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REZENSION/153: Robert Brenner - Boom & Bubble (Kapitalismuskritik) (SB)


Robert Brenner


Boom & Bubble

Die USA in der Weltwirtschaft



Gleich zwei Hiobsbotschaften erreichen uns an diesem Tag aus Asien. In Japan ist der Nikkei-Index auf den tiefsten Stand seit zwanzig Jahren abgesackt, während in Peking die Gespräche zwischen den Vertretern Pjöngjangs und Washingtons mit einem Eklat zu Ende gegangen sind, der für die nächste Tagen und Wochen Schlimmes Ahnen läßt - Nordkorea soll sich als inoffizielle Atommacht geoutet haben. Und während sich SARS allmählich zur ersten weltweiten Epidemie des 21. Jahrhunderts entwickelt, steckt die Weltwirtschaft in einer tiefen Krise, vor deren Hintergrund die Spannungen zwischen der Supermacht USA und ihren strategischen Partnern und Konkurrenten ständig zunehmen. Dem, der die tieferliegenden Gründe der aktuellen Weltwirtschaftskrise - denn um nichts weniger handelt es sich -, verstehen möchte, kann man das Buch "Boom & Bubble" des amerikanischen Historikers und Wirtschaftsgelehrten Robert Brenner wärmstens empfehlen.

Brenner ist Professor für Geschichte und Direktor des Zentrums für vergleichende Geschichtsforschung und Gesellschaftstheorie an der Universität von Kalifornien in Los Angeles. In den letzten drei Jahrzehnten hat er mit einer Reihe von vielbeachteten Studien über verschiedene Aspekte der Entstehungsgeschichte des Kapitalismus in Europa entscheidend zur Weiterentwicklung der marxistischen, besser gesagt neomarxistischen Wirtschaftstheorie beigetragen. In seinem neusten Werk "Boom & Bubble" befaßt sich Brenner mit der Entstehung der Krise, mit der sich die Weltwirtschaft derzeit konfrontiert sieht. Im Nachwort des vorliegenden Buchs faßt dessen Übersetzer Frieder Otto Wolf, Leiter des Berliner Instituts für Europäische Kommunikation, die Argumentationslinie Brenners wie folgt zusammen:

Brenners zentrale These ist es, dass ein anhaltendes, auch durch konjunkturelle Abschwünge nicht bereinigtes Problem von Überkapazitäten und Überproduktion im verarbeitenden Gewerbe den bestimmenden Faktor für die in den 1970er beginnenden Phase der 'langen Stagnation' der US-Wirtschaft und der Weltwirtschaft bildet, in deren Zentrum sie steht. Und dass der US-Aufschwung der 1990er Jahre nicht auf einer umfassenden Bereinigung dieses Problems beruhte und daher - entgegen der optimistischen Prognosen der Propheten der New Economy - zu keinem tragfähigen Wachstum führen konnte. Dieses musste vielmehr schon bald durch die Spekulationsblase an den Börsen stimuliert werden - mit folgenreichen Auswirkungen auf die reale Wirtschaft, vor allem in Gestalt beträchtlicher zusätzlicher Investitionen, durch welche sich schlussendlich dieses Problem der Überakkumulation nur noch weiter verschärft hat.

Um seine These zu beweisen, wonach das grundlegende Problem in einer sinkenden Profitrate im verarbeitenden Gewerbe trotz aller erzielten Produktivitätssteigerungen anzusiedeln ist, legt Brenner eine dezidierte, auf jede Menge ökonomischer Daten gestützte Analyse der Weltwirtschaft der letzten dreißig Jahre vor. Gemäß des Untertitels des Buchs - Die USA in der Weltwirtschaft - zeigt Brenner, wie sehr die Ökonomien Nordamerikas, Westeuropas und Japan/ASEANs ineinander verflochten sind, beziehungsweise voneinander abhängen. Ein Beispiel der gegenseitigen Abhängigkeit der drei großen Wirtschaftsräume, das Brenner eingehend behandelt, ist das Plaza-Abkommen von 1985, mit dem Washington, Bonn und Tokio gemeinsam ein Ende des damaligen Höhenflugs des Dollars gegenüber Mark und Yen, wodurch amerikanische Exporte im Ausland konkurrenzunfähig wurden und der verarbeitenden Industrie in den USA schweren Schaden zufügt wurde, beschlossen haben.

