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REZENSION/164: Robert Kurz - Weltordnungskrieg (SB)


Robert Kurz


Weltordnungskrieg

Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung



Der Begriff "Weltordnungskrieg" entwickelt sich unter linken Autoren allmählich zum Obertitel für die seit dem 11. September 2001 entflammten Konflikte und Kriege. Dabei werden Ursachen und Folgen des neuen Weltenbrandes durchaus unterschiedlich bewertet, wie das von Robert Kurz verfaßte Buch "Weltordnungskrieg: Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung" zeigt. Es handelt sich um eine im Tonfall mitunter furiose und vom inhaltlichen Spektrum her breit angelegte Streitschrift, die den Leser je nach politischem Standort mehr oder minder vor den Kopf stößt. Das ist beabsichtigt und durchaus produktiv, da es ein Publikum mit emanzipatorischem Anliegen zur Überprüfung und zur Präzisierung seiner eigenen Position herausfordert.

Wie nicht anders zu erwarten, durchzieht die spezifische Kapitalismuskritik der von Kurz mitbegründeten Zeitschrift "Krisis - Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft" das Buch wie ein roter Faden. Der Autor versucht, die Zusammenbruchstheorie der Krisis durch eine kritische Bestandsaufnahme der Weltpolitik und die prognostische Weiterung der laufenden Entwicklung kriegerischer Eskalation in ihrer Gültigkeit zu bestätigen. Dabei nimmt er dem Leser schon im Vorwort jede Hoffnung auf ein versöhnliches Ende, was angesichts der vorherrschenden Beschwichtigungspropaganda nur begrüßt werden kann:

Es ist nicht nur eine allgemeine Denkfaulheit, die es verhindert, dass eine den neuen Phänomenen entsprechende neue Begrifflichkeit entwickelt wird. Denn es handelt sich bei den in Frage stehenden Begriffen von Nationalökonomie, Nationalstaat, nationaler Innen- und Außenpolitik bzw. einer darauf beruhenden Interessen- und 'Einfluss'-Politik (Imperialismus) nicht um Ausdrücke einer bestimmten vorübergehenden Entwicklungsstufe, sondern ähnlich wie beim Begriff der Arbeit um Grundkategorien des modernen Gesellschaftssystems selbst, und zwar in allen seinen Variationen. Die neuen Phänomene sind Krisenphänomene neuen Typs, weil sie in keinen höheren Aggregatzustand der bürgerlichen, über die Warenproduktion vermittelten Vergesellschaftung mehr führen, sondern deren eigene kategoriale Krise bilden. Deshalb kann die Entwicklung auch nicht vom Standpunkt der bestehenden Weltordnung aus bestimmt werden, sondern nur unter dem Gesichtspunkt von deren Selbstzerstörung. Genauer gesagt: Es gibt gar keine positive, tragfähige 'Entwicklung' auf diesem gesellschaftlichen Boden mehr. Das bedeutet, dass in die Analyse zusammen mit dem Verfall der zugrunde liegenden gesellschaftlichen Beziehungen auch der Zerfall der Begriffe mit eingehen muss, in denen diese Ordnung sich darstellt. Und in diesem Sinne sind nicht nur die Begriffe des ökonomischen, sondern auch die Begriffe des politischen Weltsystems obsolet. (S. 13)

Kurz kündigt also einen Kehraus schon auf der begrifflichen Ebene an, womit er allerdings nicht alleine ist, sondern sich in bester Gesellschaft mit all jenen Globalisierungsapologeten befindet, die bereits das Ende des Nationalstaats, die Wandlung der Außenpolitik zur Weltinnenpolitik, einen segensspendenden demokratischen Imperialismus sowie die Ablösung der Handlungsautonomie nationaler Souveränität durch Instanzen supranationaler Regulation proklamiert haben. Im Unterschied zu diesen kann Kurz in dieser Entuferung nur die Totalität des Niedergangs, das heißt eines unaufhaltsam erscheinenden Zerfalls aller bürgerlichen Wertvorstellungen und Institutionen bis hin zu ihrer totalen Auflösung, erkennen. Sein analytisches Vorgehen beansprucht dabei, ausschließlich negativer Art zu sein, allerdings ausgehend vom positiven Bestand eines erreichten ökonomischen und zivilisatorischen Entwicklungstandes, zu dem zu fragen wäre, worin dessen erstrebenswerten Qualitäten bestehen.

