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REZENSION/315: John Dean - Das Ende der Demokratie (US-Politik) (SB)


John Dean


Das Ende der Demokratie

Die Geheimpolitik des George W. Bush



Als im letzten Dezember die New York Times publik machte, daß die National Security Agency (NSA) seit Anfang 2002 im großen Stil die Telefongespräche und den E-Mail-Verkehr der amerikanischen Bürger auf Verdächtiges hin kontrolliert, löste dies ein heftiges politisches Erdbeben aus, denn schließlich ist seit der Verabschiedung des im Zuge des Watergate-Skandals verfaßten Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) im Jahre 1978 den US-Geheimdiensten die Spionage im Innern ohne Genehmigung eines Sondergerichts strengstens verboten. Als unmittelbar nach Bekanntwerden der umstrittenen NSA-Aktion George W. Bush erklärte, er habe diese persönlich angeordnet, stellte Publizist John Dean auf einer Podiumsdiskussion fest, dies sei das erste Mal in der Geschichte der USA, daß ein Präsident offen einen Verstoß seinerseits gegen die Verfassung, deren Schutz seine erste und oberste Pflicht sei, zugegeben habe. Seitdem laufen die Bemühungen seitens des linken Flügels der Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bush in Gang zu bringen, auf Hochtouren. Leider werden diese Bemühungen von der republikanischen Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses sowie von konservativen Demokraten wie Senatorin Hillary Clinton und Senator Joseph Lieberman energisch bekämpft, so daß sie wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Die obige Episode demonstriert jedoch, welchen beachtlichen Einfluß inzwischen John Wesley Dean III., den man hierzulande lediglich als Figur der Watergate-Affäre kennt, auf den politischen Diskurs der USA ausübt. Der 1938 geborene Anwalt arbeitete als juristischer Berater der republikanischen Minderheit im Rechtssauschuß des Repräsentantenhauses, als er 1969 der damals frischgewählten Regierung von Richard Nixon beitrat. Nach einem Jahr als Stellvertreter von Justizminister John Mitchell avancierte Dean im Juli 1970 zum Rechtsbeistand des Präsidenten. In dieser Position nahm der damals wegen seiner blonden Locken und seines politischen Ehrgeizes bekannte "Golden Boy" der Nixon-Regierung aktiv an zahlreichen illegalen Machenschaften des Weißen Hauses gegen Friedensaktivisten und politische Gegner teil. Hierzu gehörte vor allem die später aufgeflogene Durchführung und Vertuschung der Einbrüche von Nixons aus Exil-Kubanern und Ex-CIA-Agenten bestehender "Klempner"-Truppe 1971 beim Psychiater Lewis Fielding, nachdem dessen Patient, der RAND- Analytiker Daniel Ellsberg, dem Kongreß und der New York Times die sogenannten "Pentagon-Papiere" über die Hintergründe der US- Militärintervention in Indochina hatte zukommen lassen, sowie 1972 im Wahlkampfbüro der Demokraten im Washingtoner Büro- und Wohnkomplex Watergate.

Deans plötzliche Entscheidung im Jahr 1973, sich den Ermittlern vom FBI, der Staatsanwaltschaft und des Kongresses als Kronzeuge zur Verfügung zu stellen, sollte Nixon politisch das Genick brechen und ein Jahr später zum erstmaligen, unfreiwilligen Rücktritt eines Präsidenten der USA führen. Wegen seiner dubiosen wie prominenten Rolle in der Watergate-Affäre erhielt Dean eine ein- bis vierjährige Freiheitsstrafe, von der er vier Monate im Gefängnis abbüßen mußte. 1976 hat er seine von Selbstvorwürfen gekennzeichneten Watergate- Memoiren "Blind Ambition" veröffentlicht, denen 1982 das Buch "Lost Honor" über die Ära Nixons folgte. Danach arbeitete der in Kalifornien lebende Dean als Investmentbanker. Seit einigen Jahren nimmt der ausgebildete Jurist als Kolumnist für die Fachzeitschrift Findlaw's Writ wieder aktiv an der politischen Debatte Amerikas teil. Deans staatsrechtliche Sachkenntnisse und einmalige Erfahrungen im Weißen Haus Nixons haben ihn offenbar für die Rolle eines der scharfsinnigsten Beobachter und Analytiker des Treibens am Hofe von Bush jun. prädestiniert.

