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REZENSION/597: Jorgen Randers - 2052 - Der neue Bericht an den Club of Rome (SB)


2052 - Der neue Bericht an den Club of Rome


Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre



Als der Club of Rome vor 40 Jahren eine Studie mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" vorstellte, sprach er damit viele Millionen Menschen weltweit an. Die Zeit war reif für eine globale Betrachtung des irdischen Lebensraums, waren doch ab 1969 erstmals Menschen zum Mond geflogen und hatten geschildert, wie es sich anfühlt, den Planeten zu verlassen und ihn in seiner Gesamtheit zu sehen. 1972, dem Erscheinungsjahr von "Die Grenzen des Wachstums", fand in Stockholm die erste UN-Konferenz zur menschlichen Umwelt statt. Außerdem hatten in jener Zeit erstmals Wissenschaftler vor einer Schädigung der Ozonschicht im Falles eines nuklearen Schlagabtauschs zwischen West und Ost gewarnt.

"Die Grenzen des Wachstums" wurde in mehrere Dutzend Sprachen übersetzt und hat eine Weltauflage von über 30 Millionen Exemplaren. Das Buch gilt als einer der entscheidenden Impulse der Umweltbewegung und hat wie kein anderes zur damaligen Zeit das Problem der Veränderung des gesamten Globus thematisiert. Zum einen warnten die Studienleiter Dennis und Donella Meadows vom Jay W. Forresters Institut für Systemdynamik in den USA, daß bei einem gleichbleibenden Wachstum der Weltbevölkerung verschiedene Rohstoffe knapp werden könnten; zum anderen sagten sie eine Überbeanspruchung der Ökosysteme durch Übernutzung und den Eintrag von Umweltschadstoffen voraus. Die physischen Grenzen des Planeten könnten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts überschritten werden.

Nun hat mit Jorgen Randers ein damaliger Mitarbeiter der Studie einen neuen Bericht an den Club of Rome verfaßt. Darin wirft der Professor für Klimastrategie an der BI Norwegian Business School einen Ausblick auf die kommenden 40 Jahre. Im ersten von drei Oberkapiteln steckt er den "Hintergrund" seiner Untersuchung ab und erörtert fünf große Fragen mit Blick auf das Jahr 2052: Enden der Kapitalismus, das Wirtschaftswachstum, die "langsame" Demokratie, die Eintracht zwischen den Generationen und die Stabilität des Klimas? Nein, der Kapitalismus wird laut Randers nicht enden, aber er wird ergänzt durch mehr Staatlichkeit. Das Wirtschaftswachstum wird sich verlangsamen, die Begrenzungen politischer Entscheidungsfindungen durch die Demokratie werden abgebaut, Generationengerechtigkeit bleibt eine Wunschvorstellung, und der Klimawandel wird bis 2052 noch einigermaßen im Rahmen bleiben, aber danach vermutlich außer Rand und Band geraten oder, wissenschaftlich ausgedrückt, durch sich selbst verstärkende Prozesse forciert.

"Meine globale Prognose" überschrieb Randers den zweiten Teil seiner Zukunftsprognose. Weiterhin begleitet von zahlreichen, über mehrere Seiten erstreckenden "Ausblicken", die aus fremder Feder stammen - nicht selten von Unternehmensberatern - entwirft und begründet er die mögliche Entwicklung der Weltbevölkerung, des Konsums, des Energieverbrauchs, der CO2-Emissionen, der Ernährung. Darüber hinaus hat er sich über gesellschaftliche Entwicklungen beispielsweise hinsichtlich der Gesundheitsversorgung, Urbanisierung, Staatlichkeit, des "Zeitgeistes" (S. 228) und vielem mehr, mit dem im Jahr 2052 zu rechnen ist, Gedanken gemacht. Dabei sieht der Autor große Zukunftschancen für die "kollektive Kreativität", die sich aus einem "Netzwerk aus engagierten Individuen" (S. 258) ergibt und für die er die Online-Enzyklopädie Wikipedia als Vorbild sieht.

