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REZENSION/142: Thomas Thiemeyer - Das verbotene Eden. Magda und Ben (Jugendbuch, Science Fiction) (SB)


Thomas Thiemeyer


Das verbotene Eden

Magda und Ben

(Band 3 der Trilogie)



Mit dem letzten Band der Trilogie um das verbotene Eden wird nun endlich der Anfang der Geschichte um die sich gegenseitig bekriegenden Frauen- und Männergesellschaften nachgeliefert. Man hätte ihn sich früher gewünscht, denn bei der Lektüre der beiden vorangegangenen Bücher (1) hatte man sich immer gefragt, wie es überhaupt zu diesem Haß zwischen Mann und Frau und vor allem zu einem derart rasanten Zusammenbruch der Zivilisation hatte kommen können, obwohl doch nur gerade mal 65 Jahre zwischen unserer bekannten Realität und den im Roman beschriebenen Lebensverhältnissen liegen.

Wer nun aber annimmt, der vorliegende Band würde tatsächlich eine solche Entwicklung nachvollziehbar darstellen, muß enttäuscht werden, denn nach einer zunächst ganz schlüssigen Darstellung des Katastrophenauslösers nimmt die weitere Entwicklung denn doch recht obskure Züge an. Positiv anzumerken ist, daß auf beklemmende, da der Realität sehr naheliegende, Weise beschrieben wird, wie ein Pharmakonzern ein Schweinegrippevirus verbreitet, um seinen neu entwickelten, teuren Impfstoff zu verkaufen.

Man erinnere sich an den wirklichen Ausbruch der Schweinegrippe 2009. Die WHO erklärte sie recht schnell zur Pandemie, wodurch den Impfstoffherstellern ein enormer Umsatz ermöglicht wurde. Die deutschen Bundesländer kauften für mehrere hundert Millionen Euro Impfstoff, den sie dann nicht los wurden und verbrennen mußten, weil viele Menschen sich nicht impfen lassen wollten und die vorhergesagte Schweinegrippe-Pandemie ausblieb. Die WHO geriet daraufhin in der Öffentlichkeit unter Druck. Es wurden Untersuchungen veranlasst, um die Unabhängigkeit der WHO zu überprüfen. Viele leitende Mitarbeiter von Impfstoffherstellern hatten derzeit ein großes Mitspracherecht in der Welt-Gesundheits-Organisation. Dies warf den Vorwurf auf, ob die Schweinegrippe nicht sogar komplett erfunden wurde, um Geld in die Kassen der Impfindustrie zu spülen.

Viele Menschen stehen der Impfpraxis skeptisch gegenüber, was durchaus begründet ist, wie Meldungen belegen, wonach die finnische Regierung 2011 öffentlich eingeräumt hat, dass der Impfstoff gegen Schweinegrippe bei Kindern schwere Nervenschäden wie Narkolepsie, Halluzinationen und andere Leiden verursacht hat. (2)

Ob Thomas Thiemeyer durch diese Ereignisse auf die Idee gekommen ist, dieses Thema in seine Roman-Trilogie einzubauen, kann nur er selbst beantworten, unwahrscheinlich ist es jedoch nicht. In seinem Roman wird die Bevölkerung dazu gedrängt, sich gegen den neuen Schweinegrippevirus impfen zu lassen. Nur wenige behalten angesichts der geschürten Panik den gesunden Menschenverstand und fragen sich, wie es sein kann, daß bei Ausbruch der Epidemie bereits das Gegenmittel vorhanden ist. Normalerweise dauert es nämlich Wochen und Monate, bis ein Impfstoff freigegeben wird (siehe Seite 46). Benedikt, der Sohn eines Arztes, wird mißtrauisch, weil er Wochen zuvor bei Spiegel Online über ein in Rotterdam entwickeltes Supervirus gelesen hat, das so gefährlich gewesen sein soll, daß die US-Regierung an Forscher und Fach-Journale appellierte, Daten darüber unter Verschluß zu halten (siehe Seite 27). Er vermutet ganz folgerichtig, daß das Virus von einem Pharmakonzern verbreitet worden ist, um einen neuen Impfstoff in Umlauf zu bringen, was wenig später bestätigt wird (siehe Seite 82). Da die Verantwortlichen offensichtlich die Aggressivität des Erregers unterschätzt haben, kommt es zu vielen Toten, was die Nachfrage nach dem Impfstoff in die Höhe schnellen läßt. Fast die gesamte Bevölkerung läßt sich impfen. Auch Ben und seine Freundin Magda, denn inzwischen ist Bens Vater schwer erkrankt und ringt um sein Leben, weil er eine Impfung strikt abgelehnt hat.

