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REZENSION/449: Klaus Pedersen - Naturschutz und Profit (SB)


Klaus Pedersen


Naturschutz und Profit

Menschen zwischen Vertreibung und Naturzerstörung



Zu allen Zeiten und an allen Orten hat es Menschen gegeben, die gewaltsam aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben wurden. Seien es die indigenen Völker Nordamerikas durch die europäischen Einwanderer, seien es die Bewohner des Dorfs Horno durch den Braunkohletagebau oder seien es die Anwohner des indischen Narmadaflusses wegen eines Staudammprojekts. Wo die Ökonomie regiert, werden Menschen auf der Basis der vorherrschenden Ordnung, in der Boden, Wasser, Wald und Wild dem Besitzstand unterworfen und damit der allgemeinen Verfügbarkeit entzogen sind, vertrieben. Der promovierte Landwirt und Übersetzer Klaus Pedersen berichtet in seinem Buch "Naturschutz und Profit" von einer wenig bekannten Form der Vertreibung, der Vertreibung aufgrund des gesellschaftlich eigentlich durchweg positiv angesehenen Naturschutzes.

Aus Uganda, Tansania und Mexiko stammen seine wichtigsten Beispiele, es hätten auch Brasilien, Kenia und Chile oder nochmals andere Länder sein können. Die Vertreibungen aus Gründen des Naturschutzes gleichen sich in vielerlei Hinsicht, in der Regel setzen sie die Existenz einer bereits bestehenden, übergreifenden Gesellschaft voraus, deren Gewaltapparat die vertriebenen Menschen nur wenig entgegenzusetzen haben. So mußten Anfang der neunziger Jahre in Uganda die Batwa-Pygmäen bei der Gründung der Nationalparks Bwindi und Mghinga weichen, weil mit Geldern der Global Environment Facility (GEF) der Weltbank grüne Inseln geschaffen werden sollten (S. 35).

Da die Weltbank, die sich gern ethisch verantwortungsbewußt gibt, die "Operational Directive 4.20" zur "Konsultation mit und Kompensation von indigenen Völkern" aufgestellt hat, wurde in ihrem Auftrag fünf Jahre nach der Vertreibung eine umfassende Studie über das Leben der Batwa erstellt. Das Resultat ließ an Eindeutigkeit nichts missen: Den Pygmäen erging es seit der Unterwerfung ihres angestammten Lebensraums unter den Naturschutz schlecht. Sie haben in vielerlei Hinsicht Verluste erlitten und keinen adäquaten Ersatz erhalten. Bei der Verwaltung der Nationalparks wurde ihnen kein nennenswerter Einfluß zugestanden, wie die Studienautorin Penninah Zaninka im Jahr 2003 resümierte:

"'Trotz gesetzlicher Vorgaben im ugandischen Rechtssystem, das vorsieht, den Batwa die Nutzung des Nationalparks zu gestatten und sogar darin zu leben und trotz der expliziten Empfehlungen der oben genannten Studie, wurden den Batwa keinerlei Rechte eingeräumt.'"
(S. 37)

Pedersen beschränkt seine Kritik nicht auf Regierungen oder Globalinstitutionen wie die Weltbank, sondern geht auch und gerade mit Naturschutzorganisationen hart ins Gericht. Er spricht provokativ von "internationalen Naturschutzunternehmen" (S. 52ff) und meint damit in erster Linie "die großen Drei": Conservation International (CI) und The Nature Conservacy (TNC), die beide ausgedehnte, ökologisch besonders wertvolle Gebiete auf der ganzen Welt erworben haben, sowie den World Wild Fund for Nature (WWF), der "ähnlich wie die anderen Naturschutzmultis (...) eine marktorientierte Herangehensweise an die Finanzierung von Naturschutz verfolgt" (S. 56).

Die großen Naturschutzorganisationen verhülfen "notorischen Umweltsündern zu einem grünen Mäntelchen" und kooperierten mit multinationalen Konzernen, "insbesondere aus der Öl-, Gas-, Arzneimittel- und Bergbaubranche", wohingegen die "Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften nach dem Hype Anfang der 1990er Jahre zu einem Lippenbekenntnis geschrumpft" sei (S. 57), kritisiert Pedersen. Marktwirtschaftliche Mechanismen würden von diesen Organisationen als das Nonplusultra zur Finanzierung von Naturschutz angesehen. Als Beispiele nennt er Gebühren für den Eintritt in Schutzgebiete, für Bioprospektion oder Jagd- und Angellizenzen sowie Ökotourismus, Einkünfte aus Umweltdienstleistungen und sogenannte Debt-for-Nature Swaps (S. 58).

