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REZENSION/111: Judith Macheiner - Englische Grüße (Anglistik) (SB)


Judith Macheiner


Englische Grüße



"Englische Grüße" oder Wie man sich auf Umwegen verirrt

Gerade heute begeistert die Idee eines Buch über die Leichtigkeit, mit der man eine fremde Sprache - hier die englische - erlernen kann, denn Englisch gewinnt zunehmend an Bedeutung. Man erhofft sich Anregungen, Ermutigungen, einen unbeschwerten Zugang zum Lernstoff, eine griffige Methode. Doch wer erwartet hat, daß die Autorin ein schlüssiges Konzept vorlegt, das es jedem Interessierten ermöglicht, Englisch auf einfache Weise zu lernen, sieht sich bitter enttäuscht. Schon auf den zweiten Blick entpuppt sich das ganze als Ärgernis, denn sie wechselt sogleich das Thema und gerät mit ihrem Geplauder auf mäandernden Umwegen in die Irre. Die als Einführung gemeinten grundlegenden Erläuterungen verlieren sich in einem Wechsel von Allgemeinplätzen, Wiederholungen und Anspielungen. Der Leser kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß sie nicht recht weiß, was sie sagen will.
Von der Leichtigkeit, eine fremde Sprache zu lernen, wird ein weiter, frustrierender Irrweg zur "Leichtigkeit des Englischen" zurückgelegt. Um ihr Werk in Gänze durchzustehen, muß man des Englischen bereits mächtig sein, denn die Autorin konfrontiert uns mit den gesammelten Erkenntnissen ihrer Laufbahn als Sprachwissenschaftlerin und mit ihrem eigenen Vergnügen, die Struktur der englischen Sprache zu analysieren und Vergleiche zur deutschen zu ziehen. Doch wenig ist hinderlicher für den leichtfüßigen Erwerb einer Fremdsprache als der ununterbrochene Vergleich mit der eigenen, der ständige Rückbezug.

Im Verlauf der Lektüre werden der fachliche Hintergrund der Autorin und die Herkunft ihres Konzeptes aus der Übersetzungswissenschaft auf unangenehm ermüdende Weise deutlich. Sätze aus der englischsprachigen Literatur dienen als Beispiele und Puzzleteile für den Vergleich und für Erklärungen zu Aufbau und Struktur der englischen Sprache. Statt wirklich Gewicht auf die englische Sprache zu legen, konfrontiert sie den Leser auf dem Weg umschweifiger Erklärungen mit grammatischen und stilistischen Einzelheiten. So verliert die Autorin in der durchaus verständlichen Begeisterung der Sprachexpertin und der des Englischen bereits Mächtigen ganz und gar den Bezug zu jenen, die mehr am Anfang stehen und möglicherweise auf Unterstützung hoffen.

Worum könnte es gehen?

Wie die Autorin zu Beginn unter anderem ausführt, lernen Kleinst- und Kleinkinder ihre Muttersprache mühelos im nebenherein. Dies scheint zumindest durch entsprechende Forschungsergebnisse belegt, und davon wollen wir einmal ausgehen, obwohl neuere Forschungsergebnisse andeuten, daß es älteren Menschen keineswegs schwerfallen muß, Fremdsprachen zu erlernen. Wir wollen uns hier nicht mit neurophysiologischen Grundlagen der Spracherwerbstheorie beschäftigen und auch die psychologischen beziehungsweise sozialen lediglich tangieren. Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse und ihre Interpretationen bieten aufgrund ihrer Festlegung auf biologische Grundlagen keinerlei Hinweis und keinerlei Hilfestellung für den Fremdsprachenerwerb. Dagegen wäre es schon hilfreicher, vom Konzept der Motivation auszugehen, das die Autorin zwar kurz streift, jedoch allzu schnell wieder außer acht läßt.

"Auch wenn wir nach vergleichbaren Klassen von Motiven handeln sollten: Geschäftsinteressen, Liebesgefühle, Fernweh, Abenteuerlust, Forschungsdrang - im einzelnen hat jeder seine eigene Motivationslage, deren Bedürfnisse nach Versprachlichung nie mit der eines anderen zusammenfallen dürften."[1] bedeutet im Prinzip: jeder ist allein und alleingelassen, besonders von der Autorin.

Wenn es nun so aussieht, daß Kleinkinder mühelos Sprachen lernen können beziehungsweise ihre Erstsprache erwerben - wie es mit der Doppelsprachigkeit bestellt ist, die dazu führt, daß keine Sprache richtig in ihrer Tiefe erfaßt und genutzt werden kann, sei hier noch einmal dahingestellt -, so bieten sich andere, greifendere Erklärungen an als neurologische Schaltungen. Das Kind lebt in einer Umgebung, in der es ununterbrochen mit der Muttersprache konfrontiert ist. In direkter Aktion und Auseinandersetzung mit der Umwelt lernt es. Die Sprachfertigkeit von Kindern hängt wesentlich von der Sprachfertigkeit der Eltern, der Umgebung und der Mühe ab, die sich Eltern geben, mit dem Kind zu sprechen. Was seine Motivation anbelangt, steht das Kind in der ihm - noch - fremden Umgebung unter einem ungeheuren Anpassungszug, Anpassung ist überlebenswichtig. Wie und was es lernt, hängt davon ab, was ihm die Umgebung als wichtig präsentiert, was sich als Notwendigkeit darstellt.

Außer man versetzt den Erwachsenen in eine ihm völlig fremde Umgebung, in der der Spracherwerb, seine Fähigkeit, sich verständlich zu machen, ausschlaggebend für sein Überleben als soziales und als physisches Wesen scheinen, wird er sich nie wieder in dieser Situation befinden. Spracherwerb ist, so betrachtet, das Ergebnis einer Zwangslage. Dies soll uns jedoch nicht leiten. Was wir an Erkenntnis nutzen können, sind die Motivationslage und die ständige Auseinandersetzung mit der zu lernenden Sprache, des ständigen Umgangs.

