent. Wenn er beispielsweise berichtet, daß sich die sowieso schon bescheidene Reichweite von Elektroautos und -bussen im Winter verringert, da mit der Energie der Batterien auch die Heizung gespeist werden muß, dann zeigt das zwar, wie unattraktiv Elektroautos sind, aber würde die Industrie diesen Mangel beheben, wäre das Argument hinfällig.

Systemkritisch hingegen wird der Autor, wenn er die Täuschung offenlegt, daß im Jahr 2025 der von der Bundesregierung angestrebte höhere Anteil von Elektroautos an der Fahrzeugflotte automatisch zu wirksamem Klimaschutz führen wird. Denn in absoluten Zahlen, so rechnet Wolf vor, würde bis dahin auch die Zahl der Autos mit Verbrennungsmotoren steigen, so daß in der Summe noch viel mehr Autos als heute die Luft verpesten, die Straßen verstopfen und Fläche verbrauchen. Prognosen zufolge wird sich der weltweite Kfz-Bestand von 2010 bis 2025 auf 2,1 Mrd. Fahrzeuge verdoppeln. (S. 177)

Elektroautos würden sowieso eher als Zweit- oder Drittwagen erworben, und das auch nur von einer zahlungsfähigen Klientel. Die soziale Ausgrenzung ist ebenso vorprogrammiert wie der Verkehrskollaps. Der Autobranche hingegen ginge es vor allem darum, die gegenwärtige Krise der Mobilität (Dieselskandal, Feinstaub) zu bewältigen und weiterhin ihre Stellung als globale Schlüsselindustrie zu wahren.

Wie sehr der frühere Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke mit seinem im März dieses Jahres erschienenen Buch ins Schwarze trifft, zeigt sich dieser Tage in der Medienberichterstattung anläßlich des Autogipfels bei der Bundeskanzlerin und der Vorstellung des "Masterplans Ladeinfrastruktur" des Bundesverkehrsministeriums. Darin heißt es, zitiert nach n-tv.de vom 2. November 2019: "Damit Deutschland auch weiterhin führende Automobilnation bleibt, müssen Politik und Industrie Hand in Hand an der schnellen Verbreitung von Elektrofahrzeugen arbeiten." Bei drohenden Einbußen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands drückt also der Schuh und nicht etwa beim mangelhaften Klimaschutz.

Eine Million Ladestationen bis 2030 will die Bundesregierung einrichten. Damit entschärft sie die berechtigte, jedoch systemimmanente Kritik, derzufolge ein Widerspruch zwischen dem Versprechen der Elektroautomobilität und ihrer realen Umsetzung besteht.

Die deutsche Autoindustrie dominiert die Branche vor allem im Hochpreissegment. Teurere Autos haben in der Regel höhere CO₂-Emissionen. Dementsprechend hat sich die Bundesregierung auf der Ebene der Europäischen Union erfolgreich dafür stark gemacht, daß die CO₂-Grenzwerte an der gesamten Fahrzeugflotte eines Herstellers bemessen werden. Das hat zur Konsequenz, daß mit einem einzigen Elektroauto (das als CO₂-neutral gilt, obwohl es einen gewaltigen ökologischen Rucksack trägt, noch bevor es auch nur einen Meter gefahren ist) bis zu sieben SUVs, jene besonders spritfressenden Allradfahrzeuge, kompensiert werden können. Die Emissionen der Gesamtflotte (bestehend aus Elektroautos und Verbrennern wie den SUVs) bleiben somit unterhalb der EU-Abgasgrenzwerte - ein Rechenkunststück zur Sicherung von Wachstum und Profit, von dem sich das Klima gewiß nicht beeindrucken läßt.

Zu den Stärken des Buchs zählt sicherlich, daß dessen Autor, der auch Chefredakteur von "Lunapark21 - Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie" ist, den Blick nicht auf Elektroautos einengt, sondern die Autobranche insgesamt ins Visier nimmt und dabei einen weiten Bogen zur Verkehrspolitik spannt. Denn Wirtschaft und Politik gehen Hand in Hand. So behandelt das Buch Themen wie Dieselskandal (jährlich 12.860 vorzeitige Todesfälle und mehr als 800.000 Neuerkrankungen aufgrund der verschwiegenen Stickoxidemissionen aus Dieselautos!), Förderung des Kohle- und Atomstroms für die Elektromobilität (insbesondere in China und Frankreich) und der ökologisch problematische Rohstoffabbau für die Lithiumbatterien in Bolivien, Chile und Argentinien. Auch dem Entrepeneur und CEO beim Elektroautohersteller Tesla, Elon Musk, widmet der Autor einen eigenen Abschnitt.

Der passionierte Bahnfahrer Winfried Wolf läßt es sich nicht nehmen, Alternativen zum motorisierten Individualverkehr aufzuzeigen: Ausbau des Schienennetzes und kürzere Taktraten bei den Zugverbindungen, Wiedereinführung des Nachtzugverkehrs als Alternative zu Inlandsflügen, Verbilligung der Bahnpreise und kostenloser öffentlicher Nahverkehr zählen zu den zwölf Kernforderungen, mit denen der Autor die notwendige Verkehrswende umreißt. Das Buch bietet einen Fundus an Informationen und Denkanstößen rund um den gegenwärtigen Elektromobilitätshype und ist sowohl für neueinsteigende als auch bereits mit Verkehrspolitik befaßte Personen ein Lesegewinn.

Winfried Wolf
Mit dem Elektroauto in die Sackgasse
Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt
Promedia Verlag, Wien 2019
216 Seiten, brosch.
17,90 Euro
ISBN: 978-3-85371-450-8


4. November 2019


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