Die Auflösung aller zivilisatorischen und gesellschaftlichen Substanz in den Zustand der "Anomie", ein zentraler Begriff des Autors, der zu allgemeiner Barbarei und chaotischer Destruktivität ausgewachsene Gesetzlosigkeit umschreibt, ist eine zentrale Achse aller Argumentation des Nürnberger Historikers und Philosophen. Sie bestimmt seine Sicht auf aktuelle Ereignisse so sehr, daß er in einzelnen Fällen wie der angeblich vom Islam ausgehenden Gefahr und dem sakrosankten Status Israels zu einer Einschätzung gelangt, die nur schwer nachzuvollziehen ist. In seiner Charakterisierung der USA, die beim Stand ihrer "monozentrischen Hegemonie" und militärischen Überlegenheit dennoch nicht in der Lage sein werden, mehr als "die Vormacht eines unheilbar an sich selbst erkrankten und vergifteten Weltsystems" zu sein, beweist Kurz wiederum erfrischendes Differenzierungsvermögen. Seine Feststellung, die USA könnten "als ein trotz ihres Supermachtstatus begrenzter Nationalstaat auch nicht unmittelbar als Weltstaat agieren, der in der Lage wäre, das transnational werdende Weltsystem der kapitalistischen Krisenökonomie zu regulieren", macht keine Abstriche von der maßgeblichen Bedeutung Washingtons für die Brutalisierung der Weltpolitik und zeigt doch systemische Grenzen auf, die einer Verabsolutierung der kausalen amerikaphoben Verortung allen Unheils im Wege stehen.

Der naheliegende Schluß, daß es ein übergreifendes Interesse ordnungspolitischer Art geben könnte, das eine Qualifikation der Herrschaft des Menschen über den Menschen zwecks langfristiger Sicherung des Erreichten anstrebt, wird von Kurz allerdings nicht gezogen. Sicherlich trifft zu, daß die positive Bestimmung des Menschen und seiner Produktionsweisen überall auf unüberwindlich erscheinende Widersprüche stößt, doch gerade das könnte Anlaß zur Stiftung eines "Nomos" - um in der Kurzschen Terminologie zu bleiben - sein, der die angesichts sich zuspitzender ökonomischer und ökologischer Widerspruchslagen unfunktional gewordenen Formen der Vergesellschaftung für eine im Verhältnis zum Kontrollverlust noch unmittelbarer zu vollziehende Verwertung optimiert.

So kann man die vom Autoren festgestellte und wiederum nur vor dem Hintergrund einer anthropologischen Teleologie Sinn machende Substanzlosigkeit bürgerlicher Existenz durchaus konstatieren, ohne in ein metaphysisches Verhältnis zu den den Menschen bedingenden Kräften zu treten:

