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REZENSION/195: Alfred McCoy - Die CIA und das Heroin (Drogenpolitik) (SB)


Alfred W. McCoy


Die CIA und das Heroin

Weltpolitik durch Drogenhandel



Als im Sommer 1972 der junge Yale-Doktorand Alfred W. McCoy trotz massiver Einschüchterungsversuche seitens der CIA und mysteriöser Überfälle bei Recherchen in Indochina sein Buch "The Politics of Heroin in Southeast Asia" über das Zweckbündnis zwischen Drogenbaronen und Geheimdiensten im Schatten des Vietnamkrieges veröffentlichte, löste dies in der amerikanischen Öffentlichkeit eine heftige Kontroverse aus. Damals bekam die US-Gesellschaft wegen zehntausender GIs, die ihre Heroinsucht von Vietnam mit nach Hause brachten, die Spuren des amerikanischen Militärabenteuers in Südostasien besonders deutlich zu spüren.

Vor diesem Hintergrund hatte Richard Nixon, der auf einen Abzug der US-Streitkräfte "in Ehren" aus Vietnam hinarbeitete, den "Krieg gegen die Drogen" erklärt und als erster US-Präsident den weltweiten Drogenhandel zu einem wichtigen innenpolitischen Thema gemacht. Folglich waren die mit zahlreichen Fakten belegten Enthüllungen McCoys, daß der Auslandsgeheimdienst der USA, die Central Intelligence Agency, mit den Drogenpaten in Birma, Laos, Kambodscha, Thailand und Südvietnam unter einer Decke steckte, viel zu heikel, als daß sie zu einer grundlegenden Veränderung der Politik Washingtons geführt hätten. Nach einem kurzen Aufflammen des Interesses, das Titelgeschichten bei der New York Times und der Washington Post sowie einen Auftritt McCoys vor dem US-Senat mit sich brachte, ließen Medien und Politik aus naheliegenden Gründen das viel zu heiße Thema wieder fallen.

Nichtsdestotrotz ist das gründlich recherchierte Werk McCoys für alle, die sich seit den siebziger Jahren aus beruflichen Gründen oder rein privatem Interesse mit der weltweiten Drogenbekämpfungspolitik näher befaßt haben, zum Maßstab schlechthin geworden. Die Veröffentlichung einer zweiten überarbeiteten und erweiterten Ausgabe im Jahre 1990 hat vier Jahre später sogar zu einer Einladung des Autors ins US-Verteidigungsministerium geführt. Damals ließ die Regierung des Demokraten Bill Clinton die US-Drogenpolitik der republikanischen Vorgänger Ronald Reagan und George Bush sen. überprüfen. McCoy wurde von der Abteilung des Pentagons für Drogenbekämpfung, dem Office of Drug Policy and Support, gebeten, vor versammelten Militärs und Geheimdienstlern das Referat "Die Geschichte der Opiumproduktion und Folgerungen für die US- Drogenpolitik" zu halten. Aus der anschließenden Diskussion zog McCoy nach eigenen Angaben das Resümee, daß "viele Pentagon-Mitarbeiter Zweifel über die Erfolgschancen dieses endlosen Kriegs gegen eine unsichtbare Armee hegten". Doch trotz einer "beispiellosen Bestellung" aus dem Weißen Haus von 75 Exemplaren des McCoy- Klassikers warf Clinton die geplante Drogengesetzreform über Bord, nachdem im November 1994 die Republikaner unter ihrem erzkonservativen Bannerträger Newt Gingritch die Mehrheit im Kongreß eroberten.

