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REZENSION/139: Kaja Evert - Flügel aus Asche (Fantasy) (SB)


Kaja Evert


Flügel aus Asche



Die Welt der Magie, die Kaja Evert in ihrem Debütroman ihren Lesern vorstellt, unterscheidet sich, was die politischen Verhältnisse betrifft, nicht sonderlich von einem totalitären Regime unserer realen Welt. Die Menschen haben unter Herrschaft und Unterdrückung zu leiden. Das von der Autorin beschriebene Herrschaftssystem, in dem eine rassenideologisch genährte Auslese dazu geführt hat, daß auf Geheiß einer elitären Gruppe alle anderen Volksgruppen erniedrigt und versklavt werden, läßt wahrscheinlich nicht von Ungefähr an das Nazi-Regime denken. So wie die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung 1933 daraufhin gearbeitet haben, eine hehre Menschenrasse zu erschaffen, deren unvermischtes Erbgut auf den nordisch-germanischen Menschen zurückgehen sollte, leben die Menschen in Kaja Everts Roman "Flügel aus Asche" unter dem Regime eines Herrschers, der das Volk der magiekundigen Draquer über alle anderen stellt, weil er der Idee anhängt, daß die Draquer von den alten Drachen abstammen, von denen die Mythen erzählen, sie seien mächtige Elementarwesen, die Magie wie Luft atmen und ihr Aussehen nach Belieben verändern können. Früher sollen sie - jeder mit seinem Element verbunden - auf der Welt gelebt haben. Da der Herrscher davon überzeugt ist, daß er diese Geschöpfe der Sagen zurückholen kann, wenn es ihm gelingt, das Drachen- Erbe der Draquer zu wecken, unterzieht er sie einem strikten Zuchtprogramm, das vorschreibt, wer mit wem Kinder zu zeugen hat. Und so gibt es neben den ganz normalen Menschen, die den größten Teil der Bevölkerung stellen, blauhäutige, rothaarige Feuer-Draquer, die in der Lage sind, mit bloßen Händen Feuerkugeln zu werfen, und hellhäutige Luft-Draquer, die die Fähigkeit besitzen, Stürme zu entfachen. Sie werden in der magischen Akademie zu Kämpfern ausgebildet. Nicht- Draquer werden im Gebrauch von magischen Schriftrollen unterwiesen, die im Kampf wertvolle Waffen darstellen.

Um seinen Machtbereich besser kontrollieren zu können, hat der Herrscher mit Hilfe magischer Technik die Stadt Rashija schon vor langer Zeit vom Boden getrennt und zum Himmel aufsteigen lassen, wo sie als fliegende Insel dahinzieht und nur jene Magier hervorbringt, die die Elemente Feuer und Luft beherrschen. Am Boden haben sich dagegen die Erdmagier entwickelt, die sich ebenfalls zum Kampf rüsten, denn alle 50 Jahre landet Rashija auf dem Boden, um den Kampfmagiern zu ermöglichen, die dort in Dörfern lebenden Menschen zu überfallen und in die Dienste ihres Herrschers zu zwingen. Um die magischen Schriftrollen herstellen zu können, bedarf es nämlich der Erdmagie. Und da die himmelgeborenen Draquer nicht über Erdmagie verfügen, werden Bodenmenschen entführt, auf ihre magischen Fähigkeiten hin überprüft und zur Produktion der magischen Schriftrollen gezwungen, deren Material mit den jeweils notwendigen Elementen getränkt ist, und deren Zauberschriftzeichen von Erdmagiern aus dicken Folianten abgeschrieben werden müssen. Diese sogenannten Schreiber, die als Kinder von der Erde entführt worden sind und sich in Rashija nur untereinander vermehren dürfen, wissen nichts von ihren erdmagischen Fähigkeiten. Sobald die Stadt nämlich wieder vom Boden aufsteigt, verlieren die Erdmagier ihre Fähigkeiten ebenso, wie die Draquer ihre magischen Fähigkeiten am Boden verlieren, das in ihnen verborgene magische Potential bleibt jedoch erhalten und befähigt sie dazu, die magischen Schriftrollen herzustellen.

