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REZENSION/176: Tariq Ali - Fundamentalismus ... Weltordnung (SB)


Tariq Ali


Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung

Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln



Als einer der ganzen großen Namen der internationalen Linken gilt seit nunmehr einigen Jahrzehnten der Aktivist, Journalist und Romancier Tariq Ali. Der 1943 in Pakistan geborene, seit 1963 in England lebende Ali spielte Ende der Sechziger eine dermaßen prominente Rolle in der studentischen Protestbewegung Großbritanniens - trotz seiner jungen Jahre gehörte er dem Vietnam- Kriegsverbrechertribunal Bertrand Russells und Jean Paul Sartres an -, daß ihm die Rolling Stones das Lied "Street Fighting Man" widmeten. Seit Jahren kommentiert Ali regelmäßig für linke Zeitschriften wie den New Statesman und die New Left Review in Großbritannien, die Nation und CounterPunch in den USA sowie gelegentlich in namhaften, liberalen Tageszeitungen wie dem britischen Guardian, dem australischen Sydney Morning Herald und der hiesigen Süddeutschen den Konflikt zwischen den westlichen Industrienationen und den Ländern der restlichen Welt. Unter anderem Alis publizistischen und politischen Bemühungen ist es zu verdanken, daß die Friedensdemonstration am 15. Februar dieses Jahres in London gegen die damals unmittelbar bevorstehende Irak-Invasion Großbritanniens und der USA zur größten Massenkundgebung in der britischen Geschichte wurde.

Während viele derjenigen, welche die Medien unter dem Etikett der "68er Generation" - Tony Blair, Bill Clinton, Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit - vermarkteten, längst die Machtzentralen erobert haben und heute selbst die gleiche unsägliche Arroganz an den Tag legen, gegen die sie früher auf die Straße gegangen sind, ist Tariq Ali den marxistischen Idealen treu geblieben. Aus dem jungen Heißsporn von einst ist ein nachdenklicher Literat geworden, der seine grundsätzliche Ablehnung von Armut, Ungleichheit und Unterdrückung in zahlreichen Werken zum Ausdruck gebracht hat. Hierzu gehören mehrere Sachbücher zur Geschichte Pakistans sowie eines über die Nehru-Gandhi- Dynastie in Indien. Seit 1990 hat sich Ali immer mehr der Prosaliteratur zugewandt. Von dem geplanten historischen "Islam- Quintett", das sich mit der Konfrontation zwischen der islamischen und der christlichen Zivilisation beschäftigt, hat er bereits drei Romane geschrieben, die in Deutschland beim Verlag Diederichs erschienen sind: 1993 "Im Schatten des Granatapfelbaums", 1998 "Das Buch Saladin" und 2001 "Die steinerne Frau". Zusätzlich zu den Arbeiten an diesem Buchprojekt, an einer zweiten Romanreihe über Aufstieg und Fall der Sowjetunion sowie an seinen Artikeln hat Ali im Jahr 2000 mit "Masters of the Universe? NATO's Balkan Crusade" auch noch eine vernichtende Kritik der Jugoslawienpolitik des Westens im vorangegangenen Jahrzehnt veröffentlicht.

Aufgrund der Herkunft und der eigenen Geschichte als Grenzgänger zwischen dem nominell post-christlichen Westen und dem islamischen Kulturkreis, zwischen der Ersten und der Dritten Welt war Ali wie kaum ein zweiter prädestiniert, diejenige Entwicklung zu analysieren, welche seit den Flugzeuganschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Arlingtoner Pentagon die Bezeichnung "Antiterrorkrieg" trägt. Das vorliegende Werk "Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung: Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln" ist das Resultat seiner Überlegungen zum geschichtlichen Hintergrund des 11. September 2001. Doch vom "Tag, an dem sich die Welt verändert hat" will Ali nichts wissen. Statt dessen sieht er zwei engstirnige, miteinander im Clinch liegende Fundamentalismen: die neoliberale Globalisierung unter dem Banner der Pax Americana und die islamistische Widerstandsbewegung um den religiösen Obskuranten Osama Bin Laden, die ihre gemeinsame Blutspur um die Welt legen.

Recht anschaulich präsentiert der überzeugte Materialist Ali die rund eineinhalbtausendjährige Geschichte des Islams, seiner Erfolge und seiner Niederlagen. Gleichzeitig führt er die Entstehung und das Weiterbestehen des sogenannten islamischen Fundamentalismus unter anderem auf die Einmischung der früheren Kolonialmächte, des heutigen Westens, zurück. So wurde 1906 die Moslem-Liga, auf deren Betreiben die Trennung Pakistans von Indien erfolgte, mit Hilfe der britischen Raj und deren Handlangers, des Aga Khans, gegründet. Dezidiert belegt Ali, wie die religiösen Fundamentalisten in den verschiedenen Ländern der islamischen Welt stets den reaktionärsten, dem Großkapital freundlichsten Kräften in die Hände gespielt haben. 1965 haben in Indonesien beispielsweise die Mitglieder der Islamistischen Partei mit der Ermordung von rund einer Million Kommunisten für die CIA und den MI6 die Drecksarbeit erledigt.

