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REZENSION/054: Brigitte Blobel - Der Ruf des Falken (Kulturkritisch) (SB)


Brigitte Blobel


Der Ruf des Falken



Mit "Der Ruf des Falken" ist Brigitte Blobel nicht nur ein spannender Roman um die ganz große Story der Frankfurter Journalistin Nadine Malten gelungen, sondern im Nebenherein auch eine ungemein tiefgreifende Darstellung weiblicher Beteiligung an Männerherrschaft und Frauenverachtung. Dennoch wird die Leserin zu keinem Zeitpunkt mit einer feministischen Moral oder auch nur einem in dieser Richtung formulierten Anspruch belastet. Wer an dieser Frage interessiert ist, findet alles, was er wissen muß, zwischen den Zeilen.

Darüber hinaus rückt die Autorin das westliche Weltenbürgertum und das sorgsam gepäppelte Sicherheitsgefühl des anspruchsvollen deutschen Wohlstandsbürgers vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, in der jeder Fehler tödlich sein kann, in ein ganz anderes Licht. Die vorwiegend von Beduinen abstammenden Einwohner des kleinen, aber öl-reichen Sultanats Q'uam al Hashid, das die Journalistin Nadine Malten zum Gegenstand ihrer Recherche gemacht hat, tragen in sich noch die Unerbittlichkeit der Wüste, eines allem Schwachen gegenüber gnadenlosen Lebensraums, der jeden Fehler mit dem Tod bestraft. Dementsprechend duldet auch das soziale Leben in Q'uam al Hashid keine Übertretungen seiner Gesetze. Neben dem in der westlichen Welt als Terroristenfreund und Waffenimporteur verrufenen und rätselhaften Scheich Zayed herrscht in dem völlig abgeschotteten Land die Scharia, die islamische Gesetzgebung, mit unnachsichtiger Härte. Gekonnt kontrastiert Brigitte Blobel die vermeintlich so lockere und tolerante westliche Lebenseinstellung mit der beinharten Enge der Sozialstruktur, der sich Nadine Malten plötzlich völlig unvorbereitet gegenübersieht.

Trotz aller Vorbehalte gegenüber einer islamischen Kultur drängt sich der Leserin doch ab und zu die Frage auf, ob es für westliche Frauen tatsächlich Ausdruck ihrer Freiheit ist, im Berufsalltag gelernt zu haben, ihre körperlichen Reize möglichst nutzenbringend zu präsentieren und die teilweise recht widerwärtigen Zudringlichkeiten von Vorgesetzten und Kollegen "geschickt" auszumanövrieren. Brigitte Blobels Heldin Nadine nimmt so eindeutig den Standpunkt der westlichen, selbstsicheren, im Beruf erfolgreichen Frau ein, die ihr Leben scheinbar voll im Griff hat, daß an dieser Haltung durchaus auch kritikwürdige Aspekte hervortreten.

Beispielsweise kostet der Wahn, selbst noch in einem Land, in dem Frauen sich nur tief verschleiert und in Begleitung eines männlichen Verwandten in der Öffentlichkeit bewegen dürfen, über irgendwelche naturgegebenen Rechte zu verfügen, Nadine beinahe das Leben. Wunderbar nachvollziehbar und gekonnt enttarnt Brigitte Blobel die Abenteuerlust und den Mut der Journalistin als das, was tatsächlich dahintersteckt: eine fatale Fehleinschätzung der eigenen Bedeutung und die geradezu infantile Blauäugigkeit gegenüber einer Welt, in der für Naivität wirklich kein Platz ist.

Wie die Wüste, so ist auch der Charakter des sozialen Systems, dem Nadine Malten sich von einem Tag auf den anderen stellen muß: Der Schwache (die Frau) kann nur überleben, soweit es dem Stärkeren dienlich ist. Toleranz und Nachsicht sind Schwächen, die sich selbst die Mächtigsten kaum leisten können. Wer sich nicht gegen jeden anderen zu behaupten bereit ist, wird vielleicht schon am nächsten Tag von seinem eigenen Bruder umgebracht. Schwäche ruft nicht Rücksichtnahme und vermehrte Zuwendung hervor, sondern Kälte und Verachtung. Nur das Starke ist des Respekts und der Freundschaft wert. In eben dieser Gesellschaft mutet die kesse "Hallo, hier bin ich"-Haltung der Journalistin Nadine so deplaziert und beinahe schmerzhaft lebensfern an wie ein Kölner Funkenmariechen in der Antarktis.