Rückblickend präsentiert Brenner ein düsteres Szenario, welches zurecht große Zweifel am herkömmlichen kapitalistischen Wirtschaftsmodell aufkommen läßt: Ölkrise 1973, Schuldenkrise der Dritten Welt Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahren, US- Sparkassen-Pleitenskandal in den achtziger Jahren, weltweiter Börsencrash 1987, Spekulationblase der achtziger, gefolgt von Rezession der neunziger Jahre in Japan, der Run auf das britische Pfund 1992, die Mexiko-Krise 1994/1995, die Asienkrise 1997/1998, die Bankrotterklärung Rußlands und die Rettungsaktion für den US- Hedgefond Long Term Capital Management ebenfalls 1998, das Platzen der gigantischen Spekulationsblase vor allem an der New Yorker Börse im Frühjahr 2001, die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens Ende desselben Jahres. Trotz der Durchsetzung vielfacher asozialer Maßnahmen in den Industrieländern - Autoritätsprogramme, Sozialabbau, Lockerung der Beschäftigungsverhältnisse, verschärfte Arbeitsbedingungen, realer Stillstand beziehungsweise Rückgang der Löhne bei gleichzeitigem dramatischen Anstieg der Bezüge für die Managerklasse, drastische und kontinuierliche Senkung der Konzernsteuern u. v. m. - hat sich keine nachhaltige Lösung des grundlegenden Problems der nachlassenden Profitibilät ergeben.

Vor dem Hintergrund gravierender wirtschaftlicher Probleme in den USA - steigende Arbeitslosigkeit, Firmenkonkurse, eine beispiellose Überschuldung sowohl auf Seiten der privaten Haushalte und Unternehmen wie auch des Staates und ein in seiner Größe ebenfalls noch niemals dagewesenes Handelsdefizit - wundert es nicht, daß die US-Regierung unter George W. Bush das Heil im Militär-Keynesianismus à la Ronald Reagan sucht. Beherrschten letztes Jahr die Finanztricksereien von US-Pleitenunternehmen wie Enron, WorldCom und Arthur Andersen die Wirtschaftsnachrichten, so sind es jetzt die Giganten des militärisch-industriellen Komplexes wie Boeing, Lockheed- Martin, Raytheon, Dyncorp, Bechtel und Halliburton, die nach der jüngsten, gelungenen, rund dreiwöchigen Waffenschau am Persischen Golf die Potenz des amerikanischen Big Business verkörpern sollen. Die Frage ist nur, ob sich der den waffenklirrenden Imperialismus legimitierende "Antiterrorkrieg" Washingtons gegen "die Bösen" dieser Welt auf relativ leicht durchführbare Feldzüge wie gegen die afghanischen Taliban und Saddam Husseins Irak beschränken läßt. Das aktuelle Säbelrasseln beiderseits des 38. Breitengrads verdeutlicht gerade die diesem Kurs innewohnende Gefahr, daß sich die USA leicht übernehmen und uns alle in einen Dritten Weltkrieg stürzen könnten. Eine andere Frage lautet, inwieweit die Westeuropäer und Japaner künftig bereit sein werden, die "voodoo economics" von Bush jun. mitzutragen beziehungsweise sich den damit einhergehenden, überdeutlich gewordenen hegemonialen Ansprüchen Washingtons unterzuordnen.

Zu Anfang des 21. Jahrhunderts ist die kapitalistische Weltwirtschaft jedenfalls ganz schön aus dem Lot geraten. Es ist der Verdienst Robert Brenners, mit "Boom & Bubble" das ganze Ausmaß des Problems, welches den materiellen Hintergrund der derzeitigen Spannungen im Konzert der Nationen wie auch der anvisierten "Sozialreformen" der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders darstellt, für jeden interessierten Leser veranschaulicht zu haben. Der deutschen Ausgabe des Brennerschen Werkes kommen zudem die zahlreichen und höchst hilfreichen Anmerkungen und Erklärungen über die verschiedenen Begriffe aus der amerikanischen Finanz- und Geschäftswelt zugute. Für seine Mühe und seine Akribie in diesem Zusammenhang gebührt dem Übersetzer Frieder Otto Wolf hohe Anerkennung.

25. April 2003

Robert Brenner Boom & Bubble - Die USA in der Weltwirtschaft Durchgesehene deutsche Ausgabe mit einer neuen Einführung des Verfassers. Aus dem amerikanischen Englisch übertragen und mit einem Nachwort versehen von Frieder Otto Wolf. VSA-Verlag, Hamburg, 2003 345 Seiten ISBN 3-87975-886-7.


Boom & Bubble
Die USA in der Weltwirtschaft
Robert Brenner
VSA Verlag - Hamburg