Zwei Besonderheiten stechen bei Alis Streifzug durch die faszinierende Geschichte vornehmlich der muslimischen Welt im 20. Jahrhundert - Ägypten, Israel/Palästina, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan/Indien und Indonesien - hervor. Zuerst ist es der persönliche Bezug zu den beschriebenen Ereignissen, der auffällt. Dank seiner Herkunft als Sproß einer der führenden Familien Pakistans sowie seines jahrelangen, politischen Engagements auf der internationalen Bühne hat Ali viele der von ihm erwähnten Männer und Frauen persönlich kennengelernt. Trotz seines Einblicks in Welt der Mächtigen schlägt sein Herz stets auf der Seite der Zukurzgekommenen. Sein offenbar bereits im Kindesalter, dank kommunistisch eingestellter Eltern entwickelter Sinn für Gerechtigkeit hat ihn bis heute nicht verlassen. Darüber hinaus zitiert Ali immer wieder Lyriker und Schriftsteller, die wie die Sufi-Dichterin Habba Khatum oder der Indonesier Pramoedya Ananta Toer im Westen kaum bekannt, dafür in ihrer Herkunftsländer berühmt sind, und deren Werke ein beeindruckendes Zeugnis der Vereinbarkeit von Kunst und Politik ablegen.

Wenn es etwas gibt, das an diesem Buch zu kritisieren wäre, dann die Tatsache, daß Ali bei seiner ausführlichen Behandlung des Themas der zahlreichen Beziehungen zwischen dem Sicherheitsapparat Islamabads und den islamistischen Fundamentalisten in Afghanistan, Indien und Pakistan kein Wort über die mögliche Verwicklung des pakistanischen Geheimdienstes Inter Services Intelligence (ISI) in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in den USA verliert. Bekanntlich hat Ahmed Omar Sayeed Scheich von der Islamistentruppe Jaish-e-Muhammed (J-e-M), dem wegen des Mordes am Wall-Street-Journal- Reporter Daniel Pearl im Frühjahr 2002 die Todesstrafe droht, bereits ein Jahr zuvor im Auftrag des ISI 100.000 Dollar an Mohammed Atta, den mutmaßlichen Kopf der Flugzeugentführer, überwiesen. Den Auftrag hierzu soll Sayeed Scheich vom damaligen ISI-Chef Generalleutnant Mahmoud Ahmad erhalten haben. Als Anfang Oktober 2001 die Times of India die Kontakte zwischen Saeed Scheich und Mahmoud Ahmad publik machte, mußte letzterer als ISI-Chef umgehend zurücktreten. Besonders heikel an der Geschichte ist die Tatsache, daß Mahmoud Ahmad ausgerechnet zum Zeitpunkt der Flugzeuganschläge bereits seit mehreren Tagen zu wichtigen Gesprächen mit hochrangigen Mitgliedern der Regierung George W. Bush in Washington weilte.

Das Versäumnis Alis, an dieser Stelle nicht weiter nachgehakt zu haben, verwundert, zumal er im vorliegenden Buch den militärisch- industriellen Komplex in den USA offen bezichtigt, nach dem Wegfall des Warschauer Paktes den islamistischen "Terrorismus" als neuen großen Feind "konstruiert" zu haben, und dem französischen Philosophen Bernard Henri-Levy Vorhaltungen macht, weil dieser die zahlreichen Hinweise auf eine Verwicklung des Militärs in die Massaker in Algerien, welche allein muslimischen Fundamentalisten zugeschrieben werden, schlichtweg ignoriert. Darüber hinaus hat Ali den ISI bereits in einem am 5. April 2002 im Guardian erschienenen Artikel direkt für die Ermordung Daniel Pearls verantwortlich gemacht. Daß seine damaligen Erkenntnisse nicht Eingang in das neue Kapitel über die gefährliche, innenpolitische Lage in Pervez Muscharrafs Pakistan - "Die Farbe Khaki" - gefunden haben, enttäuscht ein wenig. Nichtsdestotrotz ist das Buch Tariq Alis eine höchst empfehlenswerte und recht unterhaltsame Lektüre für alle, die mehr über die wahrhaft vielschichtige Welt erfahren wollen, von der es bei uns im Westen seit nunmehr zwei Jahren immer häufiger heißt, daß von ihr die "islamische Gefahr" ausgehe.

5. Dezember 2003


Tariq Ali
Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung:
Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln
Aus dem Englischen (Originaltitel: "The Clash of Fundamentalisms - Crusades,
Jihads and Modernity") von Gabriele Gockel, Petra Hrabak, Sonja
Schumacher und Rita Seuß, aktualisiert und erweitert im
Heinrich Hugendubel Verlag, München, 2003
544 Seiten, 24,95 Euro
ISBN 3-7205-2465-5