Was dem vielversprechenden Ansatz nun aber eine absurde Wendung verleiht, ist, daß der Impfstoff Mutationen an den gentechnisch manipulierten Virenstämmen auslöst, die bei den Frauen einen grundlosen, abgrundtiefen Hass auf die Männer hervorrufen. Es sind jedoch nur die Frauen, die über Nacht zu mordlüsternen Furien mutieren und ihren Ehemännern und Freunden nach dem Leben trachten. Da die Männer genauso geimpft wurden wie die Frauen, hätten sie eigentlich dieselben Aggressionen entwickeln müssen. Sie werden jedoch nur als ahnungslose Opfer dargestellt. Das läßt den Anschein entstehen, als habe der Autor mit dem weiblichen Geschlecht eine Rechnung offen, zu deren Begleichung er nun sein literarisches Konstrukt benutzt, das sich durch einen eklatanten Mangel an Logik auszeichnet. Denn daß die menschliche Zivilisation in Deutschland innerhalb von drei Tagen so gründlich im Chaos versinkt, daß es niemals mehr wieder Strom geben wird, sämtliche Geschäfte geplündert wurden und auf den Straßen nur noch umgekippte Autos herumliegen, ist schwer nachzuvollziehen. Um eine logische Entwicklung, wie es zu solchen Verhältnissen hat kommen können, zu umschiffen, läßt der Autor die Hauptperson Ben drei Tage bewußtlos im Krankenhaus liegen, zu dem er - ein Messer im Bauch - auf dem Fahrrad auch noch selbst fahren mußte. Dort wacht er nach drei Tagen wieder auf, umgeben von lauter Toten. Das Messer ist aus seinem Bauch verschwunden und der letzte Pfleger des Krankenhauses hat sich in einem Zimmer verschanzt. Ben steigt wieder auf sein Fahrrad und radelt nach Hause, wo ihn ein im selben Haus wohnender Rentner erst einmal über den Ernst der Lage aufklären muß.

Da jene Komponenten des Romangeschehens, die sich - anders als der überwiegende Fantasy-Anteil dieser Trilogie - an der Realität orientieren, für den Leser am vertrautesten und daher am ansprechendsten sind, hätte man sich eine gründlichere und mehr auf Logik basierende Bearbeitung dieses Teils gewünscht. Es hat jedoch den Anschein, als wäre es dem Autor darum gegangen, den längst überfälligen Auslöser für die ganzen Geschehnisse, die Grundlage der beiden vorangegangenen Bände sind, möglichst schnell abzuhandeln und darauf zu hoffen, der Leser würde die inhaltlichen Lücken und Brüche schnell vergessen. Die Fragen, die man sich schon in den ersten beiden Bänden gestellt hat, werden aber auch im letzten Band nicht beantwortet. Wie konnte es nur zu diesem extremen Haß beider Geschlechter aufeinander kommen? Es reicht nicht, wahllos ein Schweinegippevirus ins Feld zu führen und eine fadenscheinige neurologische Erklärung zu erfinden, deren Haltlosigkeit jedem Laien ins Auge springt. Auf Seite 86 erklärt ein Virologe, daß das Virus bestimmte Regionen des Gehirns befällt und dort zu posttraumatischen Belastungsstörungen führt, die normalerweise dadurch entstehen, daß Erlebnisse, die mit großer Angst oder Schrecken verbunden sind, in bestimmten Regionen des Gehirns so etwas wie einen Fingerabdruck hinterlassen.

Sie brennen sich regelrecht ein und führen dazu, dass der Betroffene das Ereignis wie bei einem Horrorfilm wieder und wieder erlebt. Verantwortlich dafür sind sogenannte Stresshormone, die in lebensbedrohlichen Situationen ausgeschüttet werden. Es findet eine körperliche Veränderung statt, [...] die so lange im Gehirn bleiben, bis das Trauma aufgearbeitet und überwunden wurde. [...] Etwas Ähnliches erleben wir hier, nur, dass es nicht von einem traumatischen Erlebnis, sondern von einem Virus ausgelöst wurde.
(Seite 86)

Wäre der Haß medial geschürt worden, wie es in vielen, zu mörderischen Exzessen ausartenden Konflikten unserer Zeit der Fall ist (siehe Ruanda, Irak, Syrien), hätte die plötzlich auftretende Mordlust der Frauen eventuell noch begründet werden können, doch eine durch Streßhormone immer wieder ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung anzuführen, der schlicht und einfach das auslösende traumatische Erlebnis fehlt, ist einfach vollkommen unlogisch, zumal die Frauen gar nicht in einer Streßsituation sind, als sie zum Messer greifen, um es ihren Liebsten in den Bauch zu rammen. Der Autor adaptiert hier einfach die Beschreibung eines medizinischen Problems, das auf seine Romanhandlung gar nicht anzuwenden ist. An anderer Stelle wird ebenfalls deutlich, daß der Autor, was seine medizinischen Vorstellung betrifft, nicht gerade gut recherchiert hat. Es ist zwar vorstellbar, daß ein Mensch mit einem Messer im Bauch tatsächlich auf dem Fahrrad ins Krankenhaus radeln kann, doch wie er mit dieser schweren Verletzung drei Tage ohne Flüssigkeit und entzündungshemmende Medikamente einfach zwischen Leichen rumliegen und dann aufstehen, wieder nach Hause radeln, den toten Vater aus dem Haus schleppen und in einem selbstgeschaufelten Grab begraben kann, wird wohl nur der Autor nachvollziehen können.