Jetzt, an den Grenzen von bürgerlicher Aufklärung und warenförmiger Reproduktion, zeigt sich die reale Metaphysik der Moderne in ihrer abstoßendsten Weise. Nachdem das bürgerliche, aufgeklärte Subjekt alle seine Hüllen abgestreift hat, wird deutlich, daß sich unter diesen Hüllen NICHTS verbirgt: dass der Kern dieses Subjekts ein Vakuum ist; dass es sich um eine Form handelt, die 'an sich keinen Inhalt' hat. Was Enzensberger exotisieren möchte, ist sein eigenes gesellschaftliches Wesen als bürgerliches (und natürlich männliches) Aufklärungssubjekt. Wenn er meint, die Exotik des 'Unverständlichen' zu beschreiben, beschreibt er die Metaphysik der westlichen Moderne selbst: 'Was dem Bürgerkrieg der Gegenwart eine neue, unheimliche Qualität verleiht, ist die Tatsache, dass er ohne jeden Einsatz geführt wird, dass es buchstäblich um nichts geht'. Aber genau dieses Unheimliche ist nicht das Fremde, Äußerliche, sondern es kommt nur das innerste Selbst des Waren-, Geld- und Konkurrenzsubjekts, das Wesen des demokratischen Staatsbürgers zum Vorschein. Das Nichts, um das es geht, ist die vollkommene Leere des sich verwertenden 'automatischen Subjekts' (Marx) der Moderne. Denn die im Geld sich ausdrückende Form des Werts, der als objektive metaphysische Realabstraktion das moderne Dasein als 'säkularisierter' und verdinglichter Gott beherrscht und dessen Kehrseite die Metaphysik demokratischer Staatsbürgerlichkeit nur ist, hat 'an sich' keinerlei sinnlichen oder sozialen Inhalt; sie ist als negative Kraft in dieser Welt, aber nicht von dieser Welt. Das metaphysische Vakuum des Werts ist es, das hinter den scheinbar so rationalen Interessenkämpfen und dem scheinbaren Selbstbehauptungswillen der abstrakten Individuen steht. (S. 68f.)

Die im Rahmen einer erfreulich respektlosen Besprechung der Thesen Ulrichs Becks und Hans Magnus Ensenzbergers erfolgende Erklärung des Wertbegriffs der Krisis ist für das weitere Verständnis des Buches insofern unabdingbar, als daß das "Potential der Weltvernichtung" Kurz zufolge auf einem "Widerspruch zwischen metaphysischer Leere und 'Darstellungszwang' des Werts in der sinnlichen Welt" beruht, der der Haltlosigkeit der Verfallsprozesse gemäß in immer brutaleren Formen allseitiger Gewalttätigkeit zur Lösung drängt. Das von Kurz in Anspruch genommene Nichts ist jedoch angesichts des wechselvollen und phasenhaften Charakters menschlicher Existenz weder jenseitiger Art noch ein spezifisches Phänomen der Moderne, sondern repräsentiert das die Menschen seit jeher umtreibende Problem eigener Bedingtheit und Vergänglichkeit. Die Ontologisierung des Nichts hebt seine negierende Qualität auf und macht - im ganz wörtlichen Verständnis - Sinn bestenfalls im weltanschaulichen oder religiösen Kontext.

Zu aller Zeit und sicherlich weit vor dem Auftauchen des homo sapiens bestimmte der von elementarem Brand dymanisierte Stoffwechsel die Entwicklung der bioorganischen Form. Das sich in endlosem gegenseitigen Verschlingen und Ausscheiden prozessierende biologische Agens schafft Lebens- und Kulturräume, in denen es den Traum einer dem permanenten Wandel abgerungenen Beständigkeit hegen kann, mittels derer man den wirkenden Kräften der Physik nicht mehr unterworfen wäre. Die spezifisch humane Entwicklung einer den Brand als industrielle Produktivität einhegenden, alle sozialen Verhältnisse dieser Überlebensweise unterwerfenden gesellschaftlichen Organisation ist eine besonders folgenreiche Manifestation des vergeblichen Strebens, kreatürlicher Endlichkeit durch die Adaption ihrer niemals nur die Ressource, sondern immer auch deren Konsumenten verzehrenden Produktionsweise einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der Versuch, der überaus erschreckenden Immanenz des Todes Herr zu werden, ist ein kulturstiftender Vitalfaktor ersten Ranges. Er ruft Theorien und Konzepte auf den Plan, innerhalb derer sich hervorragend Sinn und Zweck menschlichen Strebens postulieren lassen, ohne daß man damit dem Zwang biologischer wie sozialökonomischer Fremdbestimmung nur ein Jota an Autonomie abgewonnen hätte.

Auch wenn in einer spezifischen Phase der Entwicklung menschlicher Produktionsweisen die von Kurz in Anspruch genommene Totalität "fetischistischer" Fremdbestimmung besonders ausgeprägt sein mag, heißt das nicht, daß die Schwierigkeiten der Menschen in früheren Entwicklungsstufen geringer waren oder leichter zu bewältigen gewesen wären. Die Verlagerung existentieller Probleme in metaphysische Regionen und die Abstraktion unmittelbarer Raub- und Herrschaftsverhältnisse jedenfalls stehen seit jeher für den vergeblichen Versuch, die Ohnmacht totaler Fremdverfügung zu fliehen, anstatt sie auf ausschließende Weise zu konfrontieren.

