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REZENSION/287: J. Tiernan - The Dublin and Monaghan Bombings (Irland) (SB)


Joe Tiernan


The Dublin and Monaghan Bombings and the Murder Triangle



Um 17.30 Uhr am 17. Mai 1974, als die Menschen in der Dubliner Innenstadt nach Büroschluß auf die Straßen strömten, explodierten an drei verschiedenen Orten zeitgleich Autobomben und töteten 26 Menschen, darunter einige Kinder. Fast zwei Stunden später ging in Monaghan, einer in der Nähe der Grenze zu Nordirland liegenden Kleinstadt, eine weitere Autobombe hoch und brachte sieben Menschen ums Leben. Insgesamt ließ der koordinierte Mehrfachangriff - was unserer Tage als "Handschrift" Al Kaidas gilt - 240 Menschen verletzt und verstümmelt zurück. Bis heute ist niemand wegen dieses tödlichsten, in Verbindung mit dem Bürgerkrieg in Nordirland, den sogenannten "Troubles", durchgeführten "Terror"-Anschlags strafrechtlich belangt worden. Im Laufe von mehr als 30 Jahren hat es nicht einmal eine einzige Anklageerhebung gegeben. Folglich gehen die meisten Politikinteressierten in der Republik Irland davon aus, daß der Grund für die fehlende Aufklärung der Schreckenstat darin liegt, daß dahinter der Geheimdienst und das Militär Großbritanniens steckten. Wie nahe an der Wahrheit man mit dieser Vermutung liegt, zeigt Joe Tiernan in dem höchst aufschlußreichen Buch "The Dublin and Monaghan Bombings and the Murder Triangle" auf.

Der in Dublin lebende, freiberufliche Journalist, der im Laufe seiner Karriere unter anderem für die britischen Fernsehsender BBC und Channel 4 sowie für "Today Tonight", lange Zeit das wichtigste Politmagazin des staatlichen irischen Fernsehsenders RTE, tätig war, verbrachte Anfang der Neunziger zwei Jahre damit, die Hintergründe der Bombenanschläge von Dublin und Monaghan zu recherchieren. Als das Ergebnis dieser Nachforschungen 1993 vom britischen Privatsender ITV in der Dokumentationsreihe "First Tuesday" ausgestrahlt wurde, sorgte das für eine absolute Sensation. In der Sendung, die den Titel "Hidden Hand: The Forgotten Massacre" trug, wurden erstmals in der britisch-irischen Öffentlichkeit die Namen der Täter, allesamt loyalistische Paramilitärs, die meisten von ihnen Mitglieder der Ulster Volunteer Force (UVF) sowie einige wenige Kampfgefährten von der Ulster Defence Association (UDA), genannt, und es wurden stichhaltige Beweise dafür vorgelegt, daß diese nicht alleine gehandelt, sondern als willige Handlanger der britischen Streitkräfte in Nordirland agiert hatten.

Wie Tiernan in seinem Buch zurecht wiederholt anführt, kann die politische Bedeutung der Anschläge von Dublin und Monaghan nicht hoch genug eingeschätzt werden. 1969 war in Nordirland aufgrund der gewaltigen Reaktion der protestantisch dominierten Polizei auf die katholische Bürgerrechtsbewegung die Irisch-Republikanische Armee (IRA) praktisch neu entstanden, und der Bürgerkrieg war ausgebrochen. Welche Gefühle damals die jeden Abend in den Fernsehnachrichten zu verfolgenden, dramatischen Vorgänge aus den nördlichen "sechs Grafschaften" in der Republik Irland auslösten, zeigt die Tatsache, daß am Tag nach dem Bloody Sunday, dem 30. Januar 1972, als bei einem Bürgerrechtsmarsch im nordirischen Derry britische Fallschirmjäger 13 Zivilisten erschossen, eine wütende Menge in Dublin die dortige Botschaft Großbritanniens stürmte und niederbrannte. Nach den Anschlägen von Dublin und Monaghan zwei Jahre später ließ jedoch das Interesse in der Republik am politischen Streit nördlich der inneririschen Grenze zwischen protestantischen Unionisten und katholischen Nationalisten spürbar nach. Den Bürgern im südlichen Teil Irlands war durch die mit militärischer Präzision durchgeführte Operation vom 17. Mai 1974 nur allzu deutlich vor Augen geführt worden, wie leicht die Gewalt im Norden auch auf ihre Gesellschaft ausgeweitet werden konnte.