In Teil 3 des Buchs widmet sich der Autor der "Analyse". Neben einem allgemeinen Teil zur Einführung in seine Fragestellung werden die möglichen Zukünfte von fünf Regionen - USA, China, OECD ohne USA, BRISE (Brasilien, Rußland, Indien, Südafrika und zehn weitere große Schwellenländer) und die "restliche Welt" - geschildert. Zudem gleicht Randers seine Ergebnisse mit denen anderer Computermodelle ab, wobei er ein geringeres Bevölkerungswachstum bis zur Mitte dieses Jahrhunderts prognostiziert als die Vereinten Nationen, und schreibt abschließend, welche geringen Möglichkeiten die Menschheit noch hat, um zu verhindern, was seiner Einschätzung nach wahrscheinlich eintreten wird: die "Zerstörung der Zukunft". Randers resümiert: Es ist "überraschend schwierig, optimistisch zu bleiben, wenn man im tiefsten Herzen weiß, dass die Welt auf eine Katastrophe zusteuert" (S. 404).

Wie schon "Die Grenzen des Wachstums" besitzt auch das vorliegende Buch im Prinzip das Potential, die Leserinnen und Leser zu erschüttern, und doch wird es dazu nicht kommen. Dies vor allem aus gesellschaftlichen Gründen, denn inzwischen leben wir in einer Zeit, in der die Menschen die Finanz- und Wirtschaftskrise fürchten, nicht aber die mögliche Veränderung des Klimas. Außerdem bilden globale Betrachtungen der Naturräume und Ökosysteme mit den dazugehörigen Rezepten und vermeintlichen Lösungen quasi ein eigenes Genre unter den Sachbüchern. Den Interessierten steht eine große Auswahl an Warnungen vor der unheilvollen Zukunft und wie sie bewältigt werden kann, zur Verfügung.

Wie Randers' Bericht an den Club of Rome oft mit Engagement geschrieben und die darin erwähnten wissenschaftlichen Aussagen durch Statistiken abgestützt, unterscheiden sich jene Publikationen bei der politischen Bewertung ihrer Ergebnisse häufig nur in Nuancen. Das gemeinsame Merkmal jener Ausblicke und Studien besteht darin, daß sie die Katastrophe auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Das könnte daran liegen, daß Bücher wie "2052" auf die gleiche Klientel in den relativ gut versorgten Metropolregionen des westlichen Kulturkreises abheben und auch aus diesem Lebensumfeld heraus geschrieben wurden. Nur sie haben noch genügend Platz für Sorgen, wie die Welt in 40 Jahren aussehen könnte, wohingegen ein großer Teil der Menschheit nicht einmal eine zuverlässige Prognose für den nächsten Tag und die Frage, ob er dann etwas zu essen haben wird, abgeben kann. Die Befürchtungen Randers' können somit als Privileg gegenüber der unmittelbar existenzbedrohenden Realität vieler Menschen auf dem Planeten Erde angesehen werden.

Der Autor, der unter anderem für die British Telekom und den US-Chemiekonzern Dow Chemical tätig ist, trifft mitunter unternehmensfreundliche Feststellungen, die kritisch zu hinterfragen sind. So singt er das altbekannte Loblied auf den Kapitalismus, indem er schreibt: "Als konkretes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit des kapitalistischen Systems darf man hier die Tatsache nennen, dass die Vereinigten Staaten es innerhalb der letzten rund zehn Jahre schafften, die Produktion von Biokraftstoff (meist auf Maisbasis) bis zur Deckung eines Zehntels des gesamten Transport-Kraftstoffs zu erhöhen und die Produktion von Schiefergas (überwiegend im eigenen Land gefördert) auf ein Viertel des gesamten Gasverbrauchs." (S. 41)

