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REZENSION/147: Sponeck, Zumach - Irak, Chronik eines gewollten Krieges (SB)


Hans von Sponeck - Andreas Zumach


Irak - Chronik eines gewollten Krieges

Wie die Weltöffentlichkeit manipuliert und das Völkerrecht gebrochen wird



Als der deutsche UN-Diplomat Hans von Sponeck im November 1998 die Nachfolge des Iren Denis Halliday im Amt des Koordinators für die humanitären UNO-Programme im Irak antrat, war er noch von der Zuversicht des erfolgreichen UN-Managers getrieben, man könne die desolate Lage der irakischen Bevölkerung zum Besseren verändern. Sein Vorgänger, der als UN-Funktionär im Rang eines Beigeordneten Generalsekretärs wie Sponeck selbst auf eine langjährige Karriere in der Weltorganisation zurückblickte, hatte sein Amt als Zeichen des Protestes gegen die Folgen der vom UN-Sicherheitsrat im August 1990 kurz nach der Besetzung Kuweits durch irakische Truppen verhängten Wirtschaftssanktionen aufgegeben. Er war, wie Sponeck es in dem vorliegenden Buch "Irak - Chronik eines gewollten Krieges" ausdrückt, "von dem entsetzlichen Leid der irakischen Bevölkerung wie auch von der ungerechten Politisierung des Programms 'Öl für Nahrungsmittel' überwältigt."

Von Sponeck erging es nicht anders, auch er legte sein Amt im Februar 2000 unter Protest gegen die Sanktionspolitik und die daraus resultierende humanitäre Katastrophe im Irak nieder, und schon im März 2000 folgte ihm die Vertreterin des Welternährungsprogramms in Bagdad, Jutta Burghardt. Woran von Sponeck trotz seiner ausgewiesenen Kompetenz als Manager großer Hilfsprojekte scheiterte, ist Thema des Gesprächs, das er mit Andreas Zumach, bei der taz beschäftigter Journalist für außenpolitische Themen, im Januar führte und das den Hauptteil eines Buches bildet, das zu lesen man sich angesichts des drohenden Krieges gegen den Irak beeilen sollte.

Auch wenn der Anlaß für von Sponecks außergewöhnlichen Schritt, die sichere Position eines hochrangigen Funktionärs einer internationalen Institution gegen die Tätigkeit eines politischen Aktivisten einzutauschen, dem das humanitäre Anliegen nicht Profession, sondern Berufung ist, in der zerstörerischen Wirkung des UN-Wirtschaftsembargos besteht, so widmet sich seine aufklärerische Tätigkeit doch vor allem den machtpolitischen Manipulationen, die für die in der Geschichte der Vereinten Nationen beispiellose Mißhandlung eines souveränen Staates durch die sogenannte internationale Gemeinschaft verantwortlich sind. Der Untertitel des Buches - "Wie die Weltöffentlichkeit manipuliert und das Völkerrecht gebrochen wird" - ist nicht etwa als reißerische Übertreibung zu verstehen, sondern deutet lediglich an, wie systematisch dieser Krieg vorbereitet wurde und wie sehr er tatsächlich gewollt wird.

Da sich auch Andreas Zumach ausgiebig mit der der Sanktions- und Erzwingungspraxis des UN-Sicherheitsrates befaßt hat, lassen seine Fragen so gut wie nichts aus, was auch am Irakkonflikt überdurchschnittlich interessierte Leser schon immer gerne gewußt hätten. Mit Hans von Sponeck sitzt ihm ein Insider gegenüber, der auf stets nüchterne und sachliche, gleichzeitig aber äußerst engagierte Weise darüber Auskunft erteilt, wie der UN- Sicherheitsrat und dabei namentlich die USA und Britannien den Irak in ein ohnmächtiges Opfer diplomatischer Strangulierung, militärischer Drangsalierung, kultureller Zerstörung und ökonomischer Aushungerung verwandelten.