Einer dieser Schreiber ist die Hauptperson Adeen, der unter dem Zwang leidet, tagein, tagaus in der magischen Akademie Schriftrollen kopieren zu müssen. Viel lieber würde er Bilder malen und seiner Inspiration Ausdruck verleihen. Er spürt, daß da etwas in ihm ist, das raus will. Aber selbst in seiner Freizeit, kann er diesem Drang nicht nachgeben, da es weder Papier noch Farbe gibt und das Bildermalen verboten ist.

"Der Herrscher trennte Rashija vom Rest der Welt und machte sie zu einer Insel im Himmel, um alles fernzuhalten, was nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmt. Seit er an der Macht ist, gibt es nur noch seine Bilder, seine Gedanken, seine Geschöpfe." [...] Der Herrscher hatte alle Kunstwerke zerstören lassen, damit sich niemand mehr daran erinnern konnte, wie es einmal gewesen war. Jeder sollte sehen, dass nur noch sein Rashija existierte, dass nichts mehr übrig war von der Stadt, die fremden Menschen und Gedanken einmal Platz geboten hatte.
(Seite 41)

Wo Repression herrscht, wünscht man sich Leute, die trotz aller Gefahr dagegen aufbegehren und den Widerstand aus dem Untergrund heraus führen. Das Motiv ist simpel: Repression erzeugt Widerstand, darauf folgt noch schlimmere Repression. Hierfür gibt es in der Geschichte unzählige Beispiele. Und so viele Beispiele es gibt, so viele Romane und Filme gibt es darüber. Vor allem wenn die historischen Ereignisse Stoff für Helden hergeben. Was ist an diesem Roman nun anders, als bei anderen Geschichten über Freiheitskämpfer wie Spartacus, Michael Collins oder William Wallace, außer, daß sich die Romanhandlung in einer Fantasy-Welt zuträgt?

Anfangs bekommt der Leser den Eindruck, die Bilder, die der Herrscher öffentlich verbrennen läßt und die die Rebellen mit hohem Aufwand und unter Lebensgefahr retten wollen, könnten eine wesentliche Rolle spielen, so als wohne in ihnen, ähnlich wie in den Schriftrollen, eine magische Kraft. Doch bald wird klar, daß es sich dabei nur um ganz normale Kunstwerke aus der Vergangenheit handelt, und man fragt sich, ob es nichts Wichtigeres gäbe, für das ein Kampf sich lohnt. Sicher, ein Gemälde kann eine Tür für den menschlichen Geist sein und einen Raum bieten, eigene Gedanken auszudrücken, die auf den Betrachter überspringen können. Doch davon ist in Kaja Everts Roman nichts zu spüren. Adeens übersteigerter Wunsch, Bilder malen zu können, hat keine inhaltliche Relevanz.

Dennoch ist dies ein spannender Roman. Er nimmt den Leser sofort auf. Bereits nach kürzester Zeit läßt ihn das Schicksal des drangsalierten Adeen nicht mehr kalt. Grausamkeit und Unterdrückung sind auch in unserer Welt ein zu gegenwärtiges Thema, als daß man es mit Distanz betrachten könnte. Und so befindet man sich selbstverständlich auf der Seite der sogenannten Rebellen, die, ständig von Verfolgung bedroht, einen Weg suchen, der Willkür des Regimes zu entfliehen. Die Autorin beschreibt die Empfindungen und Erlebnisse Adeens so anschaulich, daß man unwillkürlich durch seine Augen sieht. Adeen, Sproß einer verbotenen Verbindung zwischen einer Draquerin und eines Erdmagiers, birgt ein Geheimnis, das er selbst nicht ergründen kann. Immer wieder versucht ein magischer Vogel durch seine Hand Gestalt zu gewinnen. Adeen spürt die Macht, die hinter diesem Vogel steckt, er ist fasziniert, weiß aber nicht, ob er ihm wohl oder böse gesinnt ist. Den Wunsch, Bilder zu malen, teilt er mit seinem Ziehvater, der ihn nach dem Mord an seiner Mutter aufgenommen hat. Er gehört zu den Rebellen, und so findet auch Adeen Zugang zu ihnen.