Randers führt dieses Beispiel an, um zu veranschaulichen, wie das kapitalistische System der Knappheit an Energie erfolgreich begegnet ist. Dabei bedenkt er anscheinend nicht, daß das kapitalistische System auf Knappheit beruht und diese sogar produziert. Nur wenn etwas knapp ist oder verknappt wird, kann daraus eine Ware gemacht werden. Wäre es beispielsweise technisch machbar, die Atemluft zu besitzen, das heißt, ihre freie Verfügbarkeit einzuschränken, würde das von irgendwelchen findigen Geschäftemachern auch durchgeführt, nur um anschließend die Atemluft wieder gewinnbringend an den Mann oder die Frau zu bringen. Bei Wasser, Boden, Pflanzen, Tieren, Landfläche und Millionen Dingen, für die das Bedürfnis sogar eigens geweckt wird, um es im zweiten Schritt für eine Gegenleistung zu stillen, wird genau dies praktiziert. Auch die Problematik, daß die Arbeitskraft zur Ware gemacht wird und die Anbieter dieser Ware im globalen Produktionsprozeß gegeneinander ausgespielt werden, wird von dem Autor nahezu vollständig ausgeblendet.

Randers ist nur insofern zuzustimmen, als daß das kapitalistische System immer dann erfinderisch ist, wenn es darum geht, sich unmittelbar oder perspektivisch Vorteile zu verschaffen. Wohingegen das System zum Beispiel vollkommen an der Aufgabe scheitert, den chronischen Hunger von fast einer Milliarde Menschen zu beenden. Nicht nur das, Analysten unter anderem der Weltbank schreiben sogar der Produktion von Biokraftstoff aus Mais in den USA eine Mitverantwortung dafür zu, daß die Zahl der Hungernden nach der globalen Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln in den Jahren 2007, 2008 emporgeschnellt ist. Somit erweist sich jene von dem Autor positiv besetzte "Anpassungsfähigkeit" als bloße Problemverschiebung zu Lasten anderer.

Auch der im vergangenen Jahrzehnt innerhalb der USA massiv ausgebauten Förderung unkonventionellen Erdgases wird weltweit zunehmend mit Skepsis begegnet. Denn bei der hauptsächlichen Fördermethode werden große Mengen Wasser verbraucht, was im Widerspruch zu der auch von Randers favorisierten Idee der Nachhaltigkeit steht, und gemeinsam mit dem Wasser wird ein Cocktail von teils unbekannten Chemikalien in den Untergrund gepreßt, um die gashaltige Gesteinsschicht aufzubrechen - Fracking genannt. Das Ausmaß dieser unkontrollierten chemischen Vergiftung läßt sich noch gar nicht absehen.

Hier demonstriert das kapitalistische System folglich klare Grenzen und mit ihm, so muß man nach der Lektüre des Buchs annehmen, auch die Bereitschaft des Autors, den Voraussetzungen des kapitalistischen Wirtschaftens genauer auf den Zahn zu fühlen. Da kann schon mal der Eindruck aufkommen, daß es womöglich leichter fällt, eine Prognose darüber zu erstellen, wie die Welt in vierzig Jahren aussehen könnte, als eine Analyse darüber, wie sie heute ist und welche Interessen daran mitwirken, daß Naturräume zerstört werden, Menschen Nahrungsmangel leiden und der Verkauf der eigenen Arbeitskraft unter mitunter sklavereiähnlichen, in der Regel fremdbestimmten Produktionsverhältnissen als alternativlose Option der Überlebenssicherung erscheint.

2. November 2012


Jorgen Randers
2052 - Der neue Bericht an den Club of Rome
Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre
Aus dem Englischen von Annette Bus, Ursula Held, Anna Leipprand, Eva
Leipprand, Friedrich Pflüger, Sigrid Schmid, Heinz Tophinke
Oekom Verlag, München 2012
432 Seiten, 24,95 Euro
ISBN 978-3-86581-398-5