Zäumt man das Problem kapitalistischer Akkumulation, das diese Ohnmacht in besonderer Weise forciert, von der Seite des dabei anfallenden unumkehrbaren Verbrauchs an individueller Lebenszeit und allgemeinen Lebensressourcen auf, dann kann man gerade heute davon sprechen, daß Mangel das eigentliche Produkt kapitalistischer Verwertungspraxis und Leid die Währung, in der er gehandelt wird, sind. Bei der konsequenten Negation positiv zu erwirtschaftender Werte bedarf es keiner jenseitigen Instanzen oder übergeordneten Adressen, um das Überleben zulasten des anderen als bestimmende Praxis kapitalistischer Vergesellschaftung zu erkennen. In diesem Sinne wären Wert und Unwert zwei einander ergänzende Attribute des gleichen Gewaltverhältnisses, zu dessen dynamischer Entwicklungslogik es keines außerhalb dieses Verhältnisses gelagerten Antriebes bedarf - das Interesse an der Ausübung von Herrschaft über Menschen ist der Mangelproduktion immanent.

Der Vorteil eines solchen ganz und gar auf die manifeste Verwertungspraxis bezogenen Ansatzes ihrer Infragestellung liegt in der Identität von Problem und Kritik. Er bedarf keiner anderen Subjektivität außer derjenigen, den herrschenden Kräften negativ gegenüberzutreten - alles andere unterläge der Kontamination und Korruption durch die Teilhaberschaft an jenem Raub, der in seiner Totalität nicht konfrontiert werden kann, wenn man seine Chancen in ihm sucht. Er bedarf keines wie auch immer gearteten Innen- Außen-Verhältnisses, da sich die Fessel physischer Bedingtheit nicht durch das Postulat räumlicher Entgrenzung lösen läßt, wenn Raum und Grenze doch gerade Synonyma dieser Bedingtheit sind. Er fragt nicht nach dem Sinn des Überlebens zulasten des anderen, um Identität und Subjektivität inmitten dieses Raubverhältnisses zu schaffen und damit einen illusorischen Fluchtraum zu erwirtschaften, sondern greift das Problem menschlicher Gewalt ausschließlich als Frage nach der Überwindung fremder Bedingtheit auf, um nicht durch das bloße Konstatieren eines gesellschaftlichen Verhältnisses den Zirkel der Reflexion eigener Unzulänglichkeit endlos fortzuschreiben.

Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem theoretischen Anspruch der Krisis, als deren prominentester Vertreter Robert Kurz hervortritt, sprengt den Rahmen einer Bücherrezension. Ihre bemühte Infragestellung sollte jedoch nicht unterbleiben, wenn man die von Kurz inmitten der beeindruckenden Fülle kritisch rezipierter Theoriebildung exemplifizierte Position auch nur verstehen will. Damit wird auch eine Bewertung der weltpolitischen Lage leichter verständlich, die auf der "subjektlosen Ebene blinder Systemprozesse", um nur eine der vielen Metaphern anzuführen, mit denen Kurz das "automatische Subjekt" zum ersten Beweger einer absurd gewordenen Weltmaschine erklärt, gewalttätige Ungeheuer gebiert, denen jede Sinnhaftigkeit ihres Tuns abgeht.