2003 hat McCoy die dritte und voraussichtlich letzte überarbeitete und aktualisierte Ausgabe seines Buchs unter dem neuen Titel "The Politics of Heroin - CIA Complicity in the Global Drug Trade" veröffentlicht, das Ende letzten Jahres im Frankfurter Verlag Zweitausendeins als "Die CIA und das Heroin - Weltpolitik durch Drogenhandel" erschienen ist. Schwerlich dürfte es je ein in erster Linie akademisches Sachbuch gegeben haben, das einerseits allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und andererseits so exotisch und spannend ist wie dieses. Die bereits in der Einleitung enthaltene Beschreibung von McCoys Begegnung mit einem ihm bis dahin unbekannten französischen Armeeveteranen in Paris zu Beginn der Recherchen im Sommer 1970 gibt dem Leser gleich ein Gefühl dafür, was ihn hier erwartet:

Als Berufsoldat bei den Fallschirmspringern war Oberst Roger Trinquier den Weg gegangen, der seine Militärgeneration von der Niederlage in Vietnam über Folterungen im schmutzigen Krieg in der Kasbah von Algier bis zum Aufbau weißer Söldnerarmeen in Afrika geführt hatte. Der Oberst lud mich in sein elegantes, mit vietnamesischem Porzellan und chinesischem Rosenholz geschmücktes Apartment ein, wo er mir äußerst detailliert erklärte, wie sein Kommando 1950 das koloniale Opiummonopol übernommen und dazu benutzt hatte, verdeckte Operationen unter den Bergvölkern in Tongking und Laos zu finanzieren. Seine Fallschirmspringer hatten das Opium von den Stämmen eingesammelt, in geheimen Luftwaffenflügen nach Saigon geschafft und an Opiumhöhlen verkauft, die von einer organisierten Verbrecherbande namens Binh Xuyen betrieben wurden. Es war das erste Mal, dass ich einem Geheimkrieger gegenübersaß. Seine Willenskraft war überwältigend. Wenn er sich vorbeugte, um still und präzise seine Argumente zu erläutern, strahlte er eine Energie aus, die mir ins Gesicht schlug wie eine Ohrfeige. Als ich seine Wohnung verließ, wusste ich mehr über Opium, als ich mir je hätte vorstellen können. Aber ich war erschüttert, eingeschüchtert, ausgepowert. Rückblickend war ich aus der gesitteten Welt der Universität ins Reich verdeckter Kriegsführung mit ihren unbegrenzten Grausamkeiten und ihrer schrankenlosen Willkür eingetreten. (S. 12/13)

Wie McCoy später erfahren sollte, handelte es sich bei Trinquier um "einen der führenden Spezialisten für Konterguerilla-Operationen", der sich, nachdem er sich nach Frankreich zurückgezogen hatte, für "'kalkulierte Sabotage und Terrorismus' sowie systematische Täuschung in internationalen Angelegenheiten als integralem Bestandteil der nationalen Verteidigungspolitik" aussprach. Trinquiers 1964 erschienenes "Modern Warfare" gilt bis heute als eines der wichtigsten Handbücher zum Thema Aufstandsbekämpfung und Konterguerillataktiken. 1971 lernte McCoy im Laufe seiner ursprünglichen Recherchen auch den legendären amerikanischen Schattenkrieger General a. D. Edward G. Lansdale kennen. Diesem ist die Hauptfigur in Graham Greenes Roman "Der stille Amerikaner" über den schleichenden Einstieg der USA in den Vietnamkrieg in den fünfziger Jahren nachempfunden. In der neuen, sehr gelungenen Verfilmung des Romans mit Michael Caine als zynischem, englischen Journalisten spielt Brendan Fraser die Hauptrolle des im Verborgenen agierenden und deshalb "stillen" CIA-Agenten.

Zwar stellt die Verwicklung der US-Geheimdienste in den südostasiatischen Drogenschmuggel in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren den Ausgangspunkt des vorliegenden Buchs dar, doch geht McCoy weit über diesen Rahmen hinaus und stellt den weltweiten Drogenhandel als geschichtliche Folge der Industrialisierung und der Kolonialisierung dar. Es wird zum Beispiel geschildert, wie im 18. und 19. Jahrhundert das Opium von Europäern und Amerikanern durch Plantagenanbau von Mohn und schnelle Schiffstransporte zu einer enorm wichtigen Handelsware, ja sogar zum "Modernisierungsmotor" in Süd- und Ostasien wurde. Selbst die Opiumpfeife, die man gemeinhin mit den Chinesen in Verbindung bringt, ist demnach eine Erfindung der Niederländer gewesen.

Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts kam in Großbritannien und den USA vor allem unter protestantischen Eiferern die Antiopiumbewegung auf. Diesem kalvinistischen, repressiven Impuls haben wir den globalen Antidrogenkrieg zu verdanken, der vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg großes Leid über die Menschheit gebracht hat. Gerade die internationale Drogenprohibition ist es, welche erst die enormen Gewinnspannen erzeugt, die das Geschäft mit dem illegalen Rauschgift so attraktiv machen. Gerade diese Anziehungskraft macht laut McCoy die Ausrottung des Anbaus von und des internationalen Handels mit Rauschdrogen zu einem hoffnungslosen "Windmühlenkampf". McCoy stellt nüchtern fest:

Ende der 90er Jahre war der globale Drogenhandel nach Angaben der Vereinten Nationen eine 400-Milliarden- Dollar-Industrie mit 180 Millionen Konsumenten geworden, 4,2 Prozent der Erwachsenen, und einem Anteil von acht Prozent am Welthandel - größer als der Textil-, Stahl oder Autohandel. (S. 69)

Ähnlich seinem jüngeren, noch bedrohlicheren Nachfolger, dem sogenannten Antiterrorkrieg, soll der Antidrogenkrieg offenbar niemals zu Ende gehen, sondern bestimmten Kräften bei Polizei, Militär und in der Finanzwelt als Selbstzweck, sozusagen als Arbeitsbeschaffungsmaßname und Goldene Gans in einem, dienen. Vor diesem Hintergrund legt McCoy eine gewisse Blauäugigkeit an den Tag, wenn er die jahrzehntelange Verwicklung der CIA in den Drogenschmuggel als "unbeabsichtigte" Folge des Kalten Krieges darstellt. Wie McCoy selbst zeigt, wird der Hauptgewinn am Drogenschmuggel nicht in den Anbauländern wie Afghanistan, Pakistan, Kolumbien oder Mexiko, sondern in den Industrienationen erwirtschaftet. Die bereits erwähnten 400 Milliarden Dollar im Jahr fließen nur zum ganz geringen Teil nach Kabul, Islamabad, Medellin oder Mexiko-Stadt und füttern statt dessen die Konten internationaler Großbanken. Nicht umsonst gilt die CIA seit ihrem Bestehen als verlängerter Arm der Wall Street.

Wer mehr unter anderem über die Rolle des großen amerikanischen Mafiapatens Lucky Lucianos bei der Eroberung Italiens durch die alliierten Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg, über die Zusammenarbeit zwischen CIA und korsischen Syndikaten in den fünfziger Jahren, über die Aktivitäten Tony Poes im südostasatischen Untergrundkampf - Poe wurde die von Marlon Brando gespielte Figur Kurtz in Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" auf den Leib geschrieben -, über den Sturz des Schahs von Persien und den Krieg der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjets, über die Verwicklung der Contras in den Kokainschmuggel der achtziger Jahre sowie über die Beteiligung Osama Bin Ladens am Drogengeschäft in Afghanistan in den neunziger Jahren erfahren möchte, wird mit Alfred McCoys "Die CIA und das Heroin" auf seine Kosten kommen. Als Empfehlung mag gelten, daß man sich nach dieser Lektüre von einigen Illusionen befreit haben dürfte.

27. April 2004


Alfred W. McCoy
Die CIA und das Heroin
Weltpolitik durch Drogenhandel
Originaltitel: "The Politics of Heroin -
CIA Complicity in the Global Drug Trade"
Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main, Dezember 2003
842 Seiten
ISBN 3-86150-608-4