Man muß nicht alle politischen Analysen von Sponecks wie etwa die Ansicht, daß es bei dem anstehenden nächsten Irakkrieg vorrangig um die Energieressourcen der Region ginge oder daß US- Außenminister Powell tatsächlich etwas anderes als der gute Cop im Bedrohungszzenario der amerikanischen Globaloffensive sei, teilen, um das Buch mit großem Gewinn zu lesen. Die Belege, die von Sponeck für den willkürlichen Charakter des schleichenden Völkermords erbringt, den die USA und Britannien dank der Unterstützung oder zumindest des Stillhaltens anderer Mitglieder des UN-Sicherheitsrates am irakischen Volk begehen, sind von schlagender Art und würden, wären sie dem Gros der westlichen Bevölkerung bekannt, den verbrecherischen Charakter des geplanten Angriffskrieges vollends enthüllen.

Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stehen das politische Zustandekommen und die administrative Umsetzung der diversen Resolutionen, die der UN-Sicherheitsrat seit dem Überfall des Iraks auf Kuwait im August 1990 verhängt hat. Von Sponeck stellt den Strafcharakter der UN-Sanktionen durch detaillierte Angaben über die mörderischen Folgen des seit zwölf Jahren beibehaltenen Wirtschaftsembargos dar, er erklärt, warum die langfristige Zerstörung menschlichen Lebens von den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates wissentlich in Kauf genommen wird, er dokumentiert die Täuschungsmanöver und Konterstrategien, mit denen die Bemühungen der UN-Funktionäre im Irak um eine Verbesserung der Lage der Bevölkerung systematisch hintertrieben wurden, er widerlegt die Propagandalügen der US-Administration und -Medien über das tatsächliche Ausmaß der Not im Irak und analysiert die intriganten Versuche, die Verantwortung dafür von Washington nach Bagdad zu verlagern.

Der Leser wird auf eine Rundreise durch das Schreckenskabinett internationaler Machtpolitik mitgenommen, die gerade dank der übersichtlichen Gesprächsführung Zumachs und der Sachlichkeit von Sponecks in ihrer ganzen Menschenverachtung transparent wird. Die dabei erlangten Erkenntnisse stehen in einem so krassen Widerspruch zur alltäglichen Berichterstattung der Mehrheitsmedien über den Irak, daß der erstaunte Leser durchaus den Verdacht hegen könnte, es handle sich dabei nicht nur um einen Sonderfall in einer ansonsten um Korrektheit und Redlichkeit bemühten Medienlandschaft, sondern um die systemische Eigenschaft eines Herrschaftsmittels.

Wenn von Sponeck angesichts des brutalen Drucks, den die USA seit 1990 bei Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats zum Irak auf die anderen 14 Mitgliedstaaten ausüben, lakonisch feststellt: "Die USA lassen einen demokratischen Prozeß im höchsten Entscheidungsgremium der UNO nicht zu", dann vergilbt ein ganzer Blätterwald von Irak-Artikeln über die in New York ausgehandelten Beschlüsse zu Makulatur. Die strukturellen Probleme, bürokratischen Zwänge und administrativen Ränke, mit denen es ein ernsthaft um die Sache bemühter UN-Beamter zu tun bekommt, lassen Zweifel am egalitären Anspruch einer Weltorganisation aufkommen, in deren Namen nicht erst seit Ende des Golfkriegs von 1991, sondern aufgrund der alliierten Angriffe auf Einrichtungen der irakischen Zivilbevölkerung spätestens seit Beginn jenes Kriegs Grausamkeiten begangen werden, die nun durch einen völkerrechtswidrigen Eroberungskrieg zu einem neuen Höhepunkt des Blutvergießens kulminieren sollen.

Schließlich würde es den USA nicht gelingen, die Vereinten Nationen in ein Werkzeug ihrer hegemonialen Absichten zu verwandeln, wenn sie dabei nicht die Unterstützung anderer einflußreicher Mitgliedstaaten erhielten. Sollte die US-Regierung nun sogar das Plazet der erforderlichen Mehrheit im UN- Sicherheitsrat für eine von ihr eingebrachte Kriegsresolution erhalten, könnte der Schaden für die Vereinten Nationen nicht größer sein. Gerade das Argument, sich nicht durch die Brüskierung Washingtons in die Bedeutungslosigkeit manövrieren zu lassen, ist Ausdruck eines Opportunismus, der die UNO als Sachwalterin des Weltfriedens gegenstandslos macht. Wenn der Anspruch auf Teilhaberschaft am Gewaltmonopol der internationalen Gemeinschaft dazu führt, den USA auch noch den Segen für Kriege zu erteilen, die sie in deren Namen führt, um eigene Interessen durchzusetzen, dann wäre es wahrhaftig besser, die Washingtoner Regierung verfolgte ihre geostrategischen Ziele für jeden ersichtlich auf der Basis des ihr ohnehin zulasten gelegten Unilateralismus.