Gemeint sind damit in erster Linie all diejenigen Akteure des Weltordnungskrieges, die sich, wie etwa palästinensische Selbstmordattentäter oder die Flugzeugentführer des 11. September 2001, selbst in eine Waffe verwandeln, um sich und möglichst viele andere Menschen in einem blutigen Fanal umzubringen. Auch wenn Kurz eingesteht, daß "der demokratische Gesamtimperialismus weitaus mehr Menschenleben auf dem Gewissen als sämtliche Warlords, Gotteskrieger, Neonazis, Selbstmordattentäter und Amokläufer zusammengenommen" habe, neigt er dazu, dessen angebliche Gegner zu überschätzen. Mit der Behauptung, Al Kaida entfalte sich wie kapitalistische Konzerne transnational und übertreffe mit seiner finanziellen und militärischen Schlagkraft "kleinere und ärmere Staaten", macht er sich die Lesart der sogenannten Terrorismusexperten zu eigen, obwohl es für die unterstellte Stärke der Organisation keinen anderen Beleg gibt als die Angaben westlicher Geheimdienste. Zwar erwähnt Kurz den phantomhaften Charakter Al Kaidas und gibt hinsichtlich der Rolle Osama bin Ladens - trotz des zentralen Gehalts der Aussage in Klammern gesetzt - zu bedenken: "(weder die genaue Rolle dieser Figur ist geklärt, noch eine von diesem Zentrum ausgehende Befehlskette des 11. September-Anschlags ist bewiesen)", im Endeffekt schließt er sich jedoch der These der US-Regierung an, die Anschläge des 11. September 2001 hätten einen ausschließlich islamischen Hintergrund.

Es wäre schon von Vorteil für eine sachgerechte Darstellung des globalen Kriegsszenarios gewesen, wenn man den gut begründeten und von den Apologeten westlicher Hochkultur entsprechend vehement als Verschwörungstheorien verworfenen Zweifeln am offiziellen Tathergang Raum gegeben hätte. Anstelle dessen schließt sich Kurz implizit der Lesart der Strategen des Terrorkriegs von einer asymmetrischen Bedrohung an, die geradezu zwangsläufig Schlußfolgerungen auf den Plan ruft, die man auch in Brüssel und Washington ziehen könnte. Für das von ihm konstatierte Scheitern des Kampfes gegen Al Kaida nimmt er Gründe in Anspruch, die ganz auf Linie für die "wehrhafte Demokratie" produzierter Handlungsvorwände liegen:

Es sind nicht nur die vordergründigen Faktoren dieser Art, die vermuten lassen, dass der 'Krieg gegen den Terrorismus' ins Leere geht. Vielmehr ist es die Natur dieser Feindschaft selbst, die das Unternehmen zur aussichtslosen Sache zu machen droht; nämlich eben die Inkompatibilität der Gegner, die nicht auf derselben Ebene kämpfen. Ein Panzernashorn mag noch so furchterregend sein, es kann nicht gegen seine eigenen Darmviren kämpfen und 'gewinnen'. Das Problem ist und bleibt, dass sich der Militärapparat wie die globale Notstandspolitik der USA und des ganzen 'ideellen Gesamtimperialismus' auf das territoriale System der Souveränität bezieht, das sich unter den Augen und mit unfreiwilliger Mithilfe der demokratisch- kapitalistischen Apparate aufzulösen beginnt. (S. 414)

Geht man einmal davon aus, daß es sich bei den Anschlägen des 11. September 2001 um ein bis dato nicht aufgeklärtes Ereignis handelt, das demgemäß zu keinen Schlußfolgerungen berechtigt, aufgrund derer Kriege vom Zaun gebrochen werden dürfen, dann fällt es angesichts der vielen Menschenopfer, die die alltägliche materielle und soziale Not wie die Auswirkungen industrieller Produktionsweisen fordern, schon ein wenig schwer, die durch das Label Al Kaida markierte Bedrohung über Gebühr eines vor allem kriminellen und dabei meist auf Länder der islamischen Welt beschränkten Phänomens zu beschwören. Es ließe sich geradezu auf entgegengesetzte Weise ein Reim auf die inflatorische Verwendung des Terrorismusbegriffs in dieser spezifischen Konnotation machen - es gibt viel zu wenig Handhabe dafür, den von der US-Regierung entfesselten "Vierten Weltkrieg" allein mit dieser Bedrohung zu rechtfertigen, so daß man durchaus an neuen Feindbildern interessiert ist. Ganz deutlich wird dies, wenn US- Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz die bei der Okkupation des Irak entstandenen hundsnormalen Probleme eines jeden imperialistischen Aggressors unter den bewährten Obertitel des Terrorismus subsumiert: "Die Schlacht, den Frieden im Irak zu sichern, ist nun die zentrale Schlacht im globalen Krieg gegen den Terror."