Der völlige Zusammenbruch sämtlicher technischer Einrichtungen soll nun die Folge der grundlosen Angriffe der Frauen auf die Männer gewesen sein, so als wäre es den Männern unmöglich gewesen, sich zwecks Sicherstellung der Stromversorgung zusammenzutun und die entsprechenden Werke zu verteidigen. Statt dessen wird die menschliche Zivilisation innerhalb weniger Jahrzehnte - geteilt in eine Männergesellschaft in der Stadt und eine Frauengesellschaft auf dem Land - ins Mittelalter zurückkatapultiert.

Was dem enttäuschenden 1. Drittel des Romans folgt, ist die Fortsetzung des 2. Bandes, der damit geendet hatte, daß die alte Heilerin Magda von Benedikt hört, der inzwischen zum Prior des Klosters aufgestiegen ist. Auch Benedikt erinnert sich an seine damalige Freundin. Während zwischen Frauen und Männern - angestachelt von der Anführerin der Brigantinnen Edana auf der einen Seite und dem selbsternannten Inquisitor Marcus Capistranus auf der anderen - ein Krieg entbrennt, der nur deshalb unabwendbar scheint, weil die jeweiligen Führer für eine friedliche Beilegung des Konflikts, der fundamentalistische Züge angenommen hat, unzugänglich sind, versuchen Magda und Ben, wieder zueinander zu finden.

Man mag dem Autor zugute halten, daß er die sich vielerorts abzeichnenden Konflikte, die sich in religiösem Fanatismus Bahn brechen, auf seine Art aufgegriffen hat. Sie aber auf einen Geschlechterkampf herunterzubrechen, der zudem nicht aus der Unvereinbarkeit von Mann und Frau heraus entstanden, sondern einem Virus geschuldet ist, geht an einer tieferen Auseinandersetzung mit diesem Problem vollkommen vorbei.

Das Ziel, auf das es nach 65 Jahren gegenseitigen Bekämpfens hinausläuft, ist, wieder dahin zu kommen, gemeinsam die Zukunft zu planen, Kinder in die Welt zu setzen, Familien zu gründen und glücklich und zufrieden alt zu werden. Das Credo lautet: "Liebe ist die größte Macht des Universums, denn Menschen, Tiere und Pflanzen, ja sogar die Elemente fühlen sich voneinander angezogen. Nur so kann Leben entstehen." (Seite 311)

Der Abschluß dieser Trilogie läßt den Leser genauso ratlos und unbefriedigt ob der nicht nachvollziehbaren Verhältnisse zurück, wie er schon beim ersten Band gewesen ist. Was bezweckte der Autor mit diesem Plot überhaupt? Die fixe Idee, Männer und Frauen in verschiedene Gesellschaften zu separieren, scheitert doch allein schon daran, daß es dann keine Nachkommen geben kann. Ein Problem, das der Autor mehr oder weniger unter den Tisch fallen läßt. Der ganze Aufwand, dieses Konstrukt über drei Bände lang aufrecht zu erhalten und im dritten Band in einem emotionslosen Gemetzel auslaufen zu lassen, lohnt die am Ende gewonnene Erkenntnis, Mann und Frau sollten sich doch besser vertragen und wieder in familiären Verbünden zusammenleben, nun wirklich nicht. Etwas anderes haben wir heute ja schließlich auch nicht und wissen aufgrund wachsender Scheidungsraten, daß es in den seltensten Fällen funktioniert. Um das zu verdeutlichen, hätte man nicht unbedingt die ganze Zivilisation zusammenbrechen lassen müssen, was ohnehin nicht im geringsten nachvollziehbar ist.

So kann man am Ende nur erleichtert aufatmen und denken, ein Glück, daß es nicht auch noch einen vierten Band gibt.

*

Thomas Thiemeyer, geboren 1963, lebt in Stuttgart und arbeitete zunächst als Illustrator. Nach fünf rasanten mystischen Wissenschaftsthrillern - Medusa, Reptilia, Magma, Nebra und zuletzt Korona entdeckte er mit den Chroniken der Weltensucher höchst erfolgreich das Jugendbuch für sich.
(Umschlagtext)

Anmerkung:

(1) http://schattenblick.de/infopool/buch/romane/buror122.html
http://schattenblick.de/infopool/buch/romane/buror132.html

(2) http://www.thl.fi/thl-client/pdfs/dce182fb-651e-48a1-b018-3f774d6d1875

24. September 2013


Thomas Thiemeyer
Das verbotene Eden
Magda und Ben
Knaur Verlag, München 2013
444 Seiten
Euro 16,99 D / 17,50 A
ISBN 978-3-426-65328-9