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REZENSION/150: Gefahr ohne Schatten - Anika Limbach (Atom-Thriller) (SB)


Anika Limbach


Gefahr ohne Schatten



Mancher Politiker aus dem Ausland hatte nur noch den Kopf geschüttelt und sein völliges Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, daß die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel unter dem Eindruck der schweren Nuklearkatastrophe am 11. März 2011 im japanischen Akw Fukushima Daiichi (und, wie Kritiker spotteten, mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen in NRW) den Ausstieg aus der Atomenergieproduktion ankündigte. Inzwischen gilt die Bundesrepublik jedoch als Beispiel dafür, daß es einem Industriestaat sehr wohl gelingen könnte, auf Atomenergie zu verzichten und den Anteil an sogenannten erneuerbaren Energien deutlich zu erhöhen. Die großen Energieversorgungsunternehmen, deren Atomstrom bald nicht mehr erwünscht ist, verzeichnen teils empfindliche Umsatzeinbußen. Würden sie nicht alles versuchen, um ihre Marktposition zu halten? Sicherlich. Aber würden sie deswegen nicht einmal vor Mord zurückschrecken? Das könnte sich die Journalistin und Autorin Anika Limbach, die selbst in der Bonner Anti-Akw-Bewegung aktiv ist, sehr gut vorstellen. Sie hat ihre Ansicht in Form eines Romans unter die Leute gebracht, der sich nah an den aktuellen politischen Ereignissen entlangbewegt.

Vor dem Hintergrund der deutschen Energiewende, die scharfen Gegenwind seitens der Atomindustrie und ihrer Lobbyisten in Politik und Wirtschaft erfährt, entfaltet Limbach die behutsam aufgebaute Liebesgeschichte zwischen Jan und Rona, die sich unter außergewöhnlichen Umständen nach einem Tschernobyl-Kongreß in Berlin kennengelernt haben. Jan, der über die Machenschaften der Atomwirtschaft recherchiert, dabei auch auf Kenntnisse von Whistleblowern zurückgreift und eine Morddrohung erhalten hat, muß miterleben, wie vor seinen Augen ein Referent des Kongresses, den er erst einen Tag zuvor kennengelernt hatte, von einem Auto absichtlich überfahren wird und stirbt. Rona hingegen war Simultanübersetzerin auf dem Kongreß und kannte den Referenten, den sie sogar sehr gern gehabt hatte, schon länger.

Zunächst glaubt Jan, der Mordanschlag habe eigentlich ihm gegolten, dann finden er und Rona, die beschlossen haben, gemeinsam den Mord aufzuklären, Schritt für Schritt die Wahrheit heraus. Die ist, anders als man aufgrund des vorangehenden Spannungsaufbaus vermuten könnte, auf den ersten Blick dann doch erstaunlich unspektakulär. Zumindest für diejenigen, die sich schon mal näher mit Fragen der Atomwirtschaft und den Folgen der Atomstromproduktion befaßt haben. Ohne hier die Auflösung des Romans im Detail zu verraten, sei immerhin soviel gesagt, daß die Torpedierung der Energiewende durch die Atomwirtschaft mit Hilfe einer PR-Agentur, die Lügen über erneuerbare Energien verbreitet, nicht wirklich überraschen kann und für den Plot eines Thrillers doch nach einer zu dünn geratenen Suppe schmeckt.

Was ist der Mord an einem einzelnen Atomkritiker in Deutschland verglichen beispielsweise mit den signifikant gehäuften Krebserkrankungen von Kindern im Umkreis von fünf Kilometern um deutsche Atomkraftwerke? Erwartungsgemäß konnte hierzu nicht nachgewiesen werden, daß der Krebs ursächlich auf radioaktive Freisetzungen aus den Akws zurückgeht - aber es ist auch nicht so, daß Politik und Wirtschaft alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, um genauer herauszufinden, was zu dieser statistischen Auffälligkeit geführt hat. Damit soll gesagt werden, daß hier und heute Menschen schwer erkranken, womöglich frühzeitig sterben und der Verdacht naheliegt, daß radioaktive Strahlung damit zu tun hat. Die Romanhandlung bleibt jedenfalls hinter der realen Mitverantwortung der Atomindustrie für den Fortbestand einer tödlichen Bedrohung zurück.