Motivation ist in erster Linie die eigene Festlegung, kommt sie von außen, läßt sie sich schnell wieder vergessen. Was heißt das nun: Ich will Englisch lernen. Das genügt zunächst und reicht vollkommen als Motivation, mich nun auf allen erdenklichen Wegen und so viel wie nur möglich mit der englischen Sprache zu beschäftigen. Aus dem spürbaren Erfolg ergibt sich der nächste Anstoß, die weitere Motivation, denn man erinnert sich plötzlich an den einen oder anderen Satzfetzen, dem man wieder nachgeht, nachfragt. Man gewöhnt sich an den englischen Klang. Eine vorausgehende theoretische Beschäftigung mit dem Englischen, seiner Struktur, Grammatik, Unterschieden zur deutschen Sprache und so weiter, wie die Autorin - möglicherweise unbeabsichtigt - nahelegt, führt vom Erlernen der Sprache fort. Das Pferd wird von hinten aufgezäumt, und dann steht man davor und wundert sich, daß nicht einmal das Aufsteigen gelingt. Erst einmal ist es wichtig, Wörter, Sätze, Texte zu hören, zu sprechen, zu begreifen auf dem Wege über Bilder, deutsche und englischsprachige Ausführungen und auch durch Übersetzung.

Auf den ersten Blick bestehen Sprachen aus Wörtern, fast möchte man meinen, unendlich vielen Wörtern. Im Englischen sollen es so fünfhunderttausend sein. Da möchte man am liebsten aufgeben, ehe man angefangen hat. Ganz besonders, wenn man dem Gerücht Glauben schenkt, daß man ein Element 129mal wiederholen muß, ehe es sich einprägt. Aber erstens brauchen selbst die großen Rhetoriker dieser Sprache nicht viel mehr als zehn Prozent des gesamten Wortschatzes - für den Alltag kommen wir sogar mit nur einem Prozent aus -; und zweitens verwenden wir eine Sprache nicht in Form von einzelnen Wörtern, sondern von Äußerungen, in denen die Wörter zu einem komplexen Ganzen verbunden sind. Vieles von dem, was wir über die Verwendung der einzelnen Wörter wissen müssen, steckt in diesen komplexen Ausdrücken. [2]

Die für den Spracherwerb so wichtige Aussage über die Wiederholung verknüpft die Autorin sogleich mit Unlust. Vor dem geistigen Auge des Lesers erstehen die unendlich öden Listen auswendig gelernter Vokabeln und ideomatischer Wendungen der Schulzeit. Wie phantasielos! Hören Sie Radio, sehen Sie den Film auf englisch, nicht synchronisiert, nehmen Sie einen Comic oder ein Kinderbuch auf englisch mit vielen Bildern zur Hand, unterhalten Sie sich ohne Rücksicht auf Verluste auf englisch...

Bleibt noch, darauf hinzuweisen, daß das Konzept, die Verwandtschaft der deutschen und der englischen Sprache zu nutzen, so neu nicht ist, und vom Lernenden sowieso in weitgehend unreflektierter Weise genutzt wird. Ich möchte nicht nur aus diesem Grunde aus der Einleitung des Robinson Readers, eines Schulbuchs vom Anfang des 20. Jahrhunderts zitieren:

Die sofort hervortretende Schwierigkeit, solchen Stoff von Anfang an dem geringen Können der Schüler anzupassen, läßt sich überwinden, wenn man die Verwandtschaft der englischen und der deutschen Sprache benutzt, um den Sinn der fremden Worte erraten zu lassen. Im weiteren Verlaufe aber gibt gerade der stoffliche Zusammenhang dem Schüler das beste Mittel an die Hand, den Text ohne Aufschlagen von Vokabeln mehr oder minder selbständig zu entziffern. [3]

Jedem Menschen, der Englisch lernen will oder muß, möchte ich nun raten: Lassen Sie die Finger von den Englischen Grüßen, wenn Sie nicht den Rest ihrer Zuversicht und Motivation verlieren möchten!

Allenfalls könnte man es jenen empfehlen, die, relativ gefestigt in ihren Kenntnissen, eine weitergehende Neugier auf sprach- und übersetzungswissenschaftliche Spielereien entwickelt haben. Besser noch für den Erwerb gründlicherer Kenntnisse ist es eigentlich, selbst den Weg zu gehen, sich mit Wörterbuch, Etymologie, Grammatik und einigen Klassikern zu bewaffnen und zu stöbern. Das prägt sich dann wirklich ein! Judith Macheiners Buch kann man dabei vielleicht als Anleitung verwenden.

Judith Macheiner lehrt Linguistik und Übersetzungswissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Von ihr sind zwei weitere Bücher in der Anderen Bibliothek des Eichborn Verlags erschienen: "Das grammatische Varieté oder Die Kunst und das Vergnügen, deutsche Sätze zu bilden" (1991) und "Übersetzen" (1995).

[1] "Englische Grüße", Seite 16 [2] ebd. unter: Die besonderen Sätze, Seite 17 [3] The Robinson Reader - Lehrgang der englischen Sprache, von Wilhelm Grünewald, (c) 1914 by Georg Westermann in Braunschweig, 3. Auflage 1925 - Aus der Vorrede zur 1. Auflage


Judith Macheiner
Englische Grüße
Über die Leichtigkeit, mit der man eine fremde Sprache erlernen kann
Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag
350 Seiten, gebunden im Schuber, 27,50 Euro
ISBN 3-8218-4507-4