Die Lektüre des Buches "Irak - Chronik eines gewollten Krieges" duldet auch deshalb keinen Aufschub, weil man sich jetzt noch auf ein Völkerrecht stützen kann, das zum Zweck dieser Aggression gebrochen werden muß. Von Sponecks Ausführungen basieren auf einer Tradition des internationalen Gewaltverbots und der nationalstaatlichen Souveränität, die durch den von den USA und ihren Verbündeten angestrebten Paradigmenwechsel zu einer imperialistischen Weltordnung, in der eine Minderheit vor allem westlicher Staaten nicht nur die ökonomischen Bedingungen, sondern auch die staatlichen Formen und politischen Leitlinien des Rests der Welt verfügt, zutiefst bedroht ist. Der Krieg gegen den Irak mag vordergründig als Raubzug am Öl der Region verstanden werden, schaut man jedoch auf das größere Bild des amerikanischen Aufmarsches zwischen West- und Ostasien und studiert dazu die strategischen Entwürfe einflußreicher US-Planer, dann tut sich das ungleich erschreckendere Bild eines epochalen Feldzugs zugunsten der Etablierung unumkehrbarer Verhältnisse der Herrschaftsausübung und Ausbeutung auf.

Wer diese Aussicht als zu radikal und pessimistisch erachtet, dem sei die Lektüre des vorliegenden Buches besonders ans Herz gelegt. Führt man sich einmal vor Augen, welche durchaus vermeidbaren Leiden die irakische Bevölkerung in den letzten zwölf Jahren unter völliger Mißachtung der sogenannten internationalen Gemeinschaft auf sich nehmen mußte, dann bekommt man einen Begriff vom verheerenden Charakter der Gewaltstrategien, die sich die angeblich so aufgeklärte und zivilisierte westliche Welt leistet. Von Sponecks unermüdlichem Einsatz ist es zu verdanken, daß man in der Bundesrepublik seit zwei Jahren etwas mehr über die Folgen der UN-Sanktionen weiß als in den vielen Jahren zuvor, in denen der schleichende Genozid am irakischen Volk zu den bestgehütetsten Geheimnissen der Weltpolitik gehörte.

Von Sponeck erinnert in dem Gespräch an einen Angriff amerikanischer oder britischer Kampfflugzeuge im Mai 1999 auf eine irakische Hirtenfamilie, bei dem sämtliche sieben Mitglieder nebst ihrer Herde von 100 Schafen vernichtet wurden. Zeugenaussagen zufolge wußten die Kampfpiloten aufgrund ihrer niedrigen Flughöhe durchaus, womit sie es zu tun hatten, denn in der dünn besiedelten Gegend nördlich von Mossul befand sich laut von Sponeck, der den Ort der Tragödie selbst in Augenschein genommen hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach keine militärische Installation, mit der man sich auf eine Verwechslung hätte herausreden können. Von dieser Tat berichtete keine deutsche Zeitung außer den üblichen verdächtigen linken Nischenpublikationen, die sowieso kaum jemand liest. Die Auslöschung der irakischen Familie fand statt, während die NATO Angriffe auf Jugoslawien flog. Es war nur eine von vielen Gewalttaten im Schatten anderer Kriege, mit denen man hierzulande nichts zu tun zu haben glaubt. Diese naive Auffassung könnte durch die übergreifende Qualität künftiger Ordnungskriege gründlich erschüttert werden.

Neben dem 84 Seiten umfassenden Interview von Sponecks enthält das Buch eine Einleitung von Andreas Zumach, in der er den politischen Hintergrund der amerikanischen Hegemonialdoktrin referiert, sowie eine zusammenfassende Abhandlung der zentralen Schwerpunkte und Daten des Irakkonflikts. Als Anhang sind die UN-Resolutionen 687, 1284 und 1441 beigefügt, die man sich zwar aus dem Internet holen könnte, die jedoch in abgedruckter Form eine sinnvolle Ergänzung zu den Ausführungen von Sponecks bilden.


Hans von Sponeck - Andreas Zumach
Irak - Chronik eines gewollten Krieges
Wie die Weltöffentlichkeit manipuliert und
das Völkerrecht gebrochen wird
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2003