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REZENSION/147: Helen Moster (Hg.) - Alles absolut bestens bei mir (Erzählungen) (SB)


Helen Moster (Hg.)


Alles absolut bestens bei mir



Die "edition fünf" hat mit Helen Mosters Sammlung von kurzen Geschichten "Alles absolut bestens bei mir" ein umwerfend überzeugendes Beispiel für ihr eigenes Konzept herausgebracht:

[...] was uns interessiert, sind weibliche Traditionslinien. Wir wollen lesen, was und wie Frauen erzählen.
Wir verlegen Bücher [...] von Autorinnen, die wir vermisst haben.
[...] aus bekannten und unbekannten Titeln, die allzu schnell vom Markt verschwunden sind oder denen wir mehr Beachtung wünschen.

Diese bibliophil gestaltete Anthologie umfaßt 15 Erzählungen bedeutender finnischer Autorinnen, die kennenzulernen und zu lesen absolut zu empfehlen ist. Und um es vorweg zu sagen: Diese Geschichten, die sich nicht immer laut, aber entschieden mit den ernst zu nehmenden Problemen der weiblichen Hälfte der finnischen Bevölkerung auseinandersetzen, die sonst im Untergrund schwelen, sind ausgesprochen ermutigend und belebend. Mit Witz, Klugheit, Selbstbewußtsein und Raffinesse werden hier Konflikte in Angriff genommen, die unzweifelhaft lediglich der Tatsache geschuldet sind, daß die Protagonistinnen Frauen sind, was wohl Grund genug zu sein scheint, ihnen von männlicher Seite mit Ignoranz, Benachteiligung und Unterwerfung zu begegnen. Die hier geschilderten Finninnen sind ausgesprochen empfindsam für diese oft von Zwang oder Gewalt bestimmten zwischenmenschlichen Begebenheiten. Sie arbeiten sich nach anfänglich bewußter Verkennung oder Vermeidung bis zur nüchternen Realität vor und handeln ...

Allen Erzählungen ist gemein, daß sich die Frauen gegen die aufgezwungenen Verhältnisse - oft empfunden in Form nicht akzeptabler Konventionen - stellen, aber nicht laut und fordernd, sondern subversiv, eigenwillig, konsequent, charmant und keinesfalls angepaßt. "Wenn man nicht an sich selbst glaubt, dass man erfüllt leben kann, allein, wenn es sein muss ... Dann ist man verloren. An die Umstände. Die Unsicherheit. Die Abhängigkeit" (S. 157), erklärt die Mutter ihrer Tochter in "Gespräch auf der Bettkante" von Solveig von Schoultz.

Die Anthologie beginnt mit einer Novelle von Sari Malkamäki, die den finnischen Alltag einer Familie schildert, in der zwar die Frauen der verschiedenen Generationen ohne ihre Männer zusammenwohnen, Töchter, Mutter, Großmutter, Tante, aber die Männer in den Gedanken stets gegenwärtig sind, haben sie doch stark zur Enttäuschung dieser Frauen beigetragen und sie zu einer Art Notgemeinschaft gegen männliche Verhaltensweisen veranlaßt. Ein Aufleben aller Konflikte entsteht, als die Tochter beim ersten Date mit ihrem Freund anscheinend versetzt wird und alle sich bestätigt fühlen. Die Situation ist deshalb fast unerträglich spannend, weil der Konflikt durch das beredte Schweigen der Älteren ausgetragen wird - ein Ausdruck finnischer Kultur?

Die Finnen sind schweigsame Leute.
Der Finne spricht nicht und küsst nicht?
Stimmt. [...] Fakt ist, dass es in Finnland keine Small-Talk-Kultur gibt. Deshalb sind die Finnen im Allgemeinen der Ansicht, dass sie nicht mehr zu reden brauchen, als sie wirklich zu sagen haben. Und das ist für Finnen nichts Negatives, im Gegenteil: Wortkargheit sehen sie häufig als Zeichen von Ehrlichkeit an.

(Nachrichten, 23.11.2011, Botschaft von Finnland, Berlin, Der Finne spricht nicht und küsst nicht - Dichtung und Wahrheit über Finnland)

In einer anderen Erzählung macht die Wortkargheit den Humor aus, "Die behaarte Frau": Ein Mädchen wird ihre ganze Schulzeit über wegen ihrer starken Körperbehaarung gehänselt, aber sie entscheidet sich als Andenken an ihre verstorbene Mutter, die ebenso behaart gewesen ist und stolz darauf war, sich nicht zu rasieren. Da sie sich auch einen Vollbart stehen läßt, bekommt sie keine Anstellung und zieht sich immer mehr zurück, bis sie sich auf die Prinzipien ihrer Mutter besinnt und sich in High Heels und ärmellosem Minikleid, in dem sie ihre Körperbehaarung stolz zur Schau stellt, vor ein gut besuchtes Lokal setzt:

Da war er: der Mann meines Lebens, mein Seelenverwandter. Der Kellner, bei dem das lange Haar und der bis auf die Brust reichende Bart eins waren. Man erkannte nicht, wo die Grenze verlief. Er stutzte, als er mich sah, erschrak aber nicht. Er brachte mir den Cider, brachte noch einen zweiten. Als die Kühle des Sommerabends die anderen Gäste veranlasste, nach drinnen zu gehen, setzte sich der Kellner mit einem Glas Whisky zu mir an den Tisch. Er trug keine Schürze mehr, seine Schicht war beendet. Er starrte mich nur an und begleitete mich wenig später nach Hause. [...] Der Mann blieb an diesem Abend bei mir und ging nicht wieder fort.
(S. 26f)

Auch Frauen, die doppelt mit Vorurteilen zu kämpfen haben, kommen zu Wort. In "Frau mit zwei Köpfen" von Kirste Paltto läßt sich ein saamisches Mädchen einen zweiten Kopf wachsen, mit dessen Aussehen sie besser in einer Umgebung zurechtkommt, in der die Saamen als Minderheit ausgestoßen und diskriminiert werden. Und als Frau entspricht sie nun auch der finnischen Norm mit blauen Augen und blonden Haaren. Zudem unterdrückt sie in ihrer Familie die saamische Sprache und spricht mit ihren Kindern das amtlich festgelegte Finnisch. Bis die Rechnung nicht mehr aufgeht ...

Es war eine gute Idee des Verlags, die Sammlung auf Autorinnen eines Landes zu konzentrieren. Helen Moster präsentiert mit liebevollem Verständnis und großer Kenntnis die spezifischen Probleme finnischer Frauen durch die Wahl der Geschichten vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Die Themen Schönheit und Körperverhältnis, Naturverständnis, unterdrückte Minderheiten, Eheprobleme, Einsamkeit, alt werden, Kinder und Armut betreffen zwar Frauen auf der ganzen Welt, erhellend ist hier jedoch die spezifische Herangehensweise, wie Finninnen damit fertig werden - oder auch nicht? - und welche Wirkung sie ganz realistisch erreichen können.

Trotz aller erwähnten Unterschiede ist die Geschichte der finnischen Frauen der deutscher sehr ähnlich, so wird diese Sammlung von Erzählungen in Deutschland bestimmt großen Wiedererkennungwert haben und ähnliche Probleme berühren. Die finnischen Frauen waren weltweit mit die ersten, die (1906) das Wahlrecht erhielten. Tarja Halonen bekleidete von 2000 bis 2012 erstmals als Frau das oberste Amt der Präsidentin. Heute sind Finninnen in der Regel selbst in Vollzeit berufstätig - Frauen machen 47 Prozent der Arbeitskräfte in Finnland aus -, aber trotz der guten Betreuung der Kinder in Schulen und Kindereinrichtungen ist es, wie in Deutschland, eine Belastung, Familie und Beruf in Einklang zu bringen.

Die Erzählungen sind von Helen Moster chronologisch angeordnet und umfassen inhaltlich diesen Zeitraum, in dem die Frauen selbständig geworden sind. Da ist das weit gefaßte, aber aktuelle Thema "Alleingang", unter das die editon fünf dieses Jahr die Wahl ihrer Herausgaben gestellt hat, geschickt gewählt, läßt das Wort doch gleich auch die Kehrseite der "Selbständigkeit" mitschwingen, den Preis, den frau zu bezahlen hat, wenn sie sich auf die in diesen Erzählungen anklingende Weise gegen gesellschaftlich festgesetzte Bedingungen zur Wehr setzt - "allein".

Auf jeden Fall ist es den Verlagsfrauen von edition fünf zu wünschen, daß sie noch viele Bücher in diesem Sinne herausgeben. An Autorinnen und Ideen wird es sicher nicht mangeln. Und wie kann "es" besser gesagt werden als mit Erzählungen, Romanen, Geschichten und Gedichten? Sehr angenehm an diesem handfest gestalteten Buch sind überdies die Nachschlageseiten im Anhang über Herausgeberin, Autorinnen und Übersetzerinnen bzw. Übersetzer. Hier kommen auch diejenigen zu Wort, die sonst im Hintergrund für eine der wichtigsten Arbeiten zuständig sind. Übersetzerinnen und Übersetzer geben hier jeweils eine kurze Stellungnahme zu der Geschichte ab, die sie ins Deutsche übertragen haben.

Die Herausgeberin Helen Moster (geb. 1961)

ist eine finnische Journalistin, Übersetzerin und Autorin. Sie schreibt für die finnische Presse und übersetzt deutschsprachige Literatur ins Finnische, vor allem Prosa von u.a. Jenny Erpenbeck, Stefan Moster, Alain Claude Sulzer und Juli Zeh. Ihr erster Roman "Hylky" ("Das Wrack") erschien 2011 beim Verlag Avain. Sie lebt mit ihrer Familie in Espoo, Finnland.
(aus dem Buchumschlag)

7. Juli 2014


Helen Moster (Hg.)
Alles absolut bestens bei mir
15 Alleingänge aus Finnland
Erzählungen
edition fünf
Verlag Silke Weniger, Gräfelfing/Hamburg 2014
Vertrieb Edition Nautilus Hamburg
Fester Einband
176 Seiten
ISBN 978-3-942374-44-6