Zwar steht die Krise des Kapitals bei Kurz stets als eigentlicher Beweggrund des Weltordnungskriegs im Hintergrund, doch die Unterstellung, dem "ideellen Gesamtimperialismus" sei von anderer Seite her ein Krieg aufgenötigt worden, für den er sich nicht voll und ganz, nämlich durch den primären Übergriff der kapitalistischen Globalisierung und den sekundären Übergriff seiner militärischen Regulation, entschieden hätte, drängt immer wieder zwischen den Zeilen an die Oberfläche:

Das Dilemma des weltimperialen Ausnahmezustands und seiner Akteure verschärft sich schon von Monat zu Monat: Einerseits hat der weltdemokratische Sicherheits- und Ausgrenzungsimperialismus mit der kulturalistischen Feinddefinition des 'Islam' und mit dem postulierten 'Krieg gegen den Terrorismus' selber ein postsouveränes, postterritoriales und postpolitisches Paradigma angenommen; nicht aus freien Stücken, sondern unter dem Druck der Weltkrise und ihrer Ereignisse. Andererseits sind aber sein geistiger Horizont, seine institutionelle Ausrichtung und vor allem auch seine Machtmittel vollkommen auf die Welt von Souveränität, Territorialität und Politik beschränkt. (S. 414)

Indem Kurz der von ihm zuvor kritisierten administrativen Sachzwanglogik im Falle des Weltordnungskrieges Gültigkeit zuweist, gibt er dem transatlantischen Aktionsbündnis, das sich keineswegs in innerimperialistische Kämpfe verstrickt hat, sondern dessen innere Differenzen vor allem dem "Unbehagen derer, die selber nicht den Finger am Abzug haben", geschuldet seien, viel zu viel Kredit an lauterem Willen zu Zivilität und Humanität. Zudem ist man in den Zentralen imperialistischer Ordnungspolitik nach Kräften bemüht, den von Kurz postulierten Widerspruch zwischen der "politisch-militärischen Deterritorialisierung" und der institutionellen Fixierung auf nationalstaatliche Formen und Handlungsweisen durch die Schaffung supranationaler Agenturen und Gewalten zu überwinden. Die von Kurz mit einer umfassenden Analyse zum "Ende der Souveränität" zu Grabe getragene staats- und völkerrechtliche Struktur der letzten 350 Jahre konstituiert sich in ihrem ureigenen Sinne eines dezisionistischen Anspruchs auf universale Gewaltanwendung auf höherer Ebene neu, und das nicht nur im Sinne eines reaktiven Krisenmanagements, sondern, wie viele Konzepte globalistischer Sozialtechnokraten beweisen, in Form eines antizipatorischen Vorgriffs auf künftige Entwicklungen.

Es gibt mithin keinen Grund, die allseits propagierte Handlungslogik des Weltordnungskrieges ungeschmälert zu übernehmen und dem Terrorismus die Kontur einer übermächtiger Bedrohung zuzugestehen, deren aufgeblasener Charakter durchaus dem von Kurz immer wieder angeführten Dilemma kapitalistischer Geldvermehrung aus sich selbst heraus ähnelt. Faßt man nach, stößt man nicht auf materielle Substanz, sondern ein kompensatorisches, die Ratio der Verwertung aufrechterhaltendes Fantasma. Mit dessen projektivem Charakter ist der Autor auch im Falle Al Kaidas durchaus vertraut, schreibt er doch zu deren phänomenologischer Gestalt:

"Der demokratische Gesamtimperialismus tut so, als handle es sich um einen äußeren Feind auf seiner eigenen Ebene der Macht, der 'geschlagen' werden könne mit den Mitteln dieser Macht. Gerade darin irren die demokratischen Strategen sich grundlegend; und sie sind zu diesem Irrtum verurteilt, weil der Wahrheit ins Gesicht zu sehen hieße, die Verkommenheit der eigenen Kriterien anerkennen zu müssen. Die Attacke, die das Herz der US-Militärmaschinerie im Pentagon und das Herz des US-Finanzkapitals in den Twin Towers des World Trade Centers traf, war so wenig eine dem kapitalistischen Weltsystem und seiner Subjektform äußerliche Tat wie die Morde und Brandstiftungen des rassistischen Mobs und die Amokläufe in den demokratischen Zentren selbst oder die Selbstmordattentate in den Krisenregionen der Peripherie." (S. 272)

Der innige Verbindung von Terrorist und Terrorkrieger ergibt sich für Kurz jedoch nicht aus den geostrategischen Absichten westlicher Staaten und den dafür mobilisierten Konfliktpotentialen, die im Falle Osama bin Ladens auch noch durch die Rekrutierung islamischer Kräfte im Kampf gegen die sowjetische Präsenz in Afghanistan gespeist wurden, sondern aus der Axiomatik einer "metaphysischen Leere der Wertform", dessen alles bedingende Mechanik hier noch einmal mit einem Zitat aus dem letzten Kapitel des Buches dargestellt werden soll:

(...) die auf sich selbst bezogene Form ohne eigenen Inhalt, die Selbstzweck-Form der Verwertungsbewegung von Geldkapital, das sich in die gleich-gültigen Dinge der Welt nur 'entäußert', um - jener Hegelschen Formulierung gemäß - zu sich selbst zurückzukehren in einer paradoxen erweiterten Quantität von jenem 'Nichts', von rein numerischem abstraktem Reichtum. Es ist diese Selbstbezüglichkeit jener 'Geltung ohne Bedeutung', jenes 'leeren Prinzips', die durch die moderne Geistesgeschichte nur geistert, weil sie das paradoxe Realitätsprinzip der warenproduzierenden Moderne ist. (...) Wenn jedoch der Verwertungsprozeß an Grenzen stößt, wenn die realmetaphysische 'Entäußerungs'-Bewegung nicht mehr gelingt und in der realen Welt kein regulärer Aggregatzustand des Kapitals mehr dargestellt werden kann, erscheinen die realen physischen und sozialen Gegenstände als lästige, ja feindliche Umwelt für diese Realmetaphysik. Nicht der leere Selbstzweck des Kapitals, sondern die Welt soll verschwinden, nämlich sich endgültig in das 'leere Prinzip' auflösen. Mit anderen Worten: Dieselbe Logik, die sich auf der Ebene von individuellen Amokläufern im Mikro-Bereich äußert, lauert auch auf der Makro-Ebene des Gesamtverhältnisses. Kapitalismus ist nicht nur ein schleichendes Weltvernichtungsprogramm durch seine Nebenwirkungen, sondern läuft auf eine finale Vernichtung und Selbstvernichtung durch seine eigene Institutionen zu. (S. 427f.)

Bei all der unterstellten Leere kann die Frage nach dem Wesentlichen und Substantiellen nicht ausbleiben. Hier sucht man jedoch bei Kurz vergebens nach einer Antwort, die aus der Totalität des von ihm postulierten Determinismus kapitalistischer Destruktivität herausführte. Die von ihm am Ende des Buches aufgeworfene Perspektive einer "emanzipatorischen Antimoderne" auf genossenschaftlicher Basis scheint jedenfalls nicht zum Drachentöter zu taugen, ohne einen solchen die zuvor ausgeführte furchteinflössende Zerstörungsgewalt der kapitalistischen Weltmaschine kaum zu bezwingen sein dürfte. Dabei ist gegen die Anprangerung der destruktiven Qualitäten dieses politischen und ökonomischen Systems nichts einzuwenden, sehr wohl jedoch gegen einen Automatismus, der die Verantwortung des Menschen für sein Tun generell in Frage stellt und sich im Falle staatlicher Akteure geradezu als Entschuldigung für Greueltaten aller Art anbietet. Wenig hilfreich für die Bemächtigung der durch die herrschende Ordnung okkupierten Sprache ist zudem die extensive Nutzung von Anführungszeichen bei analytischen wie ideologischen Kernbegriffen, entkommt man der Totalität der Sprache doch nicht durch den Versuch bloßer Distanzierung von der ihr immanenten Doppelbödigkeit und Widersprüchlichkeit.