Ein weiterer, häufig vergessener Aspekt der Anschläge von Dublin und Monaghan ist die Tatsache, daß sie nicht nur dafür sorgten, daß der blutige Konfessionskrieg in Nordirland bis Mitte der neunziger Jahre andauerte, sondern auch dafür, daß 1979 in Großbritannien unter Margaret Thatcher der wirtschaftliche Neoliberalismus Einzug hielt. Zur Beilegung des Konfliktes in Nordirland hatten sich Ende 1973 die Regierungen Großbritanniens und Irlands zusammen mit den damals jeweils größten protestantischen und katholischen Parteien der Unruheprovinz, der Official Unionist Party (OUP) und der Social Democratic Labour Party (SDLP), auf das sogenannte Sunningdale- Abkommen verständigt. Jene Vereinbarung sah die erstmalige Bildung einer interkonfessionellen Provinzregierung in Belfast sowie zaghafte Schritte zur langfristigen Überwindung der 1922 erfolgten Teilung Irlands vor. Gegen das Abkommen von Sunningdale - das in nur leicht veränderter Form die Grundlage des heutigen Friedensprozesses einschließlich des Karfreitagsabkommens von 1998 bildet - liefen in Nordirland protestantische Militante, angestachelt vom freipresbyterianischen Hetzprediger Ian Paisley, Sturm.

Am 14. Mai 1974, in der neunzehnten Woche der Amtszeit der ersten interkonfessionellen Regierung Nordirlands mit Brian Faulkner von der OUP als Premierminister und Gerry Fitt von der SDLP als dessen Vize, rief der sogenannte Ulster Workers Council (UWC) die protestantische Arbeiterklasse zum Generalstreik auf. Am fünften Tag dieses Streiks, der nicht zuletzt wegen des demonstrativen Einsatzes loyalistischer Paramilitärs und der Tatenlosigkeit der britischen Armee das öffentliche Leben der Provinz lahmlegte, wurden Dublin und Monaghan durch den bis dahin schwersten Bombenanschlag der irischen Geschichte erschüttert. Dazu schreibt Tiernan:

... die Entscheidung der Loyalisten, unterstützt von ihren Undercover-Verbündeten in den verschiedenen Zweigen der [britischen] Sicherheitskräfte, die Republik mit Bomben anzugreifen, war kurz nach der Unterzeichnung des Sunningdale- Abkommens in Dezember 1973 und damit lange vor dem Streik der UWC gefallen. Das Ziel sowohl des Bombenangriffs als auch des Streiks war zweifacher Natur: (a) das Abkommen zu kippen und am Stuhl des damaligen [britischen] Premierministers Harold Wilson, den rechte Teile des britischen Establishments für einen heimlichen Kommunisten und für zu nachgiebig gegenüber dem [irischen] Republikanismus hielten, zu sägen sowie (b) die Regierung in Dublin dazu zu zwingen, mit größerer Härte gegen die Aktivitäten der IRA vorzugehen. (S. 265) *

Aus Sicht der protestantischen Hardliner in Nordirland und ihrer reaktionären Gesinnungsgenossen im britischen Sicherheitsapparat waren die Anschläge von Dublin und Monaghan ein durchschlagender Erfolg. Elf Tage später, am 28. Mai 1974, trat die Faulkner-Fitt- Regierung in Belfast wegen offensichtlicher Handlungsunfähigkeit zurück. 1976 warf Harold Wilson, dem die friedliche Beilegung des Nordirland-Konfliktes nicht gegönnt worden war und der sich den "Dirty Tricks" seitens konservativer Teile des britischen Establishments nicht gewachsen fühlte, das Handtuch und zog sich aus bis heute nicht vollständig geklärten Gründen von der Politik zurück. Der simultane Mehrfachangriff im Herzen der irischen Hauptstadt machte die politische Kaste der Republik gefügig. Obwohl die irische Polizei nach einem Monat die Identität der meisten der rund 20 am Anschlag unmittelbar beteiligten, loyalistischen Paramilitärs ermittelt hatte, verzichtete die Regierung in Dublin darauf, gegenüber London auf deren Auslieferung zu drängen. Statt dessen legte sich ein Schleier des Vergessens über die ganze höchst unappetitliche Angelegenheit.

