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REZENSION/481: M. Sohn - Hat das System einen Fehler oder ist es der Fehler? (SB)


Manfred Sohn


Hat das System einen Fehler oder ist es der Fehler?

Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von links



"Hat das System einen Fehler oder ist es der Fehler?" Mit dieser provozierenden Frage betritt Manfred Sohn das Schlachtfeld des Krisendiskurses, wobei er dem Leser im Untertitel "Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von links" in Aussicht stellt. Das ist nun freilich in doppelter Hinsicht ein ambitioniertes Vorhaben, da die Systemkrise des Kapitalismus zu den anspruchsvollsten und umstrittensten Themenkomplexen der politischen Ökonomie gehört, was daraus abgeleitete Antworten im Sinne der hier in Aussicht gestellten politischen Handlungsanweisungen um so problematischer macht. Überdies kommt dieser Rundumschlag nicht in Gestalt eines umfangreichen Werkes daher, in dem sich der Autor den angemessenen Raum verschafft, seine Auseinandersetzung in der gebotenen Breite und Tiefe zu entfalten, sondern wirkt mit seinen hundert Seiten in Format und Aufmachung eher wie ein flotter Ratgeber, der mit betonter Leichtfüßigkeit in Argumentation und Sprache den Laien auf kürzestem Wege aufzuklären beansprucht.

Manfred Sohn, der von 1987 bis zur Wahl in den Niedersächsischen Landtag 2008 Angestellter der Versicherungsgruppe Hannover und dort Mitglied des örtlichen und des Gesamtpersonalrats war, hat als Mitglied des Landesvorstands der Linkspartei und Vorsitzender der Landtagsfraktion eine politische Mission. Er will aus einer Analyse der Krise geeignete Schritte zu deren Bewältigung ableiten und dem Leser nahelegen, daß die diesbezüglichen Positionen seiner Partei besser als die Strategien der Konkurrenz dazu geeignet sind. Dabei versteht er sich als Linker, der mit Marx argumentiert, um die Fallstricke der kapitalistischen Produktionsweise zu entlarven und die Überlegenheit des marxistischen Theoriegebäudes zur Anwendung zu bringen.

Bedarf an Aufklärung gibt es angesichts eines Wirrwarrs an Interpretationsversuchen und Reaktionsweisen in den Zeiten der Krise mehr als genug. Daher kann man den Versuch des Autors nicht von der Hand weisen, Licht ins Dunkel der widersprüchlichen Deutungsmuster und Verschleierungsversuche zu bringen, um daran aufzuzeigen, welcher Natur der gegenwärtig erlebte massive Einbruch der Weltwirtschaft und dessen verheerende ökonomische, politische und soziale Folgen sind. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wie tief man bei dieser Untersuchung greifen muß, um die Voraussetzung für tragfähige Schlußfolgerungen zu schaffen. Wie der Autor offen einräumt, mußte er dabei an zentraler Stelle das Handtuch werfen:

Dieses Kapitel ist für den Schreiber wie für die Leserin das schwerste Kapitel. Es leidet erstens unter dem vermessenen Anspruch, aus marxistischer Sicht in geraffter Form die wesentlichen Erkenntnisse der marxistischen Krisentheorie wiedergeben zu wollen. (...) Sie alle haben (...) davon gehört und darüber gesprochen, dass Marx keine Krisentheorie entwickelt hat und die Ansätze dazu sich in seinem gesamten Werk verstreut finden. (...) So zu tun, als könnten die auch von ihm niemals zusammengefaßten Ergebnisse des Studiums dieser kompliziertesten aller komplizierten ökonomischen Zusammenhänge im Vorübergehen in einem Kapitel eines 100-Seiten-Büchleins zusammengefaßt zu (sic!) so vermittelt werden, dass mensch sich nicht intensiv mit diesen drei Bänden befassen müsse, ist natürlich Quatsch. (S.47)

Dem Autor ist das Problematische an seiner Vorgehensweise also durchaus bewußt, und er räumt das Dilemma offen ein. Er versucht sich mit dem Manöver aus der Affäre zu ziehen, in der Auseinandersetzung mit den im Moment am meisten diskutierten Vorschlägen für eine Reaktion auf die aktuelle Krise jeweils auf die Stellen hinzuweisen, an denen sich Marx oder marxistische Wissenschaftler mit den vorgetragenen Kernargumenten auseinandersetzen. Dies auf nachvollziehbare Weise zu leisten, würde allerdings voraussetzen, sich trittsicher auf dem Minenfeld konkurrierender Krisentheorien zu bewegen, um dem Leser die dort vertretenen Positionen und die Kerninhalte des heftigen Streits zumindest ansatzweise zu vermitteln. Diesbezüglich muß der Autor jedoch ein weiteres Manko einräumen:

Drittens fehlt im folgenden die Entfaltung des Gesetzes vom tendentiellen Fall der Profitrate. Sie ist in gewisser Weise das Kernstück dessen, was man bei aller Vorsicht als marxistische Krisentheorie bezeichnen müßte. Dies auf wenigen Seiten zu entwickeln, übersteigt zumindest die intellektuellen und journalistischen Fähigkeiten des Autors dieser Seiten. (S. 48)

Letzteres teilt der Autor zweifellos mit der überwältigenden Mehrheit der Bundesbürger, und dies unverhohlen einzuräumen, ist gewiß keine Schande, sondern im Gegenteil eine erfreuliche Offenlegung der Voraussetzungen, unter denen die Bewältigung der Krise an dieser Stelle diskutiert wird. Wenngleich Marx keine Bibel geschrieben hat, die theologischer Auslegung bedarf, und der tendentielle Fall der Profitrate nicht das Allerheiligste ist, dem man sich allenfalls ehrfürchtig auf Knien rutschend nähern darf, kann man doch nicht umhin, sich intensiv mit dieser Materie zu befassen, um die diesbezüglichen Auffassungen in Inhalt und Bedeutung bewerten zu können. Erarbeitet man sich keine eigene Position, bleibt man zwangsläufig dem Stadium des Glaubens an die Weisheit und Treffsicherheit vermeintlicher Experten verhaftet, ohne sich Zugang zu deren Standpunkten und Kontroversen verschaffen zu können.

Diese Anmerkung ist kein Plädoyer gegen Fragen, wohl aber gegen Antworten, die auf unüberprüften Voraussetzungen beruhen. Es hätte dem vorliegenden Büchlein besser zu Gesicht gestanden, den Kreis der erörterten Erklärungsansätze eng zu halten und zur Weiterentwicklung der Fragestellung anzuregen, wozu sich im Wust der Krisenpropaganda mehr als genug Material gefunden hätte. Zweifellos werden Leser, die ohnehin die Auffassungen des Autors mehr oder minder teilen, daß das System selbst der Fehler sei, viele Gedanken und Handlungsaufträge wiederfinden, denen sie zustimmen können. Verläßt man aber das trügerische Fahrwasser der schnellen Übereinkunft und ihrer Beliebigkeit, schärft sich die Kritikfähigkeit am Wetzstein des fortgesetzten Zweifels an der Verständlichkeit und Gültigkeit der vorgetragenen Schattenrisse und aus ihnen abgeleiteten Rettungsoptionen.

Im Mittelpunkt der Ausführungen steht die wachsende Schnittmenge zwischen jenen, die sich auf Marx berufen, und der Fraktion, die sich in der Tradition von Keynes sieht, wofür der Autor einen historisch-analytischen und einen aktuell-praktischen Grund ausgemacht hat. Wie Karl Marx im dritten Band des Kapitals schreibt, bleibe der letzte Grund aller wirklichen Krisen immer die Armut und Konsumptionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumptionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde. Der Autor widerspricht insofern jener Schule, die Krisen in ihrem Kern als Unterkonsumption erklären, indem er Marx im selben Band an anderer Stelle mit dessen Ausführungen zum Kreditwesen zitiert. Demnach kann der Schein eines sehr soliden Geschäfts und flotter Rückflüsse noch ruhig weiterexistieren, obwohl letztere nur noch auf Kosten geprellter Geldverleiher und Produzenten herbeigeführt werden. Daher erscheine das Geschäft gerade vor einem großen Krach fast übertrieben gesund. Davon abgesehen hätten Marx und Engels einer allzu intensiven Fixierung auf die mangelnde Konsumptionsfähigkeit der Massen bereits im zweiten Band mit der Warnung vor einer Überinterpretation vorgebaut: Es sei eine reine Tautologie zu sagen, daß die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumption hervorgehen, da das kapitalistische System keine anderen Konsumarten kenne. Wer dem Übelstand dadurch abhelfen wolle, daß er der Arbeiterschaft lediglich einen größeren Teil ihres Produkts in Gestalt höheren Lohnes zukommen lasse, übersehe, daß genau dies im Vorfeld der Krise geschehe. Daraus folgert Marx, daß die kapitalistische Produktion vom guten und bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise. (S. 52)

Keynes hingegen vertrat die Auffassung, daß der Staat die Wirtschaft bändigen und die Krise abwenden könne, indem er die Unterkonsumption verhindere. Wie der Autor einwendet, seien zwar Maßnahmen zur direkten Kopplung der Einkünfte der Erwerbstätigen am Produktivitätsfortschritt vorstellbar, doch fiele die Erfüllung dieses Traums mit dem Tag zusammen, an dem der Kapitalismus aufhört zu bestehen. Das Eigentum an Produktionsmitteln höre auf Eigentum zu sein, wenn ihm seine wesentliche Eigenschaft, nämlich die Verfügungsgewalt, nicht mehr zu Gebote stehe. Daher sei es eine Illusion zu glauben, durch eine Stärkung der Nachfrage ließe sich die dem Kapitalismus innewohnende Krisenhaftigkeit außer Kraft setzen.