Das vorliegende Buch "Das Ende der Demokratie - Die Geheimpolitik des George W. Bush" basiert auf Deans vielbeachteten Findlaw-Artikeln. Anlaß zu dem 2004 in den USA und 2005 in Deutschland erschienenen Buch war eine als Überschrift formulierte Feststellung Deans, wonach der Skandal um die illegale Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame durch hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses im Juli 2003 - und zwar als Racheakt dafür, daß ihr Mann Joseph Wilson, der ehemalige US- Botschafter in Bagdad, in der New York Times die Bush-Regierung in Bezug auf den angeblich versuchten Uranimport durch Saddam Hussein der Lüge bezichtigt hatte - "Worse than Watergate" sei. Von der Plame- Affäre gehen für die Bush-Administration große Gefahren aus, seitdem Ende Oktober 2005 gegen I. Lewis "Scooter" Libby Anklage unter anderem wegen Justizbehinderung und Meineid erhoben wurde und dieser sogleich von seinem Amt als Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney zurücktreten mußte. In den USA wird mit weiteren Anklagen gerechnet, wobei in diesem Zusammenhang der Name von Karl Rove, dem wichtigsten politischen Berater des Präsidenten, am häufigsten fällt.

Doch das vernichtende Fazit Deans, wonach die politischen Umtriebe der Bush-Regierung "Schlimmer als Watergate" seien, leitet sich nicht nur aus der unsäglichen Plame-Affäre ab. Sie ist lediglich das bisher prominenteste Beispiel für die äußerst rüden Methoden, welcher sich die Männer um Bush jun. systematisch bedienen, um Kritiker und politische Gegner im Regierungsapparat, im Kongreß und in den Medien zu bedrohen, einzuschüchtern und gefügig beziehungsweise mundtot zu machen. Wie Dean zurecht konstatiert, machten sich die "zwanghaften" Geheimhaltungspraktiken der Bush-Männer schon im Jahre 2000 während des Wahlkampfes gegen den demokratischen Vizepräsidenten Al Gore bemerkbar. Damals griff Bush auf zweifelhafte Tricks zurück, um seine Missetaten aus seiner Zeit als Gouverneur von Texas unter Verschluß zu halten. Des weiteren wurde ein enormer Aufwand betrieben, um der US- Wählerschaft die Details der unrühmlichen Vergangenheit des sich als volksnaher Kumpel gebenden Präsidentschaftskandidaten Bush - Alkoholismus, Drückebergerei vor dem Militärdienst in Vietnam, windige Geschäftspraktiken einschließlich illegaler Insidergeschäfte an der Börse - vorzuenthalten. Hinzu kommen die auf rassistische Ressentiments in den Südstaaten der USA setzende Diffamierung des republikanischen Mitbewerbers Senator John McCain und nicht zuletzt die äußerst fragwürdige Ernennung Bushs zum Präsidenten durch die Richter am Supreme Court angesichts der scheinbaren Pattsituation nach dem Urnengang im Bundesstaat Florida.

Nach dem Einzug ins Weiße Haus fand diese pathologische Geheimniskrämerei zunächst in Verbindung mit den Beratungen der Energiearbeitsgruppe von Vizepräsident Cheney ihre Fortsetzung, bis sie nach den Flugzeuganschlägen auf das New York World Trade Center und das Arlingtoner Pentagon vollends außer - demokratischer - Kontrolle geriet. Die grausamen Ereignisse vom 11. September 2001 boten der Bush-Regierung eine Steilvorlage dafür, eine ganze Palette ansonsten hochumstrittener Maßnahmen in Angriff zu nehmen, deren Durchführung man ohnehin schon länger geplante hatte, wie zum Beispiel die Verabschiedung des umfangreichen, polizeistaatlichen PATRIOT- Gesetzespakets, die Aufhebung der Genfer Konventionen für als "feindliche Kombattanten" bezeichnete, mutmaßliche "Terroristen", eine beispiellose Stärkung der Präsidialgewalt zum Nachteil von Judikative und Legislative, die Einrichtung strenggeheimer CIA-Folterzentren sowie die Aufnahme des Prinzips des präemptiven Krieges (früher Angriffskrieg genannt) in die offizielle Militärdoktrin Amerikas einschließlich des Einmarsches 2003 in den Irak auf der Basis windiger "Geheimdiensterkenntnisse" und ohne ausdrückliche Mandatierung durch den nach dem bisherigen Völkerrecht eigentlich zuständigen Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Zum Verständnis der staatspolitischen und verfassungsrechtlichen Dimensionen und Implikationen der sich bis heute auf verheerende Weise auswirkenden Innovationen der ersten Amtszeit der Regierung von George W. Bush dienen vorzüglich Deans sachkundige, aber leicht verständliche Ausführungen. Inzwischen finden Deans vor der Präsidentschaftswahl im November 2004 verfaßten Kassandrarufe von Bush jun. als "Totengräber der amerikanischen Demokratie" immer mehr Zustimmung, wie die jüngsten Äußerungen von Sandra Day O'Connor zeigen. In einer aufsehenerregenden Rede am 9. März an der Georgetown University in Washington hat das vor kurzem zurückgetretene, erste und bislang einzige weibliche Mitglied des Obersten Gerichtshofs eindringlich vor dem Abgleiten der amerikanischen Republik in eine regelrechte Diktatur gewarnt.