Mit dem psychologistischen Konzept des "Todestriebes", das die modernen Vernichtungsorgien dem nach Sinn und Zweck kriegerischer Gewalt, also der Bilanzierung von Gewinn und Verlust im Rahmen der kriegswirtschaftlichen Gesamtrechnung, fragenden Publikum plausibel machen soll, rückt Kurz alle nachvollziehbaren Motivationslagen für individuelle wie staatliche Gewaltanwendung erst recht außerhalb der Reichweite unmittelbaren Verständnisses. All das arbeitet einer Passivität zu, die kaum dazu geeignet ist, individuelle Betroffenheit zu etwas anderem zu nutzen als zur Adressierung welcher Instanzen und Autoritäten auch immer. Der angeblich emanzipatorische Effekt eines solchen Denkens läßt sich jedenfalls nicht in jenen Formen antikapitalistischen Widerstands darstellen, die man gemeinhin als antiimperialistisch bezeichnet und die von Kurz denn auch rundheraus als in den unfunktional gewordenen Kategorien der Moderne verhaftet verworfen werden.

Seine Abneigung gegen die antiimperialistische Linke zeigt sich auch in der pauschalen Abqualifizierung des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung, die sich nicht auf islamistische Selbstmordattentäter beschränkt, sondern den Anspruch der Palästinenser auf eine auch militante agierende Befreiungsbewegung grundsätzlich in Mißkredit zieht. Das ist gerade deshalb bedauerlich, weil der Autor in dem überaus lesenswerten Kapitel "Der globale Ausnahmezustand" unter Bezug auf den italienischen Rechtsphilosophen Giorgio Agamben auf die Institution des Lagers als einem grundlegenden Widerspruch zwischen demokratischem Anspruch und seiner Aufhebung durch das Prärogativ des Ausnahmezustands zu sprechen kommt. Schaut man sich die israelische Besatzungs- und Annexionspolitik vor diesem Hintergrund genauer an, dann wird man feststellen, daß es derzeit kaum einen Flecken Erde gibt, in dem das Lager in seiner ideellen wie physischen Funktion eines Herrschaftsmittels manifester wird als in den Palästinensergebieten.

Einem 447 Seiten starken Buch von anspruchsvoller theoretischer Komplexität, das mit einer breiten Palette von Themen aufwartet, die im weitesten Sinne zum Verständnis der kriegerischen globalen Entwicklung beitragen können, kann man mit einer Rezension, die nur einen Bruchteil dieses Stoffes berührt, kaum ganz gerecht werden. Die hier angesprochenen Probleme der Darstellung und Analyse des Weltordnungskrieges nehmen dem Rest des Buches nichts von seiner Relevanz für linke Kritik, gleichzeitig sind es jedoch der Ansicht des Rezensenten nach zentrale Schwachpunkte einer Streitschrift, die den Anspruch auf "eine Renaissance radikaler Gesellschaftskritik" erhebt. Es sei dem Leser daher empfohlen, sich selbst ein Bild zu machen und mit den Thesen des Autoren einen streitbaren Umgang zu pflegen.

Von Interesse ist die Lektüre des Buches "Weltordnungskrieg" allemal, sticht es doch aus der Vielzahl von Versuchen, die Eskalation staatlicher Gewalt auf den Begriff zu bringen, schon durch die dazu erforderliche Radikalität im Umgang mit den ehernen Wahrheiten der herrschenden Ordnung hervor. Zudem hat es der Autor nicht zuletzt deshalb, weil er sich eine gewisse intellektuelle Arroganz zu eigen gemacht hat, verstanden, die trockene theoretische Materie durch emphatische Metaphern und bildmächtige Allegorien lesefreundlich aufzubereiten.


Robert Kurz
Weltordnungskrieg
Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus
im Zeitalter der Globalisierung
Horlemann-Verlag, Bad Honnef 2003
447 Seiten
ISBN 3-89502-149-0