Das Wiederaufleben keynesianischer Krisenbekämpfungsmodelle ist im übrigen keineswegs auf das linke Spektrum beschränkt. So erinnert der Autor an die Idee des US-amerikanischen Notenbankpräsidenten Bernanke, per Hubschrauber Dollarscheine regnen zu lassen, oder an die Diskussion in Deutschland, 500-Euro-Konsumgutscheine auszugeben. Keynes selbst hatte ja unter anderem vorgeschlagen, Arbeiter gegen Bezahlung Gräben ausheben und sie anschließend wieder zuschütten zu lassen, um damit eine von der Krise bedrohte Wirtschaft wieder flott zu machen. (S. 59)

Grundsätzlich handle es sich um keine Krise des Finanzsystems, die durch Exzesse hervorgerufen wurde und durch Verflüssigung des ins Stocken geratenen Geldkreislaufs wieder behoben werden kann. Die staatlicherseits eingeleiteten Maßnahmen zur Rettung der Banken zeitigten daher keine Wirkung, da, um mit Marx zu sprechen, Geld- und Kreditphänomene nicht Gründe für eine allgemeine Krise sein können. Gehe man von einer eigenen Finanzsphäre aus, verliere man den Bezug zum realen Kapitalverwertungsprozeß aus dem Blick und verfalle dem Irrglauben der aktuellen Finanzpolitik. Da es keinen Profit ohne Mehrwertproduktion gebe, sich dieser aber erst beim Verkauf auf dem Markt realisiere, platze der Kernwiderspruch in der Zirkulationssphäre auf, ohne dort entstanden zu sein.

Zwar warnt Manfred Sohn seine eigene Partei wie auch die gesamte Linke davor, ins Lager der Keynesianer überzulaufen, da man den Kapitalismus nicht mit seinen eigenen Gesetzen versöhnen könne. Trotz dieser Schlußfolgerung ist der Autor der Auffassung, daß dies nicht unbedingt gegen Keynes, sondern nur gegen die Beschränkung der jetzt notwendigen Maßnahmen auf den keynesianischen Horizont spreche. Diese zunehmende Unschärfe der Argumentation wächst sich mit steigender Seitenzahl zu klammheimlichen Entsorgung der marxistischen Position aus, die letztendlich nur noch als bloßer Anspruch vorgehalten wird. Zu lösen sei die Krise zwar nicht, aber zu lindern, heißt es auf Seite 59. Keine zehn Seiten später macht der Autor geltend, daß die Linkspartei bereits Mitte Oktober 2008 und damit vor allen anderen Parteien ein klares Krisenabwehrpaket mit dem Schwerpunkt auf Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt und zudem dem Bankenrettungsplan im Bundestag nicht zugestimmt habe. Erst mit mehrmonatiger Verspätung habe die Bundesregierung begriffen, daß ein öffentlich finanziertes Konjunkturprogramm unverzichtbar sei.

Vorreiter im Reigen der Parteien zu sein, mag zwar den Wunsch nach Mitgestaltung bedienen, wirft aber die Grundsatzfrage auf, ob die eigenen politischen Positionen nicht am Ende Widersprüche zum herrschenden System suggerieren, obgleich sie sich längst im Schoße des Establishments eingefunden haben. Wenn der zum Erhalt kapitalistischer Wirtschaftweise erfundene Reparaturbetrieb à la Keynes am Ende doch ausreichen soll, um die aktuelle Krise zu überstehen, doch künftige Krisen nicht verhindern kann, wie der Autor meint, setzt dieser letzte Winkelzug nur das eingangs monierte Manko fort, eine fundierte Theorie der Krise schuldig geblieben zu sein. Schien die Stoßrichtung dieses Buches bereits beim Lesen des Titels auf der Hand zu liegen, so stellt sich bei einer nüchternen Bilanz seines Inhalts der umgekehrte Eindruck ein, daß doch nur von einem Fehler des Systems die Rede war.

8. Mai 2009


Manfred Sohn
Hat das System einen Fehler oder ist es der Fehler?
Antworten auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von links
Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2009
100 S., 9,95 Euro
ISBN 978-3-89144-411-5