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BUCHBESPRECHUNG/029: "Die Bibel" in Portionen - zu würzig? (Theologie) (SB)


Neues Verkaufskonzept


"Die Bibel" in Portionen

für die Kirche zu würzig serviert?



Die Bibel ist schon ein eigenartiges Buch. Obwohl sie ein Weltbestseller ist, wird sie von den wenigsten ganz gelesen, und obwohl sie auch im Bücherregal kaum was hergibt - zumindest verglichen mit Reißern wie Grisham oder Grass -, darf sie nirgendwo fehlen. Aber meist findet man sie nicht einmal dort zwischen ihren Vettern und noch fetteren Exemplaren aus der Belletristik, sondern als Dauervorwand und Ewigperspektive in der Nachttischschublade gläubiger und So-tun-als-ob-gläubiger Christen.

Alle wollen eine Bibel, das Geschäft mit dem christlichen Schmöker boomt nach wie vor. Damit das so bleibt, lassen sich die Verlage immer wieder etwas Neues einfallen. Längst hat dieses historisch-mythische Kompendium zu Krieg und Hass und höchstinstanzlicher Rechtfertigung eigenen Machtstrebens sowie, versteckt dazwischen, in Vergessenheit geratener Lebensentwürfe, seinen Weg in die moderne Multimedia-Gesellschaft gefunden. Die Bibel gibt es via Internet in allen Hauptsprachen der Welt. Nun vollziehen die Verlage schon den nächsten Schritt, über das Internet hinaus und wieder zurück zum flimmer-, strahlungs- und stromfreien Lesen in ... Büchern.

Lesen von elektronischen Texten ist für die Menschen nur dann interessant, wenn sie nicht neun Zehntel der Zeit irgendwelchen Buchstabenmüll und Datenschrott sortieren müssen. Viele Menschen greifen nach wie vor zum ganz gewöhnlichen Buch. Das hat auch der englische Cannongate Verlag erkannt und eine Neuauflage der Bibel herausgebracht. Doch dazu ließ man sich etwas ganz Besonderes einfallen, schließlich gibt es auf dem Markt Bibeln zuhauf, in allen Variationen, mit und ohne Bilder, mit und ohne Kommentare oder Einschätzungen, etc. Was es jedoch bislang noch nicht gibt, ist die Bibel scheibchenweise. Jedes Kapitel verkauft der Cannongate Verlag gesondert, als eigenes Taschenbuch und für den erschwinglichen Preis von nur einem britischen Pfund, umgerechnet etwa 2,75 Mark.

Damit aber die kleinen Heftchen, die ein wenig an die Reclam- Reihe für den schmalen Geldbeutel erinnern, wenn sie auch keineswegs so minimalistisch aufgemacht sind, nicht verwechselt werden mit einer lediglich in seine Einzelteile zerlegten Bibel, hat man eine jede Ausgabe von einer anderen renommierten Person aus dem Literaturbetrieb mit einem Vorwort versehen lassen. Auf diese Weise hat Cannongate mit einem überaus kräftigen Donnerschlag von sich reden gemacht. Er ließ die meist bekennenden atheistischen Autorinnen und Autoren auf die christliche Bastion los, indem sie ein persönliches Vorwort zu ihrem Kapitel verfaßten. Das brachte Großbritanniens Theologen auf die Palme - und dem Verlag klingende Münze in die Kasse.

So räsoniert Fay Waldon über die Briefe an die Korinther, und Doris Lessing kommentiert das Buch der Prediger. Während letztere dem Buch aber etwas durchaus Positives abgewinnen kann, auch wenn sie selbst kein gläubige Christin ist - das Buch enthalte die wundervollste Prosa, die je geschrieben wurde -, bleibt Fay Waldon ihrer Rolle als Feministin treu. Die Journalistin schrieb zum Paulus-Brief an die Korinther, daß es schwer sei, den Apostel Paulus zu mögen. Sie bezieht sich auf eine Stelle, an der geschrieben steht, daß es gut für einen Mann sei, eine Frau nicht zu berühren, und stellt die Frage, ob Frauen wegen dieser elf Worte zweitausend Jahre hindurch als Versuchung angesehen und beschuldigt wurden.

Ungeachtet der historischen Ereignisse und der Einstellung der männlich dominierten Kirche zur Rolle der Frau in der Gesellschaft, kann man die Textstelle, auf die sich Fay Waldon bezieht, auch anders verstehen. Es muß nicht als Abkehr von der Frau, sondern es könnte auch als ein Rat an den Mann sein, im Umgang mit dem anderen Geschlecht größere Vorsicht walten zu lassen, da körperliche Nähe, das heißt der Versuch der Berührung, sehr schnell zu persönlichen Verletzungen führen kann, die einem von gegenseitigen Ansprüchen befreiten Umgang miteinander jahrelang im Wege stehen, wie wohl die meisten Ehepartner erfahren haben.

Waldons Verweis auf die Verfolgung und Diffamierung der Frau durch Tabuisierung bei gleichzeitiger Erregung von Begehrlichkeiten durch Kirchenvertreter ist allerdings eine für heutige Kleriker noch verdauliche Kritik gegenüber Will Szells Vorwort zur Offenbarung des Johannes, in dem er über die drogenbedingte mystische Ekstase eines Jugendfreundes berichtet, der von den Prophezeiungen des Buches besessen war und in jungen Jahren starb. Er selbst habe das Buch nur einmal gelesen und halte es für krankhaft, schrieb Szell unverblümt und löste damit in der Öffentlichkeit ebenso Empörung aus wie Luis de Berniére, der sich seinem Kapitel eben nicht aus theologischer, sondern athetistischer Sicht genähert hatte.

Die heftige Reaktion der Öffentlichkeit über die nicht immer wohlwollenden Vorworte der Literaten kam dem Verlag mehr als gelegen. Die Zerschlagung der Bibel in leicht verdauliche Portiönchen, die so den biblischen Stoff auch einer von Reiz zu Reiz hastenden Konsumkultur nahebringen soll, hat sich schon jetzt bezahlt gemacht. Die Bibel in Taschenformat des Cannongate Verlags ist in Großbritannien ein großer Erfolg. In Deutschland werden entsprechende Übersetzungen frühestens im nächsten Jahr erscheinen.

Neues Verkaufskonzept "Die Bibel" in Portionen für die Kirche zu würzig serviert?