Beim ersten Debt-for-Nature-Swap, der in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre abgeschlossen wurde, hat Conservation International Schulden des bolivianischen Staates in Höhe von 650.000 US-Dollar bei einer Schweizer Bank übernommen, dafür 100.000 US-Dollar bezahlt und in das 135.000 Hektar große Beni Biosphärenreservat in Nordostbolivien "investiert" (S. 64), das daraufhin beträchtlich erweitert wurde. Im Jahr 1987 wurden mittels solcher Abkommen über eine Milliarde Dollar für den Naturschutz generiert. Pedersens Kritik an solchen Maßnahmen sind dahingehend zusammenzufassen, daß der Schuldenabbau der Entwicklungsländer marginal bleibt, Menschen vertrieben werden und es zu einer Verschiebung von Verfügungsrechten in den Naturschutzgebieten kommt, die häufig zu Lasten der ursprünglichen Bevölkerung geht.

Mit großer Skepsis betrachtet der Autor auch andere Mechanismen im Kontext von Naturschutz und Profit, als da sind die Umsetzung der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen, die Methode, im Rahmen von Public-Private-Partnership-Abkommen Unternehmen zur Investition in Naturschutz zu bewegen, der Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Agrosprit und nicht zuletzt der Emissionshandel, bei dem "Kohlendioxid, das in den Industrieländern in die Luft geblasen", anschließend "vom tropischen Grün wieder eingefangen wird". An diesem Ablaßhandel mit Kohlendioxid-Zertifikaten läßt Pedersen kein gutes Haar. Er nennt dies einen "gigantischen Etikettenschwindel, mit dem die Eliten des Nordens der Weltbevölkerung zu suggerieren versuchen, die Klimakatastrophe sei durch marktgetriebene Mechanismen aufzuhalten". Entwicklungszusammenarbeit und Naturschutz-Multis beteiligten sich an diesem Geschäft (S. 85).

Zudem macht er darauf aufmerksam, daß es im Rahmen des Nord-Süd-Handels mit Emissionszertifikaten unter anderem am Mt. Elgon in Uganda zu Vertreibungen von Menschen aus Gebieten kam, die fortan vor Abholzung und anderen Formen der Nutzung "geschützt" waren. "Ironischerweise", schreibt Pedersen, würden "Emissionsgutscheine, die mit Menschenrechtsverletzungen befleckt sind, an Leute verkauft, die durch den Kauf dieser Gutscheine ihr vom Fliegen belastetes Umweltgewissen erleichtern wollen" (S. 86).

Auch wenn der Autor, der im Umfeld des kritischen Naturschutz- und Menschenrechts-Dachverbands BUKO anzusiedeln ist, einige destruktive, systemische Merkmale des Naturschutzes bloßlegt, beabsichtigt er keineswegs, den Schutz der Natur an sich zu verteufeln. Aber er will darauf aufmerksam machen, und das mit einigem Nachdruck, daß nicht alles, was sich im ersten Moment positiv anhört, hält, was es verspricht. Diesen Eindruck zu vermitteln, ist Pedersen gut gelungen. Und wenn auch einige der Beispiele schon eine Zeitlang zurückliegen, gilt das, was er moniert, noch heute: Menschen werden aus Gründen des Naturschutzes vertrieben. Die Region um den Mt. Elgon, diesmal von kenianischer Seite aus, ist dafür ein aktuelles Beispiel.

So mancher Naturschützer dürfte Pedersen als Nestbeschmutzer betrachten. Es stellt sich allerdings die Frage, welchen Wert solch ein Nest hat, wenn es für einen kritischen Geist, der die Methoden zur Erreichung von Naturschutzzielen hinterfragt, keinen Platz vorsieht. Im übrigen faßt Pedersen Erfahrungen und Analysen zahlreicher anderer Autorinnen und Autoren zusammen - demnach müßte es viele Nestbeschmutzer geben.

