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REZENSION/496: Tim Shorrock - Spies for Hire (US-Spionage) (SB)


Tim Shorrock


Spies for Hire

The Secret World of Intelligence Outsourcing



Die Ära des sogenannten "globalen Antiterrorkrieges", die mit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in New York und Arlington begann und sich heute trotz des Austausches von Barack Obama gegen George W. Bush im Weißen Haus im Jahre 2009 fortsetzt, zeichnet sich durch eine scheinbar niemals endende Serie von Skandalen aus, in die vor allem private Dienstleistungsunternehmen aus dem militärischen und geheimdienstlichen Sektoren der USA verwickelt sind. Für Schlagzeilen der negativen Art haben unter anderem das "Extraordinary Renditions"-Programm der CIA, bei dem die verschleppten, mutmaßlichen "Terroristen" mit Firmenjets privater Charterunternehmen zwecks Folter in Staaten wie Ägypten, Jordanien und Marokko transportiert werden, die aktive Teilnahme von Mitarbeitern der Firmen CACI und Titan an der Mißhandlung von Insassen des US-Militärgefängnisses Abu Ghraib im Irak 2004, die Ermordung von 17 Zivilisten an einer Straßenkreuzung 2007 in Bagdad, als sich schwerbewaffnete Söldner der Firma Blackwater den Weg durch einen Verkehrsstau einfach freischossen, und die Zusammenarbeit großer Telekomunternehmen wie AT&T beim illegalen, von Bush 2001 ins Leben gerufenen, Ende 2005 von der New York Times enthüllten Programm zur Überwachung des kompletten Telefon-, Fax- und E-Mail-Verkehrs in den USA gesorgt. Über die lange Zeit kaum wahrgenommene Privatisierung und Auslagerung weiter Teile der geheimdienstlichen Kompetenzen des amerikanischen Staates hat Tim Shorrock das sehr empfehlsenwerte Buch "Spies for Hire - The Secret World of Intelligence Outsourcing" geschrieben, das bereits bei seiner Erscheinung im Sommer 2008 in den USA von Sachkundigen als unerläßliches Standardwerk gefeiert wurde.

Shorrock kam 1951 als Sohn christlicher Missionarseltern in Japan zur Welt, wo er auch aufwuchs. In Anschluß an sein Studium internationaler Politik an der Universität von Kalifornien in Berkeley veröffentlichte er das Buch "The Political Economy of the Pacific Rim: An Analysis of the Relationship between the Pacific Northwest and East Asia". Danach arbeitete er als Reporter unter anderem für das Washingtoner Büro des Journal of Commerce. Ein ausführlicher Bericht, den Shorrock 1996 für jenes Wirtschaftsmagazin über die bis dahin wenig bekannte Verwicklung der USA in die brutale Unterdrückung von Protesten 1980 in der südkoreanischen Stadt Kwanju und die Ermordung von rund 200 Demonstranten verfaßte, machte die Ostasien-, Militär- und Geheimdienstkoryphäe Chalmers Johnson auf ihn aufmerksam. Von Johnson protegiert, befaßte sich Shorrock immer mehr mit dem Innenleben des militärisch-industriellen Komplexes. Es folgten in den letzten Jahren zahlreiche Artikeln zu diesem Thema, die bei namhaften linksliberalen Zeitschriften wie Harper's, Mother Jones, The Nation und Salon erschienen sind und von denen nicht wenige Aufsehen erregt haben. In The Nation prangerte Shorrock 2002 unter der Überschrift "Crony Capitalism Goes Global" die Verbindung George Bushs sen. zum Rüstungsunternehmen Carlyle und 2003 unter der Überschrift "Selling (Off) Iraq - How to 'Privatize' a Country and Make Millions" die wirtschaftliche Ausplünderung des Iraks durch angloamerikanische Kriegsprofiteure an.

"Spies for Hire" geht ein Artikel voraus, der 2005 bei Mother Jones erschienen ist und der dermaßen hohe Wellen schlug, daß Shorrock sich entschied, ein Buch zum Thema Privatisierung bei den US-Geheimdiensten zu schreiben. Bei seinen umfassenden Recherchen, darunter Interviews mit Ex-Geheimdienstlern wie Ray McGovern und Melvin Goodman oder mit Industriekapitänen wie John Gannon, Vizepräsident von BAE Systems, des größten europäischen Rüstungsunternehmens, das in den USA sowohl im militärischen als auch im geheimdienstlichen Sektor tätig ist, Archivsichtungen, Bücherauswertungen und Besuche entsprechender Industriemessen, hat Shorrock Erstaunliches herausgefunden, nämlich die Tatsache, daß inzwischen 70 Prozent des Etats von CIA, FBI, DIA, NSA und den anderen zwölf US-Geheimdiensten - allein 2006 betrug dieser 66 Milliarden Dollar, was zehn Prozent des Verteidigungshaushalts entspricht - an private Unternehmen geht.