Die Rebellen sind keine Helden. Sie trachten nicht danach, das Regime zu stürzen, und die Stadt von diesem Joch zu befreien. Sie sind von der Hoffnung getrieben, am Boden ein freies Leben führen zu können. Sie wollen die bevorstehende Landung Rashijas zur Flucht nutzen, doch die Macht des Herrschers reicht weit und nur wenigen gelingt es, überhaupt den Boden zu erreichen. In ihnen nimmt dann allerdings der Gedanke, die ganze Stadt zu befreien, Gestalt an. Und es wird deutlich, daß es gar keines Führers oder Herrschers bedarf, um ein Terrorregime zu errichten. Einmal in Gang gebracht, reicht der Machterhalttrieb der Eliten aus, das System zu stützen. Kaja Evert beschreibt den Freiheitskampf der Bodenbewohner ohne jegliche Sentimentalität. Sorgfältig geschmiedete Pläne können genauso schnell scheitern, wie das Glück zum Gelingen beitragen kann. Und in der Erbarmungslosigkeit des Krieges wird besonders deutlich, daß Gerechtigkeit das ist, was es vom Namen her auch anzeigt - das "Recht" des Siegers. Opfer werden zu Tätern und andersherum. Und die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke.

"Flügel aus Asche" ist in einem fortlaufenden Handlungsstrang geschrieben. Die Autorin hat darauf verzichtet, sich des weit verbreiteten Schemas zu bedienen, viele Handlungsstränge nebeneinander laufen und immer wieder unvermittelt abbrechen zu lassen, was eine künstliche Spannung erzeugt. Ihr Roman ist so spannend, daß er diesen Kunstgriff nicht nötig hat. Auf überzeugende Weise arbeitet sie die Diskrepanz zwischen der Technik-Magie à la Harry Potter, ohne die die Herrschenden keine Macht mehr besäßen, und Adeens geheimnisvoller Magie, die sich nicht einordnen läßt und weitaus mehr Authentizität ausstrahlt, heraus. Eindrücklich gelingt es der Autorin, einen Zustand zu beschreiben, in dem Adeen Zugang zu seiner in ihm wohnenden Magie findet. Dieses behutsame Annähern an etwas, das sich dem technischen Wissen entzieht und weitaus wirkmächtiger ist als das magische Regelwerk, das in der Akademie erzeugt wird, um die herrschende Ordnung zu stützen, läßt etwas begreifen, das eigentlich nicht zu beschreiben ist. Adeen erhält in einer der Realität entzogenen Welt Zugriff auf Dinge, die nicht nur dort, sondern auch in der Realität Wirkung erzielen.

Ein Splitter dieser Welt kann sich im Malen von Bildern manifestieren, was Adeen sich immer erträumt hatte und was sein Motiv für die Flucht aus Rashija gewesen war. Schade, daß die Autorin dem Leser dieses am Anfang des Romans so vielversprechend angelegte Motiv, mit dem Malen von Bildern eine Wirkung erzielen zu können, schlußendlich vorenthält. Eigentlich hätte Kaja Evert, da sie, wie im Klappentext steht, seit sie sich erinnern kann, Geschichten erfunden und Bilder gemalt hat, dem Leser diesen magischen Moment, in dem ein Bild entsteht, sicher gut vermitteln können. Dennoch läßt sie die Erfüllung von Adeens Wünschen, endlich die Welt der Farben auf Papier zu bringen, aus. Dabei hätte damit eine Verbindung zwischen der von ihr sehr anschaulich beschriebenen magischen Welt und unserer technisierten Realwelt geschaffen werden können. Aber vielleicht läßt sie sie ja noch lebendig werden, denn sie schließt ihre Danksagung mit den Worten "Vielleicht lesen wir uns ja mal wieder?" Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen.

11. Mai 2013




Kaja Evert
Flügel aus Asche
Knaur Taschenbuch, München 2013
444 Seiten
€ 9,99
ISBN: 978-3-426-51196-1