Nun wäre es banal, einer Autorin vorzuhalten, daß sie etwas ganz anderes hätte beschreiben können als das, wofür sie sich nun einmal entschieden hat. So etwas läßt sich immer sagen. Da sich jedoch Anika Limbach mit "Gefahr ohne Schatten" im Genre des Spannungsromans, eigentlich sogar des Thrillers positioniert, gilt das besondere Augenmerk selbstverständlich der Aufklärung der Geschichte. Daran bemißt sich die Plausibilität der gesamten Handlung. Und dazu muß man sagen, steht an dessen Ende weniger der beim Thriller angestrebte "Aha-Effekt" bei der Leserschaft denn ein "Na ja"-Effekt.

Man kann der Autorin zugute halten, daß es von Anfang an nicht ihr Stil war, permanent mit gewichtigen Worten, starken Bildern und actionreichen Handlungen Eindruck schinden zu wollen. Sie setzt mehr auf Lesefluß, bemüht sich um Einblicke in die Gefühlswelt der Protagonisten, insbesondere der taffen Rona, die sogar ihre Träume als Handlungsdirektive heranzieht - mit Erfolg, versteht sich - und zieht die Form des Dialogs der abstrakter Beschreibungen vor. Alles in allem liest sich der Roman recht flott, die Autorin übernimmt sich dabei nicht mit Versuchen, durch einen verschachtelten Satzbau oder eine überambitionierte Begriffswahl mehr Gehalt anzudeuten, als vorhanden ist. Da fällt es dann auf, wenn an einer Stelle dann doch ein sehr bemühtes Bild benutzt wird wie: "Sie tauchte wieder ein, in den mächtigen Treibsand der Großstadt." (S. 32)

Vielleicht dem Erstlingswerk geschuldet, wird ein zuvor aufgebauter Spannungsbogen aus unerfindlichen Gründen nicht weiter verfolgt. Der Vater einer Freundin Ronas ist in der Atomwirtschaft tätig und wird von ihr verdächtigt, in den Mord verstrickt zu sein. Er beteuert seine Unschuld. Die Leser erfahren aus einem Gespräch in der Konzernzentrale, daß der Vater tatsächlich nichts mit dem Mord zu tun hatte und im Gegenteil sogar als nicht rücksichtslos genug eingeschätzt wird. Hier hätte es die gesamte Geschichte sicherlich abgerundet, wäre der Handlungsstrang nicht so abrupt abgebrochen worden.

An einer anderen Stelle befinden sich Rona und Jan auf der Flucht vor den Häschern der Atomwirtschaft. Da bemerken sie, daß die Tankanzeige ihres Autos beinahe auf Null steht und sie dringend tanken müssen. Das wird aber nicht beschrieben, die beiden fliehen offenbar mit leerem Tank mehrere hundert Kilometer weit, ohne daß noch einmal auf diese zuvor dramatisch aufgebaute Notlage eingegangen worden wäre. Diese beiden genannten Beispiele sind Stellen, an denen der ansonsten flüssig geschriebene Roman ein wenig ruckelt.

Sympathie verdient die Idee Limbachs, ihren im Selbstverlag tredition verbreiteten Roman zeitlich nahe an der Gegenwart und mit starken Bezügen zur Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland spielen zu lassen. Doch nur wenn es die Absicht der Autorin war, eine völlig unbedarfte Leserschaft an einige Widersprüche der Atompolitik heranzuführen, könnte man die Umsetzung der Idee als gelungen bezeichnen. In dem Thema liegt noch mehr drin.

16. September 2014


Anika Limbach
Gefahr ohne Schatten
Verlag: tredition GmbH, Hamburg 2014
284 Seiten
Paperback 14,90 EUR
ISBN: 978-3-8495-8115-2


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