Naturgemäß hegt auch der Herrscher des kleinen Sultanats, mit dem der attraktiven Nadine sensationellerweise ein Interview in Aussicht gestellt wurde, von vornherein keine andere Absicht, als seiner Vorliebe für europäische Frauen nachzugehen. Obgleich Nadine als nüchterne, "moderne Frau" kaum von etwas anderem ausgegangen ist und sich auf keinen Fall mit ihm einlassen wollte, erliegt sie doch sehr schnell dem "Charisma" des gutaussehenden Wüstensohnes, das doch gerade auf all dem beruht, was sie so tief zu verabscheuen vorgibt: einer fast uneingeschränkten Verfügungsgewalt über seine Untertanen ("Ich bin der Scheich. Ich mache die Gesetze."), dem Fluidum des Herrschers (auf sein lässiges Fingerschnippen eilen die Diener herbei), dem erotischen Reiz, für einen Moment im Zentrum des Interesses einer Person zu stehen, die über Leben und Tod gebietet ("Nadine dachte an diese Kumpanei des Scheichs und des Falken, an das geheimnisvolle Einverständnis, an das Ritual aus Blut und Tod und Wildheit und Zähmung.").

Auf einmal nimmt Nadine das Klischee der irrational handelnden Frau voll für sich in Anspruch ("Sie war abgestürzt. Vom sicheren Klippenrand einfach kopflos in die Tiefe. Sie hatte den Verstand verloren, woviel wußte sie noch."), denn sie kann der typisch weiblichen Form vermeintlicher Teilhabe an männlicher Macht nicht widerstehen. Brigitte Blobel sei dank entwickelt sich aus der leidenschaftlichen Liaison nicht eine herzrührende Love-Story, sondern der Scheich läßt seine blonde Geliebte, die er zwischen Zärtlichkeitsbekundungen über seine Haltung zu westlichen Frauen keineswegs im Unklaren läßt ("ein ganzer Kontinent voller Huren"), nach wenigen Tagen fallen wie ein gebrauchtes Handtuch, weil sie den verabscheuungswürdigen Fehler begeht, sich auf die Seite der Schwäche zu stellen.

Nadine erträgt es nicht, der Steinigung einer jungen Frau beizuwohnen, sondern unterbricht die "religiöse Handlung" durch ihre hysterische Reaktion. Sie hat nicht begriffen, daß ihr Mitleid in einer Gesellschaft, die ihre Spannungen offenbar auf diese Weise abreagiert, ähnlich störend wirkt wie Tierschützer in einer Stierkampfarena oder ein Unicef-Büro in einem Bangkoker Rotlichtbezirk.

Und so ruft ihre Reaktion beim brüskierten Scheich Zayed nur eines hervor: Abscheu und Verachtung. Gemessen an seiner sonstigen Handlungsweise erscheint es sogar noch ungewöhnlich human, daß er sie mitsamt ihrer Sachen aus seinem Jeep werfen und von seinen Soldaten wieder in ihr Hotel bringen läßt, wo sie die Entscheidung des Imams abwarten soll, den sie durch ihr Verhalten beleidigt hat. Seinem Charakter nach hätte der Scheich sie eigentlich einfach mitten in der Wüste ihrem Schicksal überlassen. Wie dem auch sei, das Urteil des Imam steht von vornherein fest: Todesstrafe wegen gotteslästerlichen Verhaltens.

Nur durch die Hilfe einer Frau gelingt es Nadine schließlich doch noch, aus Q'uam al Hashid zu entkommen. Einer Frau, auf deren Unterdrückung nicht zuletzt das "Charisma" der Macht von Scheich Zayed beruht, dem Nadine sich so bereitwillig ergeben hatte.

Traurig, aber leider sehr glaubwürdig, daß Nadine Malten, kaum heimgekehrt, gleich wieder emsig an ihrer Karriere bastelt, an ihrem individuellen Erfolg, und den Ausgang ihres "Abenteuers" (sie erhält für ihren Bericht einen begehrten Journalistenpreis) einzig als Bestätigung ihrer besonderen Befähigung wertet. ("Nadine hob das Glas und prostete dem Reporter zu. Dann wandte sie sich um und schlenderte, verfolgt von der Kamera, auf das Büfett zu. Eine selbstbewußte, schlanke junge Frau ..."). Aber schließlich ist "Der Ruf des Falken" kein Manifest gegen die Herrschaft des Menschen über den Menschen, sondern ein Roman.

Ein ungewöhnlich glaubwürdiger und atemberaubend spannender Roman, der in vielen Details die große Vertrautheit der Autorin mit dem Zusammenprall westlicher und islamischer Kulturinhalte unter Beweis stellt.


Brigitte Blobel
Der Ruf des Falken
Kulturkritischer Roman
ECON Verlag, Düsseldorf 1994
511 Seiten
ISBN 3-430-11377-6