Der Autor hat sich entschieden, sein 138 Seiten umfassendes Buch grob in "Die Verlierer" (S. 21 - 52) und "Die Gewinner" (S. 52 - 113) zu unterteilen. Damit erzeugt er eine einfache, unmißverständliche Orientierung. Gleichzeitig ist diese Vorgabe aber eine Schwäche. Ein häufig anzutreffendes Phänomen bei Büchern, die wie das vorliegende aus dem Umfeld der "Aktivisten-Szene" stammen, ist ihre Beschränkung auf das eigene Thema. Manchesmal fehlt der Blick der Autoren über den eigenen Tellerrand hinaus. Das trifft in abgemilderter Form auch auf Pedersen zu. Sein Teller bescheidet sich zwar keineswegs auf die Größe einer Untertasse, sondern deutet durchaus Tiefe an - beispielsweise wenn der Autor an einer Stelle konstatiert, daß "riesige, von der lokalen Bevölkerung auf traditionelle Weise genutzte 'Naturflächen' (...) über massive Enteignungsprozesse in kapitalistische Wertschöpfungsprozesse integriert" werden (S. 19) -, aber dennoch wäre eine übergreifende gesellschaftliche Einordnung des Naturschutzes noch zu leisten.

Wer argumentiert, daß Naturschutz negative Folgen zeitigen kann, positioniert sich von vornherein innerhalb des Systems, das Naturschutz hervorgebracht hat. Das birgt die Gefahr, daß Widersprüche auch des eigenen Standpunkts unangetastet bleiben. Bereits in seinem Vorwort stellt der Autor klar, daß er "Verfechter eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen" ist und die Ansicht teilt, "dass die Erhaltung unserer natürlichen Umwelt zur globalen Überlebensfrage geworden ist". Die zentrale These des Buches laute: "Die Erhaltung unserer natürlichen Umwelt kann nicht damit erreicht werden, dass man naturzerstörerische gesellschaftliche Verhältnisse akzeptiert und parallel dazu versucht, diese Naturzerstörung durch Ausgleichsflächen zu kompensieren." (S. 13)

Pedersen verklärt hier die "natürliche Umwelt" zu etwas unhinterfragt Reinem, das seiner Ansicht nach erhalten werden müsse. Dabei war und ist Naturschutz, ob in der idealistischen Variante des Autors oder in der profitorientierten, wie sie von ihm kritisiert wird, nie etwas anderes als Ausdruck eines übergreifenden Verfügungsanspruchs, mit dem Besitzstand abgesichert und somit eine auf Raub gegründete Eigentumsordnung fundamental befestigt wird.

Bereits die Voraussetzung des Naturschutzes, der Naturbegriff, ist Ausdruck eben dieses Anspruchs. Das, was der Mensch als Natur bezeichnet, erweist sich als gnadenlos und brutal. Von der Vielfarbigkeit der geduckten Vegetation in der arktischen Tundra bis zur grünen Wand des tropischen Regenwalds trifft das Auge des menschlichen Betrachters immer nur die Sieger, also jene Pflanzen, die sich gegenüber dem ungekeimten, beschatteten oder auf andere Weise unterdrückten Leben durchgesetzt und ihm die Entfaltung vorenthalten haben. Das Äquivalent dazu im Tierreich wäre unter dem Stichwort Freßkette zusammenzufassen.

Wer das als erhaltenswert bezeichnet, hat die Naturgewalten verinnerlicht. Verdrängen, verschlingen und verdauen gab es schon lange vor den Menschen - mit dem Begriff Natur erheben sie das jahrmillionenalte Vernichtungswerk zur (Natur-)Gesetzlichkeit. In diesem Sinne zerstört der Mensch nicht die Natur, sondern den Lebensraum seiner Artgenossen. Sich über diese Voraussetzungen für Naturschutz im klaren zu sein, ist deshalb von Belang, als daß es nicht wundern sollte, wenn der Schutz der Natur jene menschenfeindlichen Folgen zeitigt, die Pedersen so eindrücklich schildert.

4. August 2008


Klaus Pedersen
Naturschutz und Profit
Menschen zwischen Vertreibung und Naturzerstörung
Unrast Verlag, Münster, Mai 2008
ISBN 978-3-89771-476-2