Wie weit dieses Vertuschungsmanöver reichte, zeigt das 2003 veröffentlichte Ergebnis der Untersuchungen, mit denen die Regierung in Dublin nach jahrelangem Drängen der Opferfamilien Henry Barron beauftragt hatte. In seinem Abschlußbericht erklärte der ehemalige irische Richter, der Verdacht einer Verwicklung staatlicher britischer Stellen in die Anschläge von Dublin und Monaghan sei zwar "weder abstrus noch absurd", doch habe er dafür keine handfesten Beweise finden können. Dieser für die Behörden beiderseits der Irischen See glückliche Umstand ist nicht zuletzt darauf zurückführen, daß die Regierung in London Richter Barron den Zugang zu den wichtigsten Akten und Zeugen verweigert hatte und daß im Dubliner Justizministerium die relevanten Ermittlungsakten aus dem Jahr 1974 auf unerklärliche Weise "verlorengegangen" waren. Kein Wunder, daß sich die Verletzten und die Familien der Opfer durch das Ergebnis der Barron-Untersuchung verschaukelt fühlten.

Über diese offiziell verdrängte Geschichte hat Joe Tiernan ein überaus wichtiges Buch geschrieben. Im Verlauf seiner insgesamt 16jährigen Recherche zum Thema der Anschläge von Dublin und Monaghan sowie der Verwicklung derselben loyalistischen Paramilitärs in zahlreiche bis heute unaufgeklärte Morde und Übergriffe im nordirischen Grenzgebiet hat er mit fast allen Beteiligten - Opfern, noch lebenden Tätern, Witwen und Freunden bereits verstorbener Paramilitärs, Polizisten sowie aussagebereiten Ex-Mitgliedern des britischen Sicherheitsapparats wie Fred Holroyd und Colin Wallace - gesprochen. Die Gründlichkeit von Tiernans Nachforschungen hat sich gelohnt. Obwohl das Buch wegen eines Rechtsstreits mit einer britischen Fernsehgesellschaft nicht über den regulären Ladenvertrieb erhältlich ist und Tiernan es in eigener Regie verlegen mußte, soll er davon inzwischen mehr als 40.000 Exemplare verkauft haben.

Wenn es etwas am vorliegenden Buch zu kritisieren gibt, dann lediglich die Tatsache, daß der Autor vielleicht etwas zu ausführlich aus Autopsieberichten zitiert und sich gelegentlich im Tonfall vergreift - etwa wenn er gegen Dubliner Intellektuelle der sogenannten westbritischen Tendenz wie Eoghan Harris, Conor Cruise O'Brien und Fintan O'Toole, die den irischen Unabhängigkeitsdrang quasi als unzulässige Zurückweisung der Segnungen britischer Zivilisation verteufeln, wettert. An solchen Stellen ist zu spüren, wie sehr Tiernan die Bereitschaft der medialen Sittenwächter, die von ihm und anderen zutage geförderten, zahlreichen Beweise für den britischen Staatsterrorismus zu ignorieren, zu verschweigen und damit letztlich zu vertuschen, an die Nerven geht. Mit diesem Unrechtsempfinden dürfte er nicht allein sein.

* Übersetzung aus dem Englischen vom MA-Verlag. Hinweise in eckigen Klammern finden sich nicht im Original.

25. Oktober 2005


Joe Tiernan The Dublin and Monaghan Bombingings and the Murder Triangle
Eigenverlag, Dublin 2004
284 Seiten
ISBN 9-781856-353205