Diese richten nicht nur riesige Datenbanken für die NSA ein, sondern schicken auch eigene Satelliten ins All und stellen dem Militär und den Geheimdiensten Kommunikationsnetzwerke zur Verfügung. Mitarbeiter von Blackwater rüsten auf einem schwerbewachten Stützpunkt in Shamsi im pakistanischen Belutschistan CIA-Drohnen mit Hellfire-Raketen aus, während Personal von DynCorp die neue US-Botschaft in Islamabad bewachen soll. Laut Shorrock werden inzwischen wichtige strategische Regierungsdokumente einschließlich des berühmten Daily Presidential Briefing (DPB) des Präsidenten von geheimdienstlichen Privatunternehmen wie Booz Allen Hamilton geschrieben. Wie weit die Aushöhlung des Staates zugunsten des Großkapitals in den USA fortgeschritten ist, zeigt eine relativ aktuelle Meldung der Zeitschrift Wired vom 8. Oktober. Demnach haben im Rahmen eines zivilen Prozesses gegen den bereits erwähnten, von Bush angeordneten großen Lauschangriff Anwälte der Kläger die Herausgabe von Dokumenten erstritten, aus denen hervorgeht, daß das Justizministerium letztes Jahr bei der Durchsetzung eines entsprechenden Immunitätsgesetzes für die am damals illegalen Programm beteiligten Unternehmen wie AT&T gegenüber dem Kongreß vertraulich argumentiert hatte, daß diese lediglich "Amtshilfe" geleistet hätten und deswegen vor jedwedem Schaden zu bewahren wären. Diese Argumentation erinnert fatal an das Urteil, mit dem am 11. September ein Bundesberufungsgericht in den USA die Klagen mehrerer irakischer Folteropfer gegen CACI und Titan abwies, weil deren Mitarbeiter im Staatsauftrag der USA gehandelt hätten.

Shorrock kritisiert, daß die Übernahme großer Teile traditioneller sicherheitspolitischer Kompetenzen des Staates durch Unternehmen wie Northrop Grumman, General Dynamics, Booz Allen Hamilton, Carlyle, L-3, ManTech und wie sie alle heißen eine Kontrolle durch die gewählten Volksvertreter in Repräsentantenhaus und Senat erschwert bzw. unmöglich macht. Doch gerade dieser Aspekt dürfte neben der Profitgier einer der Hauptgründe für die schier unglaubliche Privatisierungswelle sein, welche die US-Geheimdienste seit den Tagen Bill Clintons erleben. An dieser Entwicklung verdienen sich zahlreiche ausgediente Politiker und Militärs wie die beiden Ex-CIA-Chefs James Woolsey und George Tenet eine goldene Nase, denn nach dem Ausscheiden aus dem Amt lassen sich diese von besagten Unternehmen in den Vorstand hieven oder als "Berater" anheuern. Ein besonders eindrückliches Beispiel des Phänomens liefert Admiral a. D. Mike McConnell, der unter Clinton Chef der NSA war. Danach arbeitete er einige Jahre als Vorstandsvorsitzender von Booz Allen Hamilton, bis Bush jun. ihn 2005 zum Director of National Intelligence (DNI), das heißt zum Geheimdienstskoordinator, ernannte. Wer meint, eine solche Vermischung staatlicher Interessen mit denen einflußreicher privater Sicherheitsunternehmen spiele sich nur auf der anderen Seite des Atlantiks ab, der täuscht sich gewaltig. Noch während der großen Koalition von CDU und SPD in Berlin ließ sich das Bundestransportministerium in Sachen geplanter Verscherbelung der Deutschen Bahn von Booz Allen Hamiltons Fachkräften beraten.

13. Oktober 2009


Tim Shorrock
Spies for Hire
The Secret World of Intelligence Outsourcing
Simon & Schuster, New York, 2008
439 Seiten
ISBN-13: 978-0-7432-8224-6 / ISBN-10: 0-7432-8224-6