Ohne den Vorwurf offen auszusprechen, legt Dean anhand zahlreicher Hinweise den Schluß nahe, daß die Bush-Regierung, zweifelsohne die größte Nutznießerin des 11. September, wissentlich die Flugzeuganschläge durch Untätigkeit geschehen ließ. Daher erklärt sich für ihn der unübersehbare und unbestreitbare Widerstand seitens des Weißen Hauses, Pentagons und Justizministeriums gegen eine angemessene Untersuchung des "Tages, der die Welt verändert" haben soll, sowie dessen Hintergründe. Leider verwahrt sich Dean gleichzeitig gegen jene "Verschwörungtheorien", deren Vertreter bestimmten staatlichen Kräften in Washington und in Übersee eine nicht nur passive, sondern auch aktive Verwicklung in den 11. September unterstellen. Unter Verweis auf eine Studie der US-Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League (ADL) schreibt er:

So behaupten beispielsweise einige arabische, islamische und Neonazigruppen, der Mossad sei der eigentliche Schurke, da er angeblich 'gerissen, erfinderisch und niederträchtig genug ist ... um die Anschläge auszuführen und [seinen] Feinden die Schuld daran zu geben'. Eine andere Theorie behauptet, eine Gruppe israelischer Spione, die sich als Kunststudenten ausgegeben und in den USA studiert hätten, habe die Terroristen des 11. September verfolgt, ohne sie an ihrem Vorhaben zu hindern.
(S. 157)

Was Dean scheinbar nicht weiß, ist, daß nämliche Einschätzung der Fähigkeiten des Mossads nicht ursprünglich auf die abstrusen Fantastereien islamistischer "Haßprediger" oder völkischer "Ewiggestriger", sondern auf die geheimdienstlichen Experten der US- Streitkräfte zurückzuführen ist. Wie der Zufall es so will, hieß es in einem ausgerechnet am 10. September 2001 auf der Titelseite der pentagonnahen, konservativen Washington Times erschienen Artikel über eine damals aktuelle Studie der School of Advanced Military Studies (SAMS) der US-Armee zur Lage im Nahen Osten wörtlich:

Zum Mossad, dem israelischen Geheimdienst, meinen die SAMS- Offiziere: Unberechenbar. Rüchtsichtslos und gerissen. Hat die Fähigkeit, US-Streitkräfte zu treffen und das ganze als palästinensisch/arabische Tat aussehen zu lassen.

Und was die israelischen "Kunststudenten" betrifft, deren Existenz Dean ins Märchenreich verwiesen haben möchte, so schrieben am 13. März 2002 über deren mysteriöse Aktivitäten in den USA im Vorfeld der Flugzeuganschläge keine geringeren als die Militär- und Geheimdienstexperten der weltweit renommierten Londoner Jane's Information Group:

Es mutet etwas seltsam an, daß die US-Medien die vielleicht explosivste Geschichte seit dem 11. September, nämlich die angebliche Zerschlagung einer großen israelischen Spionageoperation in den Vereinigten Staaten, bei der es um die Infiltrierung von Justiz- und Verteidigungsministerium ging und im Rahmen derer die Al-Kaida- Terroristen vor den Entführungen observiert wurden, ignorieren.

Man täte John Dean sicherlich Unrecht, seine ansonsten inhaltlich sehr weitgehende Kritik der Geheimpolitik der Bush-Regierung als "limited hang-out" abzutun. Doch ohne eine schonungslose Aufklärung der Umstände und Hintergründe der Flugzeuganschläge dürften weder das von ihm zurecht beklagte "Ende der Demokratie" in den USA noch der für die ganze Welt hochbedrohliche Kurs, den Amerikas selbsternannter "Kriegspräsident" und dessen neokonservative Berater am Abend des 11. September eingeschlagen haben, aufzuhalten sein.


John Dean
Das Ende der Demokratie
Die Geheimpolitik des George W. Bush
Aus dem Englischen (Originaltitel: "Worse than Watergate")
von Udo Rennert
Ullstein Taschenbuch, Berlin, 2005
300 Seiten, Euro 8,95
ISBN: 3-548-36751-8

23. März 2006